Dreißigste Verzierung

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„I live in the most beautiful palace in the world, because you opened your heart for me."
Alexandra Vasiliu

Noch während Vahap und ich in aller Stille unsere Kaffees trinken und dabei Mehdi beobachten wie er regelmäßig atmet, werde ich durch das Vibrieren meines Handys abgelenkt. Ich versuche mich möglichst wenig zu bewegen, denn Mehdis Schlaf ist — besonders wenn er so unruhig schläft — so leicht, dass er bei der kleinsten Bewegung aufwachen könnte.
Latif und Kenan habe ich vor einigen Minuten die Situation kurz geschildert, weswegen ein Anruf von ihnen unwahrscheinlich ist. Da alle anderen aus Stuttgart denken, dass wir bei mir versammelt sind, ist auch ein Anruf von ihnen nicht zu erwarten. Aus diesem Grund schaue ich verwirrt auf mein Handy und ziehe die Augenbrauen zusammen, als ich Zainabs Namen auf meinem Display sehe. Dadurch, dass ich nicht aufstehen kann, da Mehdis Kopf immer noch in meinem Schoß liegt, schreibe ich ihr eine Nachricht, dass ich gerade nicht telefonieren kann und sie schnellstmöglich zurückrufen werde.
Ich brauche dann aber erstmal nur die Antwort auf die Frage, ob ich heute Nacht bei dir übernachten kann. Ich muss da ein Missverständnis mit Mehdi klären und würde das gerne Angesicht zu Angesicht machen", lese ich ihre darauffolgende Nachricht. Wie gelähmt starre ich auf meinen Bildschirm und werde erst wieder wach, als eine zweite Nachricht reinkommt und sich mit einer Vibration ankündigt. „Ich bin schon am Bahnhof und bräuchte jetzt eine Antwort, sonst verzögert sich meine Ankunft." Schnell bestätige ich ihr, dass das kein Problem ist und sie steigt in den Zug ein, der in wenigen Minuten abfahren wird.

„Hey, alles in Ordnung?", flüstert Vahap und greift vorsichtig nach meiner Hand mit der Kaffeetasse, um mir genau diese aus der Hand zu nehmen und neben uns auf dem Nachttisch abzustellen. „Das war gerade Zainab. Sie kommt hierher, um ein Missverständnis zu klären", erkläre ich ihm und schaue runter zu Mehdi. „Dann war alles nur ein Missverständnis?", die Verwirrung, die in Vahaps Stimme mitschwingt, lockt mir ein Grinsen ins Gesicht. „Das wird sich gleich zeigen", murmele ich und gehe auf Instagram, um das Bild aufzurufen, das Zainab heute hochgeladen hat, doch ist es nicht mehr da. Als ich realisiere, dass sie damit das Missverständnis meint, dass sie das Bild meinen muss, erhellt sich meine Miene. „Sie hat ihn nie wirklich verlassen", flüstere ich und lächle Vahap erfreut an. Auch in seinem Gesicht erscheint ein breites Lächeln, was mein Herz automatisch schneller schlagen lässt.

Ich sage Zainab Bescheid, dass Vahap sie vom Bahnhof abholen wird und schicke meinen Freund eine Stunde vor ihrer Ankunft mit meinen Haus- und Autoschlüsseln los, damit er das Essen, das ich für unser heutiges Treffen gekocht hatte, abholen kann und dennoch pünktlich am Bahnhof ankommt. Mehdi ist inzwischen zwar wach, liegt aber immer noch im Bett, während sein Kopf nach wie vor auf dem Kissen in meinem Schoß ruht. Sein Blick ist in die Ferne gerichtet und nur schwer halte ich mich zurück ihm zu verkünden, dass Zainab gleich hier sein wird.
Als es plötzlich an der Tür klingelt und die eisige Stille durchbricht, blickt mich Mehdi mit einem fragenden Ausdruck im Gesicht an und setzt sich leicht auf. „Müsste Vahap sein, ich habe ihn losgeschickt, damit er uns Essen holt", erkläre ich ihm und eile aus dem Zimmer. Als ich die Wohnungstür öffne, fällt mir Zainab in die Arme und atmet erleichtert auf. „Ich wollte das nicht", flüstert sie und fängt plötzlich an zu weinen. Beruhigend fahre ich ihr über den Rücken und ziehe sie mit mir in die Wohnung, damit auch Vahap eintreten kann.

Zainab sammelt sich einige Minuten und löst sich schließlich von der Umarmung, nur um mich fragend anzuschauen. Leicht lächelnd deute ich auf Mehdis Zimmertür und nickend läuft sie auf die offene Tür zu.
„Zainab?", ertönt Mehdis überraschte Stimme und ich höre, wie er aus dem Bett steigt und dabei leicht stolpert.
„Komm, lass uns das Essen warm machen", flüstere ich und ziehe Vahap mit mir in die Küche, schließe hinter uns die Tür — damit die beiden genug Privatsphäre haben.

GeziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt