Kapitel 10 - Schatten der Vergangenheit

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POV - Lilly

Nach einer Stunde, die sich anfühlte wie eine halbe Ewigkeit, ließ man uns alleine im Krankenflügel. Ich hatte mich vorerst beruhigt und meinen Stuhl neben Sebastians Bett gestellt.
Die Heilerin hatte ihr Bestes gegeben ihn zu versorgen und seine Wunden zu verbinden. Aber er wachte nicht auf.
Er lag einfach da, als würde er friedlich schlafen, sein Körper musste erschöpft gewesen sein.
Der Fluch hatte ihn am meisten an der rechten Schulter und an seinem Kopf getroffen. Sein rechter Arm, seine Hüfte und sein rechter Oberschenkel hatten nur ein paar Schnitte abbekommen, die konnten leichter versorgt werden.
Ich hielt seine linke Hand, die sich so eiskalt anfühlte.
„Sebastian...", flüsterte ich seinen Namen vorsichtig, aber er reagierte nicht.
Nachdenklich sah ich auf seine Verbände und beobachtete die Spuren der alten Magie die unter ihnen schwach glimmerten. Das macht alles keinen Sinn, dachte ich mir. Wie konnte es sein, dass an seinen Wunden Spuren zu sehen waren? Wurde er mit alter Magie verletzt? Die Heilerin wirkte recht ratlos, als sie sich seine Verletzungen ansah, aber mir wurde langsam klar warum. Keiner war in der Lage es zu sehen, keiner außer mir.
Ich sah auf meine eigenen Hände und fragte mich ob ich ihm helfen konnte, also legte ich kurzerhand entschlossen, vorsichtig meine Hand auf seine Schläfe und dachte nur daran ihm zu helfen. Der Gedanke alleine machte es mir möglich ihm die Spuren zu entziehen und in meiner Handfläche zu sammeln. Auch die Spuren weiter unten an seinem Körper schienen nach oben zu seinem Kopf zu fließen und sich in meiner Hand zu sammeln. Ganz vorsichtig hob ich sie an und tatsächlich, ich hatte ihn in der Hand; den Fluch der Sebastian erwischt hatte. Immer noch vorsichtig stand ich auf und trug es zum Medizinschrank, dort holte ich mit der anderen Hand ein leeres Glas raus und ließ alles dort hinein fließen. Es kostete mich viel Konzentration und Mühe aber ich dachte nur an ihn, das verlieh mir Kraft. Als alles im Glas war atmete ich erleichtert aus und stellte es mit zitternder Hand auf den Tisch neben seinem Bett. Es schien dort zu bleiben und senkte sich langsam ab auf den Boden des Glases. Wie Tinte, die in Wasser fiel.
Ich war erleichtert es nicht mehr zu halten, denn ich fühlte nichts außer starken Kummer, Schmerz und Leid, es erinnerte mich daran was Isidora einst tat. Sie nahm den Schmerz von ihrem Vater und später ihren Schülern, um mehr Macht zu erlangen. Was würde mit mir passieren, wenn ich den Inhalt des Glases in mir aufnehmen würde? Schnell schüttelte ich den Kopf um diesen Gedanken loszuwerden aber ich spürte die Versuchung. Es war, als würde etwas nach mir rufen.
Tu es.
Ein leises Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Es war Sebastian.
„...Lil...ly..."
Ich schritt eilig auf sein Bett zu und setzte mich wieder auf den Stuhl.
„Seb?", fragte ich leise.
Sebastian schlug die Augen langsam auf und versuchte mich anzusehen. „Merlin sei Dank.", flüsterte ich und nahm erneut seine Hand in meine. „Du kannst mir doch nicht so einen Schrecken einjagen, du Idiot."
Er verstand mich offensichtlich, denn er versuchte zu lächeln, brachte aber nur ein schwaches Zucken mit seinen Mundwinkeln zustande. „Luci...us...", versuchte er zu sagen aber seine Stimme starb ab. „Shhh.", machte ich und drückte seine Hand leicht. „Ruh dich aus. Ich gehe nicht weg, versprochen."
Ich war heilfroh, dass er wieder zu sich kam, offensichtlich half es ihm was ich tat.
War das alles was Isidora wollte? Den Menschen helfen die sie am meisten geliebt hat?
Sebastians Augen schlossen sich augenblicklich wieder und ich strich ihm vorsichtig über den unverletzten Teil seiner Stirn. Im Schloss wirkte alles ruhig und friedlich. Es war nichts zu hören, kein Mensch war zu dieser Stunde unterwegs.
Von draußen schien der Mond durch das hohe Fenster auf uns herab. Er spendete genug Licht, sodass ich alles gut erkennen konnte.
Ich saß eine weitere Stunde völlig regungslos neben Sebastian und hielt seine Hand, als hätte ich Angst er könnte sich jeden Moment in Luft auflösen oder gar sterben.
Plötzlich hörte ich eilige Schritte die auf uns zu kamen. Ich drehte mich mit feindseliger Miene um in Richtung Tür. Mein Körper entspannte sich auch nicht als ich erkannte, dass es Professor Sharp und Schulleiter Black waren.
„Professor Williams, erklären Sie uns vielleicht wieso wir einen verletzten Gast haben?", forderte Black mich sofort auf.
Als ich den Mund öffnete um etwas zu erklären, schaltete sich Sharp ein. „Vielleicht, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, besprechen wir das doch lieber Morgen früh in ihrem Büro, Schulleiter. Mir scheint Miss Williams sorgt sich zu sehr um Mister Sallow."
„Sallow?", fragte Black neugierig. „Ah, natürlich. Mister Sallow war einmal Schüler hier, wie konnte ich das vergessen er und seine Zwillings-Schwester. Tragische Geschichte. Ja, ja, gut dann sprechen wir uns Morgen früh in meinem Büro. Mister Sallow lassen wir vorerst hier im Krankenflügel. Ich stelle auch keine weiteren Fragen.", schwafelte unser Schulleiter und drehte sich dann wieder um, um zu gehen.
Sharp zog die Luft zwischen seinen Zähnen ein, wandte sich an mich und gab mir eine kleine Flasche. „Das kann er nehmen sobald er bei Bewusstsein ist, damit sollte er sich schneller regenerieren."
Ich nickte und sah ihn an. „Danke...", murmelte ich und stellte das Fläschchen auf den kleinen Tisch neben seinem Bett ab.
Sharp legte mir erneut väterlich seine Hand auf meine Schulter. „Ein Angriff, nehme ich an. Wer war es?"
Ich wollte darauf nicht antworten, ich wollte das Thema Lucius aus Hogwarts halten und dachte daran wie misstrauisch Sharp mir gegenüber schon war. „Ich weiß es nicht. Er und Ominis waren plötzlich da und ich war in der Nähe weil wir uns treffen wollten.", log ich.
Sharp sah mich eindringlich an. „Ich verstehe. Erzählen Sie das dem Schulleiter morgen.", sagte dieser leise mit einem Unterton, der mir verriet, dass er mir nicht glaubte. Aber er sagte weiter nichts.„Ich werde zu Bett gehen. Das sollten Sie auch tun."
Ich schüttelte energisch den Kopf. „Das kann ich nicht. Ich habe versprochen ihm nicht von der Seite zu weichen. Er braucht mich..."
Sharp zog eine Augenbraue hoch und verließ uns dann mit den abschließenden Worten: „Liebe macht uns alle stärker, so sagt man."
Leichte Röte erschien auf meinen Wangen und ich wandte mich wieder Sebastian zu.
Eine Weile betrachtete ich ihn beim schlafen und dachte darüber nach was geschehen sein musste.
Ich hätte nicht gedacht, dass Lucius so weit gehen würde und meine Freunde angreifen würde um an mich heran zu kommen. Er wusste vom Haus in Feldcroft. Meinem einzigen Rückzugsort. Seine Motive waren mir nicht klar und das machte mir Angst. Ich musste so intensiv in Gedanken gewesen sein, dass ich nicht bemerkte wie Sebastian erneut aufwachte.
„Du bist geblieben."
Leicht erschrocken sah ich ihn kurz an. „Seb, du bist wach.", bemerkte ich erleichtert. Er lachte leise. „Du starrst seit Minuten vor dich hin, was ist los?"
„Ich habe nachgedacht, über das was passiert ist. Was wollte er von dir?"
Sebastian drehte sich auf den Rücken und stöhnte auf vor Schmerz. „Oh, warte.", sagte ich schnell und griff nach dem Fläschchen von Sharp. „Trink, es ist von Sharp. Er sagte es würde dir helfen."
Er richtete sich langsam auf um sich im Bett hinzusetzen, nahm das Fläschchen vorsichtig entgegen und trank es in einem Zug aus. „Schmeckt ekelhaft.", murmelte er aber seine Stimme hörte sich schon kräftiger an und insgesamt machte er schon einen munteren Eindruck auf mich.
„Solange es dir hilft.", entgegnete ich.
Wieder lachte er leise und musterte mich. „Lilly...ich muss dir etwas sagen. Es geht um Lucius..."
Aufmerksam sah ich ihm in die Augen. „Was ist mit ihm? Ich weiß er hat dich angegriffen und es tut mir so leid, dass du wegen mir in Gefahr geraten bist, Sebastian ich -„
„Lilly. Er sucht nach dir, aber wieso behauptet Lucius er wäre dein Bruder?"
Seine Frage war wie ein Messerstich direkt in mein Herz. Ich spürte diesen Schmerz, als wäre er echt. Er verschlug mir sofort die Sprache. Schockiert sah ich Sebastian an und öffnete leicht den Mund, aber ich konnte keine Worte formen.
Bruder? Wie konnte das sein? Wie?
Er musste gelogen haben. Ich hatte keine Familie. Sie waren alle tot. Ich wuchs bei Muggeln auf als Einzelkind. Mein Leben war doch keine Lüge. Alles was ich fühlte und erlebt hatte war real.
