Kapitel 11: Orientierunglos

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Junas Sicht:

Bewegungslos starrte ich von meinem sicheren Baum herab auf Armas und das Warzenschwein. Er umklammerte panisch die Hörner vorne an der Schnauze des Tieres und versuchte es irgendwie von sich zu drücken, aber das kleine Schweinchen war gegen meine und wahrscheinlich auch seine Erwartungen sehr stark. Da Armas kein Oberteil trug konnte man so langsam Spuren auf seiner Haut erkennen. Das musste extrem weh tun.
Panisch blickte ich zu Killian und Mika, doch auch sie beide waren wie erstarrt.

Es war also an mir etwas zu unternehmen. 'Lass es. Er ist es nicht wert, dass du dich in Gefahr bringst', sagte eine kleine Stimme in meinem Kopf. Und ich wusste, dass sie recht hatte.
Er war es, der mich als dumm bezeichnet hatte. Ich hatte alles gehört, was er von sich gegeben hatte, als ich von den anderen davongelaufen war.
Aber hatte er nicht eigentlich auch recht...
Nun meldete sich die nette Seite meines Gewissens zu Wort. 'Helf ihm. Dann kannst du gleich beweisen, dass in dir mehr steckt als nur eine Tussi, die immer Party machen will.'
"Ja das werde ich," gab ich laut als Antwort und wurde dafür etwas verwirrt von Mika angestarrt, die anscheinend wieder bewegungsfähig war.

Ohne länger zu zögern sprang ich vom Baum und streifte dabei den Stamm. Na toll. Das würde eine schöne Wunde geben. Doch dazu später.
Eilig blickte ich mich um und fand einen dicken Ast. Mit zitternden Händen umschloss ich das eine Ende und ging zielsicher auf Armas und das Warzenschwein zu.
Armas stand die Angst ins Gesicht geschrieben. Man sah, dass er keine Ahnung hatte, wie er das Tier loswerden sollte, dass ihn mittlerweile blutig getreten hatte.
Doch zum Glück war ich ja nun zur Stelle.
Ich holte aus und schlug mit aller Kraft gegen das Schwein.
Dies sprach zwar komplett gegen alle meine Prinzipien nie ein Tier zu verletzen. Aber krasse Situationen ließen nicht viel Spielraum für Rettungen von Mensch und Tier.
Das Warzenschwein flog zur Seite und landete hart mit dem Bauch auf dem trockenen Waldboden.
Es quiekte laut auf, grunzte und schrie. Kurz war es benommen, doch dann rannte es zeternd davon.

Laut schnaufend stand ich da und ließ den Ast fallen. Meine Hände und Beine zitternden vor Adrenalin. Ich stand unter Schock.
Langsam blickte ich mich um.
Die anderen starrten mich ungläubig an.
"Dass eine Tussi wie ich sowas macht, damit habt ihr wohl nicht gerechnet," sagte ich mit Stolz in der Stimme.
Erst war es weiter totenstill, wenn man das Geschrei der wilden Tiere weglässt, doch dann fing Armas an zu lachen.
Er stand auf und wischte sich den Dreck von der Badehose.
Mika sprang vom Baum, Killian kam angelaufen. Zunächst blickten sie den lachenden Armas fragend an, doch dann fingen auch sie an zu lachen.

Eigentlich war diese Situation überhaupt nicht witzig, aber die Panik, die wir gerade noch alle verspürten und die Tatsache, dass ICH Armas geholfen hatte und nicht etwa Killian luden dazu ein einfach ohne Grund zu lachen.

Und so lachte nun auch ich, während wie alle uns die Blätter aus den Haaren zupften und den Dreck von unseren wenigen Kleidern und der Haut.
"Danke," brachte Armas nach einer Zeit etwas kleinlaut hervor.
"Kein Problem," erwiderte ich. "Ich hoffe das wird dir eine Lehre sein und du wirst nie wieder frühzeitig ein Urteil über andere Leute fällen."

Killian und Mika waren auf einmal still geworden. Sie hatten mit Sicherheit mit einem Streit oder so gerechnet.
Armas nickte mir zu. "Ja tut mir leid." murmelte er.
"Wobei du eigentlich recht hattest," fügte ich leise und grinsend noch hinzu.
"Aber nun los," brachte ich uns vier in Bewegung. "Mir wird langsam kalt ohne Klamotten."

"Stimmt, aber wo lang?", warf Mika ein und sofort war meine Stimmung wieder im Keller.
Überall sah es gleich aus. Jeder Baum ähnelte dem nächsten. Wir alle waren gerannt um hier her zu kommen, dabei hatte niemand auf den Weg geachtet.
"Ehmmm, gute Frage". Killian drehte sich im Kreis. "Hier oder?" er deutete zwischen ein paar Bäume. Mir war schleierhaft, wie er auf die Idee kam, dass das der richtige Weg sein sollte.

Aber keiner hatte eine andere Richtung als Vorschlag und so liefen wir alle stumm hintereinander durch den Dschungel.
Es war stockdunkel und so stolperte alle zwei Meter jemand über eine Wurzel oder seine eigenen Füße.

Ich wurde immer genervter. Warum war ich nur von dem Feuer von den anderen weggelaufen. Das alles hier war nur meine Schuld.
Ich war froh, dass keiner der anderen mir bis jetzt Vorwürfe machte.
Und zu allem Überfluss merkte ich jetzt auch noch die Schürfwunde an meinem Bein. Klasse. Dazu musste ich zu allem Bedauern auch noch feststellen, dass fast alle meine sorgfältig aufgeklebten und lackierten Fingernägel abgebrochen waren.
Deprimiert schnaufte ich. Das würden meine Eltern, besonders mein Vater so zurück bekommen, wenn hier lebend raus kam. Nie wieder würde ich auf meinen Dad hören und ab jetzt nur noch das tun, was ich wollte.
Wie kam er auch nur auf diese bescheuerte Idee mit Afrika.
Er wollte dass ich dazu lernte. Aber das hier brachte genau das Gegenteil.
Ich wollte nur noch in mein Badezimmer ein Schaumbad nehmen, dann mich vor meinen Fernseher setzen, meine Nägel neu machen, mich schön anziehen und anschließend mit meinem super Freund und meinen Freundinnen Party machen gehen.
So in die Träume von meinem Alltag vertieft merkte ich gar nicht, dass alle anderen vor mir stehen geblieben waren und ich als letzte in der Reihe in alle hineinkrachte.
"Was ist?", fragte ich genervt.
Alle drei deuteten nur nach vorne und blickten etwas ratlos drein.

Mit einem unguten Gefühl lief ich an den anderen vorbei und sah sehr schnell warum alle gestoppt hatten.

Vor uns ging es senkrecht bestimmt zehn Meter in die Tiefe hinunter.
Ein bestimmt ebenso breiter reißender Fluss, wie der Bach tief lag, floss an uns vorbei. Ein Überqueren unmöglich.
Langsam ging ich vom Rand des Abhanges zurück.
"Und nun?", fragte Mika ratlos.
"Das hier ist ganz eindeutig der falsche Weg."

Verschollen in der grünen HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt