Achtzehnte Verzierung

214 22 7
                                    

Familienpizza

„Family is not who you are born with, it is who you would die for."

Mein Gespräch mit Vahap liegt nun einige Tage zurück. Seitdem habe ich das Gefühl, dass sich so ziemlich jede Hürde zwischen uns aufgelöst hat. Wir können nun ohne Umschweifen miteinander reden, wissen übereinander Bescheid und verstehen einander.
Aus einem unserer Gespräche ist eine Idee herausgekommen, mit der ich Mehdi beistehen kann. Deswegen habe ich gerade meine Mutter und ihre beste Freundin am Telefon und versuche beide von dem Einfall zu überzeugen. „Ich weiß nicht, Mina. Ja, ich vertraue euch beiden. Dass ihr euch so gut versteht, haben wir irgendwo uns zu verdanken. Aber irgendwie ist das doch zu", Verâ Teyze stoppt mitten im Satz und seufzt. „Das wäre zu locker, ja", meine Mutter nickt in die Kamera. Ich unterdrücke mir nur schweren Herzens das Verdrehen meiner Augen.
Ich war so oft schon mit Mehdi alleine in meiner Wohnung, wieso es dieses Mal ein Problem für die beiden darstellt, ist mir ein Rätsel.
„Zweite Option, die auch mit Ubeyd abgeklärt ist", fange ich an und sehe meinen Zwilling zufälligerweise in das Bild meiner Mutter treten. Ein breites Lächeln umspielt meine Lippen, als er sich hinter sie stellt und ebenfalls ins Handy spricht. „Option, die wir uns gemeinsam ausgedacht haben: ich fahre mit Mehdi rüber, lerne dort, während Mehdi seine Bachelorarbeit schreibt und komme zu meinen Prüfungen zurück. Ich denke ein Tapetenwechsel wird uns beiden guttun", er zuckt mit den Achseln und spielt seine Aufopferung runter.
Ich weiß, dass er am effektivsten mit seiner Lerngruppe lernt, weswegen ich es wirklich zu schätzen weiß, dass er darauf verzichten würde. Meinetwegen.
„Das wiederum wäre in Ordnung", höre ich Verâ Teyze seufzen und lächle sie dankbar an. „Ich weihe ihn dann am Freitag ein, sodass wir am Sonntag gemeinsam hierher fahren können", ich streiche meine Haare nach hinten und unterhalte mich eine weitere halbe Stunde mit den beiden Frauen.

„Guten Morgen", grinse ich breit, als ich Vahap und Gerrit auf mich zulaufen sehe. „Guten Morgen, Yenge (Schwägerin)", zwinkert Gerrit und dreht sich schließlich zu Vahap. „Ich hab's richtig ausgesprochen, oder?", vergewissert er sich und lässt Vahap breit grinsen. Ich dagegen kann nichts gegen die aufkommende Schamröte in meinem Gesicht tun und senke gleichzeitig den Kopf. „Ja, das hast du. Günaydın, güzelim (Guten Morgen, meine Schöne)", wispert Vahap, jagt mir eine Gänsehaut ein und lässt mich nur noch roter werden — wenn das überhaupt noch möglich ist.
Ich ignoriere gekonnt beide Kosenamen, erzähle den Jungs von Mehdis und Ubeyds Anreise mit dem Ende des Semesters. Es ist erschreckend, dass wir nun erneut ein Semester hinter uns gebracht haben und uns wieder einmal den Klausuren stellen müssen. „Sehr gut, dass ihr das einrichten konntet. Vielleicht können wir Mehdi nun wirklich kennenlernen", lächelt Gerrit und greift in seine Hosentasche, um sein Handy heraus zu holen. Überrascht reißt er die Augen auf und packt im nächsten Moment Vahap und mich an den Armen und zieht uns hinter sich her. „Wir sind zu spät, viel zu spät", murmelt er dabei vor sich hin und bringt mich unwillkürlich zum Lachen. Auch um Vahaps Mundwinkel zuckt es verdächtig, bis er es nicht mehr aushält und ebenfalls ein herzliches Lachen rauslässt.