Sebastian griff nach meiner Hand aber ich zog sie weg und drehte mich leicht zur Seite. „Lilly...sieh mich an.", versuchte er mich aufzufordern, aber ich sah ihn nicht an.
Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, dass irgendetwas wahr sein konnte, was dieser Mistkerl behauptete.
„Lilly rede mit mir, ist es wahr?", fragte Sebastian zögerlich.
Ich schüttelte heftig den Kopf, sah ihn aber weiterhin nicht an. „Ich weiß, wer ich bin und wer meine Familie war. Wieso sollte er behaupten mein Bruder zu sein?", hauchte ich und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.
Lügen, alles Lügen. Ich wollte es nicht mehr hören, aber eine Stimme, sehr tief in mir drin, wollte mit ihm sprechen. Sich dem stellen.
Eine Weile verharrte ich in meinem Stuhl bis ich hoch sah, in Sebastians schmerzverzerrtes Gesicht. Ich konnte nicht sagen ob seine Schmerzen physischer Natur waren oder ob er mit mir fühlte.
Er sagte nichts, sah mich einfach nur an. Vielleicht wusste er nicht was er sagen sollte. Seine Miene verriet mir nicht viel, außer vielleicht Sorge um mich.
„Was ist passiert in Feldcroft?"; fragte ich schließlich leise.
Mein Freund atmete hörbar aus. „Er hat mich angegriffen und wollte mich mit dem Cruciatus-Fluch dazu bringen ihm zu sagen wo du dich aufhältst. Er wusste wer ich bin, wer Ominis ist und das wir drei zusammen zur Schule gegangen sind. Mehr ließ er nicht wirklich durchblicken, außer seine Behauptung er würde seine Schwester suchen. Welcher kranker Mistkerl wendet diesen Fluch an nur um an Informationen zu gelangen? Und er hat mich natürlich durchlöchert wie einen guten Käse.", erzählte Sebastian nun etwas gelassener.
In mir tobte alles vor Wut. Egal wer er war, das würde ich ihm nie verzeihen Sebastian so behandelt zu haben. Dafür würde er büßen. Ich ballte meine Fäuste, spürte wie die Energien in mir brodelten und auf dem Tisch wackelte das Glas mit den Spuren gefährlich.
Sebastian nahm es war und sah verwirrt zum Tisch. „Lilly...was ist das?"
Ich sah kurzerhand zum Glas. „Ich weiß nicht wieso, aber an deinen Wunden waren Spuren alter Magie zu finden. Ich habe sie von dir entfernt, keine Ahnung wie ich das geschafft habe.", murmelte ich fast schon abwesend. Sebastian sah mich mit großen Augen an. „Genauso wie Isidora, die Erinnerung von ihr. Du hast mich gerettet.", flüsterte er ungläubig. Ich presste meine Lippen zusammen. „Ich denke ja, aber die Frage sollte jetzt lauten: Wieso hafteten diese Spuren an dir?" Sebastian überlegte einen Augenblick. „Und wenn er es war? Wenn er alte Magie beherrscht und diese gegen mich eingesetzt hat? Vielleicht stimmt es und ihr seid wirklich irgendwie verwandt. Niemand außer dir beherrscht sie, jedenfalls dachten wir das."
Nachdenklich sah ich zum Glas und legte den Kopf in meinen Nacken. So viele Fragen und so wenig Antworten.
„Wir sollten Ominis einen Brief schreiben. Bis du wieder gesund bist, bleibst du hier, ich sorge schon dafür.", entgegnete ich müde. Sebastian schnaubte gespielt empört. „Ich bin so gut wie fit."
Ich lachte leise, das erste Mal seit Stunden. „Natürlich bist du das."
„Komm, du musst müde sein.", sagte er und zeigte auf das Bett. Ich hob eine Augenbraue und sah ihn skeptisch an. „Das ist ein Krankenbett. Ausgelegt für eine Person."
Sebastian versuchte mit seinen Schultern zu zucken, bereute es aber sofort. „Wozu gibt es Dehnungs-Zauber?", fragte er schief grinsend und hielt sich die verletzte Schulter.
Ich erwiderte sein Grinsen mit einem Lächeln und verzaubert augenblicklich das Bett, so dass es groß genug für uns beide war. Dann legte ich mich vorsichtig an seine linke Seite, die noch gesund war. Er legte sich ebenfalls wieder hin und als ich mich zu ihm drehte, legte er seinen Arm um mich.
„Danke.", murmelte er verlegen. „Das du mein Leben gerettet hast."
„Ich habe nicht viel getan, Ominis solltest du danken. Wer weiß was passiert wäre, wäre er nicht gekommen." , antwortete ich leise.
„Das stimmt wohl."
Ich spürte wie sein Körper langsam wärmer wurde und war beruhigt. Ihm schien es langsam besser zu gehen. Nie wieder wollte ich diese Kälte spüren, die vorher von ihm ausging als er nicht bei Bewusstsein war. Ich fühlte wie meine Augen immer schwerer wurden, ich hatte wohl nicht bemerkt wie müde ich wirklich war. Einige Augenblicke später schlief ich ein.

Holding on to You (SebastianXMC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt