Engelsherz

Kapitel 9 - Elias - „Himmlische Begleitung?"

Liebes Tagebuch,                                                                                                   Donnerstag 16.02.2023

Es ist ganz früh und ich schreibe schon Tagebuch. Wenn du denken könntest, würdest du wahrscheinlich denken: 'was ist denn nun los?'. Normalerweise liebe ich es ja länger liegen zu bleiben, einfach noch etwas unter meiner Bettdecke zu chillen, bis der Tag startet. Donnerstags kann ich länger liegen bleiben, da mein erstes Seminar erst um 11 Uhr beginnt. Doch heute wird kein normaler Donnerstag. Heute werde ich den ganzen Tag einen Engel an meiner Seite haben. Ich fasse es immer noch nicht! Aber ganz ehrlich, wenn ich solch eine Vorstellungskraft hätte um mir all diese Details aus zudenken, die Nathaniel mir gestern erzählt hat, dann würde ich wohl Bücher schreiben, statt Literatur zu studieren.

Nathaniel...der Name allein klingt schon so außergewöhnlich und doch vertraut. Man kann ihn ganz sanft, aber ebenso mit fester Stimme aussprechen. Auf beide Arten klingt er toll.

Das habe ich gestern Abend, nachdem er gegangen (oder eher davon geflogen...GEFLOGEN! Mit Flügeln! Mit silbernen Flügeln!) ist, schon einmal in dich hinein geschrieben. Das weiß ich sehr wohl. Aber gestern war ich auch noch total durch den Wind. So richtig Informationen nieder geschrieben habe ich nicht. Nur schriftlich vor mich hin gestottert, dass ein Engel bei mir war und ich mit ihm den ganzen Tag geredet habe. Ich war einfach erleichtert scheinbar doch nicht verrückt zu werden.

Nun muss ich aber versuchen alles festzuhalten, denn ich möchte nichts vergessen. Selbst wenn ich alt und grau bin, möchte ich mich daran erinnern. An dieses außergewöhnliche Gespräch mit diesem himmlischen Wesen.

Nathaniel ist nicht nur schön, nein! Ich konnte gestern in sein Inneres schauen, erfassen was für eine schöne Seele er ist. Meine Mutter hat immer gesagt, wenn ein schöner Mensch eine hässliche Seele hat, verblasst seine Schönheit ganz schnell für dein Auge. Wenn er jedoch eine schöne Seele hat, wird er nur noch schöner. Dabei kann er auch ganz schön rau sein. Er ist nicht so sanft wie man sich Engel oft vorstellt. Doch wenn er sanft ist, dann ist es mit ganzer Seele. Wenn er aufbrausend, gar wütend ist, dann auch mit seinem ganzen Sein. Und seine Wut scheint dann stets berechtigt. Immer fühlte ich mich gestern schlecht, wenn ich ihn mit irgendetwas beleidigt habe.

Ebenso hat er wohl diese berühmte engelsgleiche Geduld, welche ich ehrlich gesagt noch nie bei einem Menschen erlebt habe. Ich wäre wahrscheinlich bei jeder dritten Frage aus der Hose gesprungen und hätte eher früher als später unser Gespräch für beendet erklärt.

Ich glaube ich hab ihn gestern ganz schön überfahren mit all meinen Fragen. Aber wann kann man schon mal einem Engel Fragen stellen? Wann kann man jemandem der gestorben ist, Fragen stellen? Wobei ich mich jetzt auch ein wenig schäme ihn so schamlos auf seinen Tod angesprochen zu haben. Andererseits hat er offen geantwortet.

Nathaniel wäre, würde er heute noch leben, 83 Jahre alt. Er wurde 1940 (!!!) in New York geboren. Unvorstellbar, das war während des zweiten Weltkrieges! Natürlich hat dieser Krieg hier keine direkten Auswirkungen gehabt. Nur die jungen Männer die damals in den Kampf zogen, wurden vermisst und die Nachrichten über Hitlers Gräueltaten erschütterten die Menschen. Nathaniel wuchs also in den Nachkriegsjahren hier in den USA auf und er beschreibt sein Leben als schön. Seine Kindheit war erfüllt von Liebe und da seine Eltern beide aus wohlhabenden Familien stammten, musste er sich nie Sorgen machen. Sein Wunsch Medizin zu studieren erfüllte sich ebenso, bis er sein Studium 1963 unterbrechen musste. Man brauchte medizinisches Personal in der Armee. Der damals schon beinahe zehn Jahre andauernde Vietnamkrieg, forderte ständig Nachschub. Nathaniel hat nicht gezögert sich zu melden, da sein damaliger bester Freund , welcher ein richtiger Soldat war, auch nach Vietnam berufen wurde.