In der Mittagspause sitzen Vahap und ich in der Mensa und essen eine Kleinigkeit. Immer wieder erwische ich mich dabei, wie ich Vahap beobachte, wie ich immer wieder auf ein Tattoo starre, das gerade so sichtbar wird, wenn der Ärmel seines Oversized T-Shirts etwas hochrutscht, sobald er sich bewegt.
SAVE
„Wofür steht das?", frage ich, als ich merke, dass meine Neugier gestillt werden muss. Meine Hand berührt die Stelle nur ganz kurz und vorsichtig und dennoch breitet sich eine Gänsehaut auf meinem Körper aus. „Für meine Alltagsretter. Das sind die Anfangsbuchstaben der Vornamen meiner Kindheitsfreunde und mir. Sie sind die einzigen Menschen, neben Ömer, die ich zu meiner Familie zähle. Said hast du ja bereits kennengelernt, für ihn steht das S. Das A steht für Aurelio, unseren Italiener und das E für Ejup, unseren Bosniaken", erklärt er und lächelt mich breit an. Kurz darauf greift er nach seinem Handy, das neben seiner Wasserflache liegt und zeigt mir ein Gruppenfoto. Bevor ich in eines der anderen Gesichter schaue, fixieren meine Blicke Vahap. Er schaut lachend zu einem der Jungs, weswegen lediglich sein Seitenprofil zu sehen ist. „Der Blonde ist Ejup, er ist seit unserer Kindheit schon der rationalste", höre ich Vahap sagen und folge seinem Finger, der auf einen breit lächelnden jungen Mann mit dunkelblondem Haar deutet. „Er ist Jurist und unser ganzer Stolz", erklärt er. Als ich zu ihm hochblicke, erkenne ich das Leuchten in seinen Augen, das seinen Worten nochmals Nachdruck verleiht. „Der daneben", ich senke erneut den Blick auf das Handy und erblicke einen braungebrannten Jungen mit braunen mittellangen Haaren, „ist Aurelio. Er ist Koch und führt das Restaurant seines Vaters weiter. Wir können da mal essen gehen, wenn du möchtest", sofort nicke ich begeistert und schaue in sein Gesicht.
„Ich würde dir auch gerne unsere gesamte Clique vorstellen. Ich glaube, dass sie dich alle mögen würden. Mehdi und Abbas haben nämlich nur Gutes über dich erzählt", ich lehne mich zurück und mustere ihn. Der Ausdruck in seinem Gesicht wandelt sich innerhalb weniger Sekunden — erst ist er erfreut, dann etwas eingeschüchtert und schließlich wieder glücklich. „Ich hatte bei unserem Aufeinandertreffen nicht den Eindruck, als würde Mehdi mich mögen", gesteht er und bringt mich zum breiten Grinsen. „Den Eindruck hat er bewusst nicht vermittelt, weil ihn der Gedanke von", ich stocke in meinem Redefluss, denn ich bin mir nicht sicher, ob wir bereit sind meinen nächsten Gedankengang laut auszusprechen. „Von einem Partner?", hilft mir Vahap auf die Sprünge und entlockt mir ein leichtes Lächeln. Nickend stimme ich ihm zu und atme tief durch. „Der Gedanke von einem Partner macht ihm Angst. Das kann nämlich alles für unsere Freundschaft bedeuten. Es ist nicht leicht und vor allem nicht selbstverständlich die Bindung zwischen mir und Mehdi zu verstehen und zu akzeptieren. Es gibt Momente, in denen er mir näher steht als meine Geschwister", unwillkürlich lächle ich breit. Mehdi ist mein Zuhause, mein Heimathafen.

Vahaps Stirn zieht sich in Falten und er atmet tief durch. „Ich hoffe, dass dir klar ist, das ich niemals von dir verlangen würde, dass du irgendetwas zwischen euch veränderst. Ich weiß und sehe dir an, wie wertvoll Mehdi für dich ist. Ich könnte doch niemals von dir verlangen, dass du dich von einem Menschen fern hältst, der dein Leben so sehr prägt, so positiv beeinflusst", spricht er ernst. Der Grund für seine Ernsthaftigkeit ist — da bin ich mir sicher —, dass er klarstellen will, wie sehr er hinter seinen Worten steht. „Ich weiß", ich nicke lächelnd und greife zögernd nach seiner Hand, „und du kannst dir nicht vorstellen, wie dankbar ich dir dafür bin. Wie gesagt, es ist nicht selbstverständlich und deswegen umso wertvoller." Als Antwort drückt Vahap meine Hand leicht und schenkt mir ein breites Lächeln, entblößt damit seine Grübchen und bringt mich völlig aus dem Konzept.

Als ich Mehdi am Freitag von meiner Idee erzähle und ihn auf den Zahn fühle, ob er die Auszeit wirklich wollen würde, erkenne ich in seinen Augen nach Wochen einen freudigen Ausdruck. „Schon mit unseren Eltern abgeklärt?", fragt er zögernd nach und zieht die Augenbrauen zusammen. „Ja, natürlich. Bevor ich dir so ein Angebot mache, riskiere ich doch nicht, dass uns jemand einen Strich durch die Rechnung macht", ich lächle leicht und blicke ihn auffordernd an, damit er mir seinen Gedanken mitteilt. „Dass du noch fragen musst", lacht er wenige Augenblicke später und schüttelt mit dem Kopf. Im gleichen Moment zieht er mich in eine Umarmung und atmet hörbar aus. „Danke", flüstert er, woraufhin ich nur breiter lächle.

Sobald wir am Sonntag in meiner Wohnung ankommen, wirkt Mehdi deutlich erleichterter. Er weiß, dass er hier den Freiraum kriegt, den er braucht. „Ich würde ganz rational sagen, dass einer von uns die nächste Zeit im Gästezimmer einzieht und der andere im Wohnzimmer. Dann hat jeder seinen eigenen Raum und die Küche ist unser gemeinsamer Aufenthaltsraum", spricht Ubeyd seine Gedanken aus als wir noch im Flur stehen und unsere Schuhe im Schuhschrank verstauen. Dabei habe ich bereits alle Zimmer hergerichtet, wie ich es geplant habe. „Eigentlich habe ich mir etwas anderes überlegt. Du", ich deute auf Mehdi, „schläfst in meinem Zimmer. Ubeyd gehört das Gästezimmer und ich schlafe auf der Couch. Ich dulde keine Widerworte", ich klatsche einmal in die Hände und schiebe Mehdis Koffer in mein Zimmer, ehe jemand etwas einwenden kann. „Mina", höre ich Mehdis Proteststimme und schüttle mit dem Kopf. „Nein, keine Widerworte. Das ist beschlossene Sache", ich verschränke die Arme vor der Brust und schaue ernst in Mehdis Gesicht. Er seufzt, kommt auf mich zu und umarmt mich. „Danke. Auch dafür, dass du mich überhaupt hergeholt hast. Ich weiß, dass du einfach nur in der Nähe sein willst, wenn was passiert. Dafür bin ich dir unendlich dankbar", spricht er und löst sich schließlich von der Umarmung. Ich lächle ihn breit an und verlasse das Zimmer, damit er seine Klamotten in den Schrank einordnen kann.

„Du hast mir einen Schreibtisch besorgt", höre ich Ubeyd sagen, als ich aus meinem Schlafzimmer in die Küche laufe. Unwillkürlich zucke ich zusammen, da ich nicht darauf eingestellt war, angesprochen zu werden. „Natürlich tue ich das! Ich weiß doch, dass du eigentlich ein Gruppenlerner bist. Wenn du jetzt hier bist und nur über Videoanrufe bei deiner Lerngruppe sein kannst, brauchst du auch die notwendigen Dinge dafür", ich lächle breit und lehne mich gegen den Türrahmen zu dem Gästezimmer. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll", flüstert mein Zwilling und fährt sich durch die Haare. „Du brauchst nichts zu sagen, ich höre deine Gedanken in meinem eigenen Kopf", grinse ich ihn breit an und stoße mich vom Türrahmen ab, um zu ihm zu laufen. „Ach ja? Was denke ich gerade?", fragt er schmunzelnd. „Dass du Hunger hast und wir uns eine Familienpizza bestellen sollten. Den Gedanken teile ich sogar mit dir", lache ich, während ich mein Handy aus meiner Hosentasche ziehe und meine Pizzeria des Vertrauens anrufe.

Für die etwas längere Wartezeit ist das ein kurzes Kapitel, das ist mir bewusst. Aber ein — etwas unfreundlicher — Kommentar, den ich gestern bekommen habe, hat mir klargemacht, wie lange ich euch schon warten lasse. Das tut mir wirklich aufrichtig leid!

Ich kann euch leider nichts versprechen, aber ich bemühe mich die nächsten Kapitel zeitnah hochzuladen.
Ich hoffe ihr hattet Spaß beim Lesen,
Eure Beyza

GeziertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt