Letzte Verzierung

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„What's meant for you will never miss you, and what missed you was never meant for you."
Imam Ali

Betrachtet man das gesamte Universum, ist es offensichtlich, dass eine jede Entscheidung die andere beeinflusst. So klein eine Handlung auch sein mag, sie hat Auswirkungen auf den gesamten Verlauf deines Lebens.

Hätte ich mich nicht dazu entschieden in Frankfurt zu studieren — auch wenn sie sich manchmal als die schlechteste Entscheidung meines Lebens angefühlt hat, wenn ich dringend in Stuttgart gebraucht wurde— , hätte ich Vahap vermutlich niemals kennengelernt. Ich hätte mich niemals in ihn verliebt, hätte ihn niemals meiner Familie vorgestellt, hätte ihn mir niemals als den Mann meiner Träume vorgestellt. Ich würde vermutlich niemals den Schritt wagen ihn zu heiraten.

All diese Gedanken kreisen in meinem Kopf, während die Friseurin, bei der ich bereits vor einigen Wochen zur Probe war, meine Hochsteckfrisur fixiert. Sie blickt so konzentriert auf meine Haare, die sie auf wundersame Weise gebändigt gekriegt hat und geht ihrer Arbeit nach. Dass ich sie dabei beobachte, scheint sie manchmal aus dem Konzept zu bringen, doch sobald ich ihr durch den Spiegel ein Lächeln schenke, sammelt sie sich wieder und führt ihre Arbeit mit Perfektion durch. „So, nur noch die Perlen und wir sind fertig", sie greift nach den fünf Haarnadeln, die ich mitgebracht habe und bringt sie an den richtigen Stellen an. „Du bist so schön geworden", flüstert sie mir zu, während sie ihre Hände auf meinen Schultern ablegt und mich durch den Spiegel ansieht. „Danke! Das habe ich dir zu verdanken", ich greife nach der Hand, die auf meiner rechten Schulter liegt, und lächle aus tiefstem Herzen. „Aber jetzt übergebe ich dich in die Hände deiner Visagistin. Sie wird dich nur noch hübscher machen", sie zwinkert und tritt zurück, damit ich geschminkt werden kann.

Sobald wir fertig sind, weiß ich, dass das mein letzter Moment in Ruhe für den heutigen Tag ist. Ich liege überraschenderweise in meinem Zeitplan, wir sind sogar zwanzig Minuten zu früh fertig geworden. In etwa einer halben Stunde wird mich Vahap von hier abholen und wir werden zum Schloss Solitude fahren, um dort unser Hochzeitsshooting zu haben.

Es ist so absurd. Ich habe bereits standesamtlich geheiratet, habe Vahaps Nachnamen hinter meinen angehangen und werde heute dieses Bündnis mit unseren Familien und Freunden zelebrieren.

Gekleidet in meinem Hochzeitskleid verlasse ich den provisorischen Ankleideraum im Friseursalon und werde von meinen Liebsten empfangen. Neben meiner Schwester, meinen Brüdern, Mehdis Schwestern und unseren Müttern, stehen Mehdi und Zainab ebenfalls in der Runde. Während ich meiner Mutter und Verâ Teyze ansehe, dass sie mich mit geflüsterten Gebeten segnen, starren mich alle anderen an. „Verdammt", zischt Mehdi plötzlich und als er sich blitzartig abwendet, weiß ich, dass er einen emotionalen Moment erlebt — so wie wir alle. „Du siehst so unglaublich gut aus", Liva Abla überbrückt als erste die imaginäre Mauer und schließt mich in ihre Arme. „Danke, Abla. Du siehst auch wunderschön aus", flüstere ich ihr zu und genieße ihre Umarmung. Nacheinander werde ich von allen umarmt und spüre, wie sich mit jeder weiteren Person mein Herz schwerer anfühlt.

Ich werde heute heiraten.

Mehdi, der sich mit Daumen und Zeigefinger das Nasenbein umfasst hat, kommt als vorletzter auf mich zu. „Mein kleiner Engel", murmelt er und bringt mich unwillkürlich zum Grinsen. Ich weiß noch, wann er mich das letzte Mal so genannt hat, denn ich habe sofort protestiert, dass ich nicht klein sei. Danach hat er mich niemals klein genannt. Ich spüre wie sich meine Kehle zusammenschnürt. Wenn ich jetzt ein Wort sage, werde ich in Tränen ausbrechen. Stattdessen schlinge ich meine Arme um seinen Hals und umarme ihn so fest wie ich kann. „Ne ara büyüdük biz? (Wann sind wir erwachsen geworden?)", flüstert mein bester Freund und unwillkürlich kullert eine Träne über meine Wange. Um nicht in Tränen auszubrechen, trenne ich mich aus der Umarmung, blicke Mehdi jedoch tief in die Augen. „Kürt güzelim benim, hep mutlu ol (Meine kurdische Schönheit, sei stets glücklich)", flüstert er und stupst meine Nase an. „Sen de hep mutlu ol, Mehdi (Sei auch du stets glücklich", antworte ich ihm und löse mich endgültig von ihm.
Ubeyd, der einige Schritte abseits von Mehdi steht, winkelt seinen linken Arm an und so hake ich mich bei ihm ein und lasse mich zum Ausgang begleiten. Dort wartet die herausgeputzte G-Klasse meines Bruders — ehemals von meinem Vater — vor der Tür, die er Vahap und mir heute zur Verfügung gestellt hat. „Na Glumanda, siehst aber schön aus", spreche ich das Auto an, das wir heute als Brautauto dienen soll, und höre meinen Zwilling lachen. „Dass wir den Namen für den Wagen beibehalten haben, ist verrückt, macht Baba aber so stolz", grinst Ubeyd und schaut zu mir. Noch bevor ich ihm antworten kann, umrundet Vahap den Wagen und bleibt vor uns stehen. „Wow", murmelt er lediglich und bringt meinen Zwilling zum Lachen. „Das trifft den Nagel auf den Kopf, damat (Bräutigam)", zieht er meinen Ehemann auf und kriegt darauf nur meinen Ellenbogen in seine Seite gerammt.

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