8 | Juli 2019 (1)

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Michael lehnte seine Stirn gegen das kühle Lederimitat des Lenkrades und versuchte, sein wild galoppierendes Herz im Zaum zu halten. Unbewegt saß er seit mehreren Minuten auf dem Fahrersitz und versuchte sich den Mut zuzusprechen, endlich auszusteigen, denn langsam begann er zu vergessen, warum er überhaupt hier war.

Er war aufgewühlt, seit Christian in seinem Leben war und jetzt, wo sich ihre vermeintliche Freundschaft langsam zu etwas Größerem entwickelte, hallten Simons Worte immer wieder durch seinen Kopf. Männer wie wir. Er war kein Mann mehr wie Simon und Christian erst recht nicht. Aber, um diesen Teil von sich nun wirklich abzuschließen, das, was war, hinter sich zu lassen, hatte es ihn hierher gezogen.

Sein Therapeut hatte immer davon gesprochen, Gefühle zuzulassen, um sie schließlich auch verarbeiten und verabschieden zu können, doch er hatte es nie geschafft in den Sitzungen die Büchse der Pandora zu öffnen. Sich seinen Verfehlungen gegenüber Julia zu stellen war schmerzhaft, weitaus quälender noch, als über das Drama mit Simon nachzudenken. Denn was das anging, war er abgesehen von seiner riesigen Portion Naivität nicht allein verantwortlich für das Geschehene. Aber alles, was Julia betraf... nun, das waren einzig sein Verschulden gewesen. Nur er hatte entschieden, wie er sie behandelt hatte.

Wenn es nun tatsächlich ernster werden würde mit Christian, dann konnte er dieses Paket nicht länger ignorieren, das er bisher nicht angefasst hatte. Es war an der Zeit, seinen Fehlern ins Auge zu blicken.

Denn er war nicht mehr der Mann, der damals aus von diesem Ort geflohen war und sich selbst so lange verleugnet hatte. Zwar war er auch noch nicht der Mensch, der er gerne sein wollte, aber er war auf dem Weg zu ihm. Und auf diesem Weg galt es, einige Entschuldigungen anzubringen. Wiedergutmachung konnte er nicht leisten.


Mechanisch krempelte er sich das Hemd bis zu den Ellbogen nach oben und öffnete den ersten Knopf am Kragen. Wie immer war er direkt nach der Arbeit aufgebrochen und hatte es nicht für nötig befunden, sich in andere Kleidung zu werfen. Die Hemden schienen ohnehin schon mit seinem Körper zu verwachsen.

Eine Frau schob ihren Kinderwagen an seinem Fenster vorbei und beäugte ihn so kritisch durch die Scheibe und drückte mit zusammengepressten Lippen ihre Missbilligung darüber aus, dass ein Mann schon seit mehreren Minuten in einem Auto mit fremdem Kennzeichen in ihrer Straße herumlungerte.

Der schneidende Blick amüsierte ihn, veranlasste ihn aber auch dazu, endlich auszusteigen und auf die Straße zu treten. Die Begegnung noch länger hinauszuschieben, würde sie nicht leichter machen.


Die Hitze schlug ihm unbarmherzig entgegen und das Blech seines dunklen Audis brannte wütend unter seinen Fingerkuppen, als er die Tür hinter sich ins Schloss drückte und absperrte. Das Haus, auf das er zusteuerte, stand fast am Ende der Straße, im Schatten einer Eiche, unter der es sogar im Hochsommer angenehm kühl blieb.

Als sie sich damals genau diesen Ort als ihr Heim auserkoren hatten, war der Baum im Vorgarten einer der ausschlaggebenden Gründe gewesen. Die Hängematte, die an einem der tiefhängenden Äste baumelte, war allerdings neu.

Wehmütig dachte er daran, als er Arm in Arm mit ihr das erste Mal hier auf dem gepflasterten Gehweg gestanden hatte und mit kindlicher Begeisterung ihr neues Zuhause in Augenschein genommen hatte. Sie hatten gelacht unbeschwert und glücklich, sicher dass sie an diesem Ort gemeinsam sesshaft würden.

Unsicher ging er nun den schmalen Kiesweg zur Eingangstür, den er so oft hatte pflastern lassen wollen. Den Staub auf seinen Schuhen hatte er noch nie gemocht, aber Julia hatte sich immer dagegen gewehrt. Irgendwie freute es ihn, dass sie den Charakter des Hauses auch so erhalten hatte, wie sie es für richtig hielt.

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