Neunzehnte Verzierung

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„When I saw you I fell in love and you smiled because you knew."

William Shakespeare

„Guten Morgen", höre ich Mehdi verschlafen murmeln und drehe mich lächelnd vom Herd weg, um ihn anzusehen. „Guten Morgen, Sonnenschein. Das Frühstück ist in fünf Minuten fertig", lasse ich ihn wissen und wende mich wieder der Pfanne zu, in der ich Sucuk anbrate. „Ist Ubeyd schon wach?", fragt er nun etwas wacher und ich nicke bestätigend, ohne zu ihm zu schauen. „Ja, bin wach", ruft Besagter aus dem Gästezimmer und lässt mich breiter lächeln.
Meine Wohnung fühlt sich eindeutig mehr nach einem Zuhause an, wenn meine Lieblingsmenschen bei mir sind.

Kurz nach dem Frühstück machen wir uns zu dritt auf den Weg zur Uni, da ich mit Vahap und Gerrit ein letztes Mal Mathe durchgehen werde, bevor uns übermorgen die Klausur bevorsteht. „Ich bin aufgeregt", höre ich meinen Zwilling sagen und ziehe die Augenbrauen zusammen. „Wieso denn das?", für einen kurzen Sekundenbruchteil schaue ich von der Straße weg zu ihm und versuche seinen Gedankengang zu verstehen. „Ich werde Vahap antreffen. Das klingt verrückt, weil er ja eigentlich der Nervöse sein müsste, aber ich möchte mich wirklich gut mit ihm verstehen", seufzt Ubeyd und lässt mich leise kichern. „Er mag dich und Mehdi ohnehin schon. Ich erzähle ihm mindestens doppelt so viel über euch, als ich euch von ihm erzähle", ich zucke mit den Achseln und fahre auf den Parkplatz, wo ich meinen Wagen zwischen den von Gerrit und Vahap parke. Beide Jungs lehnen an Vahaps Wagen und gestikulieren stark.
„Einen wunderschönen guten Morgen", ruft Gerrit und grinst uns alle an, sobald wir in sein Blickfeld treten. „Guten Morgen", Ubeyd lacht kopfschüttelnd und hält meinem Kommilitonen die Hand hin, „Erklärst du mir, wie du es schaffst in der Klausurphase so hochmotiviert zu sein?" Mit dieser Frage entlockt er Gerrit, der den Handschlag meines Zwillings ohne zu zögern erwidert, ein herzliches Lachen. „Das liegt ganz alleine daran, dass ich die wundervollsten zwei Kommilitonen habe, die es geben kann und die mich motivieren", er deutet erst auf mich, dann auf Vahap. „Ich bin übrigens Gerrit, dein Zwilling hat dir bestimmt von mir erzählt. Falls nicht, solltest du dich schämen Mina! Und das ist Vahap, von dem hat sie dir ganz sicher erzählt", Gerrit löst sich von dem Handschlag und legt Vahap stattdessen die Hand auf die Schulter. „Freut mich dich kennenzulernen, Ubeyd", spricht nun Vahap und hält meinem Bruder die Hand hin, wie er es zuvor bei unserem Freund getan hat. „Und mich erst", strahlt Ubeyd plötzlich und zieht Vahap in eine brüderliche Umarmung. Der überforderte Gesichtsausdruck von Vahap lässt Mehdi und mich herzlich auflachen, woraufhin mein Bruder uns einen fragenden Blick zuwirft. „Man überfällt Fremde nicht mit Umarmungen, das weißt du doch", neckt ihn Mehdi. Nun reicht er den beiden Jungs nacheinander die Hand und grüßt sie herzlich.
Vahap wirkt einerseits erleichtert, andererseits merkt man, dass er jede Handlung mehrmals bedenkt. „Wenn ihr euch also alle begrüßt habt, wie wäre es, wenn wir uns endlich ans Lernen machen?", frage ich in die Runde und laufe bereits los, um den Anfang zu machen.

So produktiv wie in den letzten Stunden habe ich vermutlich noch nie gelernt. Unser Lernen unterbrechen wir lediglich fürs Beten und gerade zum Kaffee trinken. Nacheinander betreten wir die Mensa und bewegen uns schnurstracks zum Kaffeeautomaten. Während ein Kaffee nach dem anderen brüht, führen wir Smalltalk, damit die Jungs einander besser kennenlernen. Mein Herz quillt nur so vor Liebe, als ich meinen Bruder so herzlich mit Vahap umgehen sehe, sodass ich sie unwillkürlich anstarre.

„Erde an Mina", nehme ich Mehdis Stimme irgendwann wahr und schüttle mich kurz. „Hmm?", mache ich, da ich noch nicht ganz bei klarem Verstand bin. „Was essen wir heute? Wollen wir vielleicht direkt draußen essen? Dann müssen wir nichts kochen", spricht mein bester Freund. Zustimmend nicke ich und überlege, worauf ich Lust hätte. „Wollt ihr mitkommen?", fragt Mehdi nun an Vahap und Gerrit gerichtet, woraufhin Vahap erst kurz zu mir schaut, um meine Zustimmung zu erhalten. Ich zucke lächelnd mit den Schultern, um ihm die Entscheidung zu überlassen. Er lächelt ebenfalls und wendet den Blick von mir ab, während ich ihn weiterhin mustere. „Sehr gerne", er nickt und lächelt erst Mehdi und anschließend Ubeyd herzlich an. „Ich bin auch dabei. Essen klingt verlockend", vom Augenwinkel sehe ich, dass Gerrit sich die Hand auf den Bauch legt. Vahaps Aufregung von heute morgen scheint wie weggeblasen. Er fühlt sich inzwischen wohl neben den wichtigsten beiden Menschen in meinem Leben, was mich erleichtert aufatmen lässt.

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