Sechzehnte Verzierung

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"The responsibility of love:
To keep another's heart safe."

Bridgett Devoue

Eine weitere Woche vergeht. Da ich beim letzten Familientreffen nicht dabei war, hat sich unsere Großfamilie kurzerhand dazu entschieden, ein zusätzliches Treffen am bevorstehenden Wochenende zwischen zu schieben. Aus diesem Grund sitze ich am Freitagnachmittag mit Kenan, Latif und Rana in meinem Wagen und fahre den Eltern meiner Freunde hinterher, wobei man den Fahrstil von Mevlüt Amca und mir eher als kleines Rennfahren bezeichnen könnte. Immer wieder überholen wir einander auf der Autobahn und genießen den kleinen Wettkampf, der sich uns darbietet.

Als wir in Stuttgart ankommen, sind bereits alle in meinem Elternhaus versammelt und warten auf uns. Da wir niemals alle zur gleichen Zeit essen können — dafür ist der Platz im Haus einfach nicht ausreichend — haben die anderen bereits gegessen. Nach einer endlos erscheinenden Begrüßungsrunde werden wir zum Esstisch dirigiert, während meine Mutter und Rabia uns das Essen bringen.

„Lassen wir die Kinder alleine?", höre ich meinen Vater im Laufe des Abends fragen und blicke augenblicklich auf. Nach zustimmenden Gemurmel erheben sich die Erwachsenen, wünschen uns viel Spaß und verlagern ihren Versammlungsort auf das Elternhaus von Mehdi, das unserem Haus am nächsten ist.
Nachdem wir Kinder die Wohnung im Schnelldurchlauf aufräumen, das Geschirr wegräumen, nur um noch mehr in Umlauf zu bringen, statten wir alle mit Kaffee aus und machen es uns im Wohnzimmer bequem. Erschöpft setze ich mich zwischen meinen Zwilling und Mehdi auf die Couch und lausche den laufenden Gesprächen.
„Und dann hat Kenan einfach — Mina kann's auch bezeugen — während er dem Mädchen hinterhergeschaut hat, den Wagen gegen einen Stein gefahren", erzählt Latif gerade die letzte Aktion seines Cousins und bringt uns alle zum Lachen. Nur Kenan senkt beschämt den Blick, doch ziert ein verräterisches Grinsen sein Gesicht. Mehdi legt seinen Arm um mich und sofort blicke ich ihn friedlich an — seine Augen leuchten auf und das lässt mein Herz erwärmen.

„Es ist so schön endlich wieder mit der ganzen Truppe zu sein", Asena Abla, die Ehefrau meines Cousins Mahir, blickt alle lächelnd an — wir sitzen hier zu zwanzig und informieren uns gegenseitig über die Ereignisse der letzten Zeit. Obwohl wir uns in dem Rahmen monatlich treffen, sammelt sich jedes Mal so viel Gesprächsthema an, dass wir kaum einen stillen Moment genießen. „Und wie!", Sena Abla nickt ihr zu und lässt sich von Hamza Abi in den Arm nehmen.
„Mehdi?", Kenan blickt zu meinem besten Freund und nachdem dieser seine Blicke auf ihn richtet, fährt er fort, „wie läuft's mit Zainab?" Schon fast automatisch spanne ich mich an, als ihr Name fällt. „Lässt du mich kurz los? Ich muss aufs Klo", ich lächele Mehdi an, bevor er Kenan antworten kann. Nickend löst er den festen Griff um meine Schultern und schon eile ich ins Bad.

Das Gespräch zwischen Zainab und Mehdi letzte Woche hatte ich zwar nur zufälligerweise mitbekommen, doch schweben seine Worte immer noch in meinem Kopf herum — er hat recht, dass ich zu seinem Wohl auf unsere Freundschaft verzichten würde. Schließlich hatte ich aus Angst, das sowas passieren könnte, unter anderem die Stadt gewechselt. Denn sobald ich Mehdi nicht täglich sehen würde, würde das Loslassen deutlich einfacher werden.
Nachdem ich mir einige Male kaltes Wasser ins Gesicht spritze, seufze ich laut auf, denn ich bin mir mehr als nur sicher, dass mein bester Freund mich auf meine kleine Flucht ansprechen wird — er kennt mich viel zu gut, um es falsch deuten zu können.

„Ihr könnt auch hier bleiben", meine Mutter lächelt die Kinder von Melih Amca und Mevlüt Amca an. Rana, Latif und Kenan sind die einzigen, die nicht in Stuttgart oder in unmittelbarer Umgebung leben, sodass sie sich bei jedem Besuch eine unserer Familien als Schlafplatz aussuchen. „Selim amca wollte mit uns sprechen", Kenan kratzt sich leicht am Nacken und erklärt somit, dass sie bei Mehdis Tante eingeladen sind. „Ich verstehe schon", meine Mutter nickt mit vorgezogener Unterlippe und sofort legen sich Latifs Arme um ihre Schulter. „Zümra Teyze", er drückt ihr einen Kuss auf die Wange, „wir sind doch sowieso fast jedes Mal bei euch." Noch immer schmollend, zuckt meine Mutter mit den Achseln und lässt die beiden Jungs leicht grinsen. „Mensch Zümra, lässt du die Jungs wieder nicht gehen", ertönt die Stimme meines Vaters plötzlich hinter uns, sodass ich mich lächelnd zu ihm drehe. Seinen Arm legt er mir auf die Schulter und zieht mich eng an die Brust — es gibt keinen Ort, den ich diesem vorziehen würde. „Ich will sie halt nicht gehen lassen", Mama zuckt unschuldig mit den Achseln. „Wenn ihr euch noch länger ablenken lässt, könnt ihr es vergessen zu gehen", Ubeyd stellt sich neben mich und grinst seine Freunde an, die auf seine Worte lachend nicken, den Jungs die Hand geben, meiner Mutter einen Kuss auf die Wange setzen und aus dem Haus treten.

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