17. Du bist ein Depp

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Noch in der gleichen Nacht hastete Niall zu Harry in das Lazarett, um ihm von seiner unglaublichen Begegnung zu erzählen.
Ihm schossen tausend Gedanken auf einmal durch den Kopf, sie rasten regelrecht und er wusste gar nicht mehr, wo ihm der Kopf stand.
Harry lag schlafend in seinem Bett, offenbar hatte man ihn mit Medikamenten zugedröhnt. So ruhig schlief er nie.
Niall musste einige Male an seinen Schultern rütteln und seinen Namen flüstern, bis er die Augen öffnete und erschrocken zusammenzuckte.
„Verdammte Scheiße, Niall", fluchte er. „Musst du mich so erschrecken? Ich hatte fast einen Herzinfarkt."
Niall verdrehte die Augen. „So schnell geht das nicht. Ich muss dir was erzählen."
Harry warf einen Blick auf die Uhr, die notdürftig an der Wand des Zeltes angebracht war. „Um drei Uhr morgens?"
„Ja. Es lässt mir einfach keine Ruhe", erklärte Niall und ließ seinen Blick prüfend durch den Raum gleiten.
Die meisten verwundeten Soldaten schliefen oder stöhnten vor Schmerzen. Er musste die Stimme senken, um sicher zu gehen, dass niemand ihnen zuhören konnte.
„Ich weiß, dass Louis die Wahrheit sagt", brach es schließlich aus ihm heraus. „Ich habe mich mit ihm getroffen."
„Ja?", fragte Harry neugierig, und plötzlich sahen seine Augen hellwach aus. „Was hat er gesagt?"
„Es ist weniger das, was er gesagt hat...", murmelte Niall und sah sich prüfend um. Niemand in Hörweite.
„Sondern?", hakte Harry nach. „Jetzt mach's doch nicht so spannend."
Niall schluckte. „Es gab ein Missverständnis", antwortete er. „Ein ... tödliches Missverständnis."
„Du hast ihn umgebracht?", wollte Harry erschrocken wissen, die Augen weit aufgerissen.
Obwohl es eigentlich nichts mehr zu lachen gab, konnte Niall sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Nein", erklärte er und erzählte Harry die Geschichte, die er selbst noch nicht wirklich fassen konnte.
Alles fühlte sich plötzlich so unwirklich und fernab von jeglicher Realität an.
Niall beobachtete, wie Harry's Gesichtsausdruck weicher wurde, die Überraschung in seinem Blick ließ sich kaum noch verbergen.
„Er hat dir das Leben gerettet", flüsterte er, viel mehr zu sich selbst als zu Niall.
Und ihm wurde einiges klar.
Wenn Louis bereit war, die eigenen Männer zu erschießen, um seinem besten Freund das Leben zu retten, konnte er ihn nicht verraten haben.
Sein Bauchgefühl hatte ihn also nicht betrogen.
„Ja", antwortete Niall und sah ihn ernst an. „Ich... Ich kann nicht glauben, dass das wirklich passiert ist."
Harry schwieg einen Moment lang, fuhr sich über das gerörete Gesicht und sah Niall schließlich an.
„Ich auch nicht", pflichtete er ihm also bei und versuchte, die Geschehnisse irgendwie einzuordnen.
Niall hing seinen Gedanken nach, als er sanft Harry's Hand berührte. „Weißt du eigentlich schon, wie lange du noch hier bleiben musst?"
Harry schüttelte den Kopf. „Nein, noch nichts genaues. Aber es wird wohl nicht mehr lang dauern."
Ein erleichtertes Lächeln umspielte Niall's Lippen. „Gott sei Dank."
Der junge Soldat nickte zustimmend und sah seinem Freund unsicher in die Augen. „Niall... Ich muss dich noch einmal um einen Gefallen bitten."
Niall hatte das ungute Gefühl, ganz genau zu wissen, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde. „Und das wäre?"
Harry wich seinem Blick aus und seufzte. „Bitte lehne nicht sofort ab und lass mich erst einmal ausreden", bat er schließlich und knetete nervös die zitternden Finger. „Ich dachte, du könntest dich vielleicht an meiner Stelle mit Louis treffen. Als ,Bote' sozusagen. Natürlich nur, bis ich wieder selbst dazu in der Lage bin."
Als Harry den abwehrenden Blick seines Freundes sah, begann seine Stimme zu zittern. „Bitte, Niall", flehte er und sah ihm dabei tief in die Augen. „Ich muss doch Gewissheit haben über die Frage, ob er noch am Leben ist. Ich würde verrückt werden vor Angst."
Niall schüttelte entschieden den Kopf. „Bei allem Respekt, Harry", setzte er also zu einer Antwort an. „Hast du eine Ahnung davon, was mir blüht, wenn man mich erwischt? Ganz abgesehen davon, dass ich wirklich weitaus größere Probleme habe, als deine kleine Romanze mit Louis."
Harry schluckte und spürte, wie ihm die Tränen kamen. Er wand seinen Blick ab und suchte fieberhaft nach einer Lösung. Doch es gab keine.
„Wir befinden uns im Krieg, Harry", appelierte Niall erneut an die Vernunft seines Freundes. „Der Tod lauert hinter jeder Ecke, niemand weiß, ob er die nächsten Stunden überleben wird. Es ist nass, kalt und alles ist voller Ratten. Wie, um Himmels Willen, kannst du da ans Vögeln denken?"
Harry schüttelte fassungslos den Kopf. „Es geht doch hier nicht ums Vögeln, verdammt."
Der Offizier zog die Augenbrauen nach oben. „Sondern?"
Harry sah ihn ernst an. „Ich liebe ihn."
Niall hatte eigentlich etwas erwidern wollen, aber die Antwort seines Freundes machte ihn sprachlos. Zumindest für einige Momente.
Schließlich fuhr er sich mit beiden Händen über das ausgezehrte Gesicht. „Das ist keine Liebe, Harry", erklärte er. „Du verrennst dich da in etwas, das dich dein Leben kosten könnte. Du kannst nicht allein sein, was verständlich ist angesichts der Situation, in der wir alle stecken."
Harry biss sich kräftig auf die Zunge, um nicht laut loszuschreien und die schlafenden Kameraden zu wecken. „Du hast keine Ahnung, was für einen Schwachsinn du von dir gibst."
Niall legte ärgerlich die Stirn in Falten. „Ich mache mir doch nur Sorgen um dich, verdammt nochmal."
Harry seufzte und sein Blick wurde weicher. „Ich weiß. Aber das musst du nicht."
Niall zog eine Augenbraue nach oben und lächelte schwach. „Du bist ein Depp."
Der junge Soldat grinste. „Kann ich nur zurückgeben."
Ein tiefes Seufzen drängte sich aus Niall's Brust, und er konnte nicht glauben, dass er diese Worte tatsächlich aussprach. „Also gut. Ich werde mich mit Louis treffen."
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Ein schönes Wochenende meine Lieben!!🐰
Ich hoffe, ihr habt die Woche gut überstanden?
Freue mich auf eure Kommentare!

All the love,
Helena xx

The Great WarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt