Fünfunddreißigste Verzierung

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„Maybe we were meant to meet
but not to be."

Als ich die Tür öffne und Mehdi erblicke, muss ich unwillkürlich lächeln. Sein Rucksack, der über der rechten Schulter hängt, bestätigt mir meine Vermutung, dass ich in den Tagen, in denen Enis hier ist, auch meinen besten Freund als Gast beherbergen werde. Mich würde es nicht wundern, wenn Latif und Kenan ebenfalls auftauchen, sobald sie erfahren, dass bei mir eine längere Pyjamaparty steigt. „Habt ihr schon angefangen zu rauchen?", fragt Mehdi lächelnd, nachdem er die Wasserpfeife neben der Tür abstellt und mich in eine Umarmung zieht. „Ja, Enis hat gerade angeraucht", ich erwidere die vertraute Geste meines besten Freundes. „Ich penne übrigens im Wohnzimmer, keine Widerworte!", mahnt mich Mehdi und als ich mich aus der Umarmung löse, um ihm zu widersprechen, verstumme ich bei seinem Anblick. „Ich bin dein ungebetener Gast, bitte hör auf damit", der ernste Blick lässt mich die Augen verdrehen und doch kann ich ihn verstehen — wäre ich an seiner Stelle, hätte ich vermutlich die gleiche Forderung gestellt. Statt ihm also zu antworten, greife ich nach der Wasserpfeife und laufe in die Küche.

Das Abendessen und die anschließende Zeit mit den Jungs verläuft sorglos und wie im Flug. Von der Anspannung, die auf der Fahrt so präsent war, ist plötzlich nichts mehr zu finden. Ich weiß, dass Enis genau das nötig hatte: Zeit zum Abschalten.
Irgendwann als wir den zweiten oder dritten Kopf rauchen — ich habe irgendwann den Überblick verloren — haben wir unser Gespräch ins Wohnzimmer verschoben und damit ist gleichzeitig auch die Stimmung ins negativere gekippt. Dabei wurde nicht einmal etwas gesagt. Es war einfach nur ein tiefer Seufzer von Enis, der uns verdeutlichte, dass unser Beisammensein nicht zum Spaß war. Mehr muss mein Halbalbaner aber auch nicht tun, damit ich mich gegen ihn lehne. Er schenkt mir ein schwaches Lächeln, legt den linken Arm um meine Schulter und zieht mich in eine etwas bequemere Position, während er gleichzeitig am Shishaschlauch zieht.

„Wie komme ich über den Scheiß hinweg? Es fühlt sich so an, als würden mich diese verdammten Gefühle nie in Ruhe lassen", murmelt Enis und zieht ein weiteres Mal an der Shisha. „Ich wünschte es gäbe eine To-Do-Liste, die man abarbeiten muss, damit es aufhört. Aber die gibt es nicht — leider", ich schlucke schwer und wünsche mir meine Eltern herbei.
Sie haben beide — bevor sie sich gegenseitig gefunden haben — die schmerzlichen Seiten der Liebe kennengelernt. Mein Vater hat mit angesehen, wie sein Kindheitsfreund seine erste große Liebe geheiratet hat und meine Mutter wurde von einem auf den anderen Tag von dem jungen Mann, den sie geliebt hatte, verlassen.
„Auch wenn unsere Liebe und unser Zusammenkommen so unmöglich waren, will ich mir nicht eingestehen, dass es von Anfang an klar war, wie es enden wird. Ich habe doch einfach nur geliebt", flüstert Enis und zieht mich enger an sich.
Ich weiß, dass er das nicht bewusst macht und doch bin ich gerade so verdammt froh, dass wir hier beisammen sind, dass er sich an mir festhalten kann, mit Mehdis und meiner Unterstützung rechnen kann, wenn er diese benötigt.
„Sie hat das Land verlassen. Ich weiß, dass das Problem damit nicht aus der Welt ist, dass ihre Gefühle dadurch nicht verschwinden. Aber sie muss nicht mehr in der Stadt leben, in der wir unsere Geschichte angefangen haben", Enis legt den Schlauch auf dem Couchtisch ab, verdeckt erst mit beiden Händen sein Gesicht und fährt mit ihnen in seine Haare. „Ich möchte meinen Wagen anzünden, weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass sich ihr Geruch in den Ausstattung eingenistet hat. Ich, der seinen Wagen mehr liebt als alles andere, will gerade nichts anderes tun, als es gegen die Wand zu fahren, es loszuwerden. Ich habe in den letzten Jahren mehr Zeit darein investiert, wie in keine meiner zwischenmenschlichen Beziehungen. Ich habe jede freie Minute daran geschraubt, hab's mit Liebe überhäuft und jetzt", er lacht auf — die Verzweiflung in seiner Stimme wiegt Tonnen schwer und schnürt mir die Luft zum Atmen zu. Ich lasse meinen Blick zu meinem besten Freund wandern, der schmerzerfüllt seinen Cousin anschaut.

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