Nervös schob Michael den Ärmel seines Sakkos zurück, um auf die Uhr an seinem Handgelenk zu schielen. In Kürze würde die freie Trauung seines Bruders beginnen und auf der Wiese hinter dem Landhotel, zwischen Obstbäumen und dem Karpfenteich, war alles vorbereitet. Gemeinsam mit den beiden Trauzeugen hatte Michael die letzten Stunden hier für den Feinschliff gesorgt, die Floristen eingewiesen und die Torte in Empfang genommen.
Jetzt wartete er gespannt auf die eintreffenden Gäste; vor allem einen ganz besonderen. Sein Date. Na ja, war es ein Date? Nein, er wartete auf einen Freund, der ihn anstatt Christian auf die Hochzeit seines Bruders begleitete. Allerdings drängte langsam die Zeit - und so sehr er sich mittlerweile für Felix freuen konnte, er wollte dort wirklich nicht allein sitzen müssen, wenn dieser gleich ja zu Kerstin sagte.
Erst als der Blondschopf zwischen den anderen Nachzüglern auftauchte, entspannte sich Michael wieder. Sein Kiefer schmerzte, so fest hatte er in den letzten Minuten die Zähne aufeinandergebissen. Doch das Warten hatte sich gelohnt, denn David sah umwerfend aus. Die Kombination aus Chino und hellblauem Jackett mit passender Fliege gefiel ihm ausgesprochen gut. Verspielt sah er aus mit der goldenen Brille und den passenden Ohrringen. Irgendwie wirkte er jünger als er eigentlich war.
„Da bist Du ja!", lächelte er ihm entgegen und zog ihn in eine Umarmung.
„Entschuldige", sagte David dicht an seinem Ohr; er klang außer Atem. „Der Zug war zu spät. Bin ich noch rechtzeitig?" Dann hauchte er einen Kuss in die Luft neben Michaels Wange, dessen Gesicht zu glühen begann. Davids Parfum duftete fantastisch, hinterließ eine wohlriechende Wolke, in der Michael nur zu gern verharrte.
„Alles gut, grade noch", Michael war nur froh, dass er es geschafft hatte und er ihn bei sich hatte. „Bist Du heute erst gekommen?"
„Ja, konnte gestern leider doch nicht früher aus der Arbeit. Wohin kann ich das hier stellen?", fragte er und hob ein kleines Päckchen, schüttelte es leicht.
„Oh, komm, ich zeig's dir. Wir müssen uns aber beeilen", mit großen Schritten ging er voran, führte David durch den Saal des Hotels, in dem bereits von emsigen Hotelmitarbeitenden Vorbereitungen für das Kuchenbuffet getroffen wurden.
Als das Päckchen zwischen den anderen deponiert war, eilten sie nach draußen, um ihre Plätze direkt hinter Michaels Mutter einzunehmen. Keine Minute zu früh setzten sie sich, da trat Felix mit seinem Trauzeugen und der Traurednerin aus dem Nebentrakt des Hotels. Sein dunkelgrauer Anzug saß perfekt; die Rose an seinem Revers wippte leicht bei jedem Schritt.
Bevor Felix zu nah war, drehte sich seine Mutter zu ihm um, zog missbilligend die dünnen Augenbrauen nach oben. Ihr Blick lag hart und kalt auf ihm; wanderte dann zu seiner Begleitung.
Provokant legte Michael daraufhin seine Hand auf Davids Oberschenkel und hielt ihrem Blick stand. Egal, was sie heute an Spitzen zu bieten hatte - er war nicht allein hier und er würde ihr die Stirn bieten.
Der Moment war vorüber, als die Musik einsetzte und seine Mutter sich steif nach vorne umwandte. David sah ihn fragend von der Seite an; doch Michael schüttelte nur den Kopf. Es war nicht Davids Kampf. Allerdings; die Stärke und die Sicherheit, die er gerade verspürte, kamen allein von seiner Anwesenheit.
Sanft drückte er das schlanke Bein, lehnte sich zu ihm. „Danke, dass Du mitgekommen bist."
Kerstins Kleid war wunderschön, floss in leichten Tüllbahnen bis zum Boden; wirkte dabei weich und luftig. Als sie am Arm ihres Vaters durch die Stuhlreihen schritt, tauschelten einige Gäste aufgeregt, andere sahen ihr verklärt hinterher.
Michael dagegen beobachtete seinen Bruder, der neben der Traurednerin wartete. Ein leichter Schweißfilm lag auf dessen Stirn, doch er lächelte versonnen. Die Vorfreude war ihm anzusehen, ebenso die Zuneigung, die ihm in jede Pore seines Gesichts geschrieben stand.
DU LIEST GERADE
Love and Destroy
General Fiction„Er vermisst dich", brachte sie schließlich hervor. „Weißt du das überhaupt?" ~ Als Michaels Vater stirbt, scheint es an der Zeit für ihn mit alten Wunden abzuschließen und sich ein neues Leben aufzubauen. Darüber, dass in seiner alten Heimat ungel...