Das Praktikum
„I think some souls have a way of connecting without our knowledge. That's why you can meet someone for the first time, but inside you just know is not the first time you've felt them."
J. M. Storm
Ein Jahr später
Irgendwie hatte ich es geschafft das erste Jahr meines Studiums zu überstehen. Ich könnte nicht behaupten, dass es einfach war — denn es war alles andere als das. Studieren erforderte eine ordentliche Portion Hingabe und mindestens doppelt so viel Selbstdisziplin, die bei mir etwas zu kurz kamen, wenn ich Sehnsucht nach meiner Familie hatte. In der Regel verbrachte ich meine Wochen mit der Vorfreude aufs Wochenende und war aus diesem Grund nicht sonderlich produktiv. Dass ich für meine Prüfungen auch immer wieder zu spät angefangen hatte zu lernen, muss ich vermutlich nicht erwähnen. Irgendwie hatte ich es aber trotzdem geschafft die ersten beiden Semester und auch die beiden Klausurphasen zu überstehen, hatte alles dafür gegeben Stuttgart und mein Leben in Frankfurt unter einen Hut zu bekommen.
Das dritte Semester hatte bereits letzte Woche angefangen und heute sitzen wir — 19 Kommilitoninnen und Kommilitonen und ich — im Vorraum des Labors, wo unsere Sicherheitsbelehrung für das medizintechnische Praktikum stattfindet.
„Und jetzt teilen Sie sich bitte in zweier Teams auf", einer der Praktikumsbetreuer blickt in die überschaubar große Gruppe und nickt einmal bekräftigend.
„Mina, wir würden eine zweier Gruppe sein", höre ich Kathrin neben mir sagen — sie und Paula sind meine einzigen Freunde, die ich nun in den ersten beiden Semestern meines Studiums gefunden habe. Ich kann von mir selbst nicht behaupten, dass ich sonderlich sozial bin — meine bisherigen Freunde sind mir quasi in den Schoß gefallen, da sie die Kinder der Freunde meiner Eltern sind. Deswegen fällt es mir besonders schwer Freundschaften zu schließen.
Verstehend nicke ich, denn etwas anderes bleibt mir nicht übrig. Die Praktikumsgruppe ist geradzahlig, sodass wir alle zweier Gruppen bilden müssen. Langsam trete ich zum Betreuer vor und sehe vom Augenwinkel, dass der Junge mit den tätowierten Unterarmen, der mir schon im ersten Semester aufgefallen war, ebenfalls vortritt.Ich habe schon viel über ihn gehört, denn mit seiner unnahbaren Art zieht er die Aufmerksamkeit unserer weiblichen Kommilitonen besonders an. Sie spekulieren viel über ihn, doch wie viel Wahrheit hinter den Worten steckt, kann ich nicht beurteilen. Man weiß nicht einmal, wie er heißt — so mysteriös ist er. Aber soweit ich beobachten konnte, hatte er in den letzten beiden Semestern auch keine Freundschaften geschlossen. Ich habe immer wieder gesehen, dass er sich mit einem Jungen unterhielt, doch den Rest unserer Kommilitonen ignorierte er gekonnt.
„Ich nehme an, Sie beide haben keine Partner. Dann wäre das ja auch schon die Antwort auf ihre Frage", spricht uns der Betreuer an und nickend wende ich meinen Blick zu dem Jungen, der mich ebenfalls zu beobachten scheint. „Dann lass uns mal los", er nickt in die Richtung der Arbeitsbanken und folgt mir, nachdem ich einen Schritt vor den anderen setze.
„Ich bin übrigens Vahap", stellt er sich vor und automatisch reiße ich die Augen auf — mit allem hätte ich gerechnet, aber nicht damit, dass der Junge vor mir aus dem Orient kommt. „Ehm, Mina", ich lächele leicht und richte meinen Kittel. „Warum hast du so geschaut? Ich sehe nicht aus, wie ein Türke, oder?", er grinst leicht und steckt sich die Hände in die Hosentaschen. Dabei schiebt er seinen Kittel leicht zurück und spannt seine Unterarme an, dessen Tattoos nun noch deutlicher zur Geltung kommen.
Nicht starren, Mina! Bloß nicht starren!
„Nimm's mir bitte nicht übel, aber nicht wirklich. Ich hätte dich als Italiener eingeschätzt", ich schüttle leicht mit dem Kopf, denn ich sehe keinen Grund darin ihn anzulügen. „Gott segne mein Aussehen", er lacht leise und senkt für einen kurzen Augenblick den Kopf. „Ich fand es in meiner Jugend nicht so prickelnd, dass ich immer in irgendwelche Schubladen gesteckt wurde, in die ich meistens gar nicht passte. Dann habe ich mich und mein Umfeld geändert, habe angefangen mein eigenes Ding durchzuziehen und bin so geworden. Seitdem werde ich nicht mehr direkt als Türke eingestuft", er hebt den Blick und seine graugrünen Augen durchbohren mich. „Aber das zeichnet mich aus. Ich bin anders als die anderen", über diese Worte muss ich leise lachen, denn diese Ansicht ergibt deutlich Sinn und unterstreicht im Grunde auch meine Handlungsgründe. „Aber du wirkst auch nicht auf mich wie eine Klischee-Türkin", er zieht die Augenbrauen zusammen und blickt mir tief in die Augen. Ein leises Lachen entweicht meinen Lippen, ehe ich sie befeuchte und zum Sprechen ansetze. „Ich nehme das jetzt einfach als ein Kompliment hin", ich grinse leicht und streiche mir eine Locke, die sich scheinbar aus meinem Pferdeschwanz gelöst hat, hinter mein Ohr. „Ich glaube wir werden ein gutes Team", er lacht und zeigt mir damit seine Grübchen, die auf seinen beiden Wangen erscheinen. Für einen kurzen Moment vergesse ich das Atmen, denn diese kleinen Einbuchtungen nehmen mir jegliches Denkvermögen.
Mir bleibt doch nichts anderes übrig, als zu starren, wenn er so... besonders ist.
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Geziert
Novela Juvenil„Wie beginnt wohl die Geschichte jeden Kriegers? Bei den meisten mit Menschen, die einem einreden wollen, dass man etwas nicht schafft. Und so war es auch bei meinem persönlichen Krieger, meinem Helden... Vahap." Zufrieden schaue ich auf die ersten...