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Ominis Perspektive

Ominis saß allein auf einem Sofa im fast leeren Gemeinschaftsraum und biss lustlos in ein Törtchen. Er hasste Samstage und dieser bildete keine Ausnahme. Während die meisten Schüler beim Frühstück waren, versteckte er sich hier im Gemeinschaftsraum wie ein Feigling, damit er nicht in Gefahr lief, alleine mit Olivia zu sein. 

Samstags war Sebastian immer bei Anne im St. Mungo und Ominis kannte sich selbst zu gut, um zu wissen, dass seine Entschlossenheit, sich an die Abmachung zu halten, sank, wenn Sebastian nicht in der Nähe war. 

Wie so oft dachte er an die Szene in der Krypta zurück, als Olivia ihm genau die Worte sagte, die er hören wollte, seit er sie kannte. Die Willensstärke, die er gebraucht hatte, um sie abzuweisen, war immens gewesen und hätte wohl keine weitere Sekunde gehalten, wenn Sebastian nicht hineingekommen wäre. 

Als er danach ihre warme Haut berührt und ihre Reaktion darauf gespürt hatte, wusste er, dass er nie wieder mit ihr alleine sein durfte. 

Ominis lehnte sich genervt zurück. Das verrückte war, dass es ihm schlechter ging, wenn sie nicht in seiner Nähe war. Dabei war jeder Moment, den er mit ihr verbrachte, eine Qual. Ihre Stimme zu hören, aber sie nicht berühren zu dürfen. Ihren Duft hin und wieder und ohne Vorwarnung in die Nase zu bekommen, ohne dass er selbst ein bisschen näher rücken durfte, um ihn einzuatmen. 

Ominis hatte keine Ahnung, ob Olivias Gefühle noch dieselben waren, die sie ihm offenbart hatte. Seit sie ihm erlaubt hatte, ihre Wunde zu versorgen, ging sie ausgesprochen höflich mit ihm um. Diese ganze Situation führte dazu, dass er es noch mehr hasste, nicht sehen zu können. Er war so eifersüchtig auf Sebastian, der Olivia auf einer gesellschaftlich akzeptierten Ebene erfahren konnte, die ihm versagt blieb. 

Nach jedem Treffen ging Ominis aufgewühlt ins Bett und wollte vor Sehnsucht und Wut in sein Kissen schreien. 

Und doch vermisste er sie so schrecklich, wenn sie nicht bei ihm war.
Ominis stellte seinen Teller unsanft auf den Tisch. 

„Hey Ominis! Da wartet jemand auf dich vor der Tür", rief Raphael einen Augenblick später vom Eingang aus. 

Ominis schreckte hoch und sein Herzschlag beschleunigte sich. Ihm fiel niemand ein, der vor der Tür stehen konnte, bis auf...
Er erhob sich und lief langsam aus dem Gemeinschaftsraum.

Noch bevor die Person, die auf ihn wartete, den Mund öffnete, wusste er, wer sie war. Ihr erdiger warmer Geruch verriet sie. 

„Alles Gute zum Geburtstag, Ominis!", sagte Olivia fröhlich und Ominis registrierte gleichermaßen erleichtert und enttäuscht, dass sie ihn nicht umarmte. 

„D...danke", sagte er stirnrunzelnd, konnte sich jedoch ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Obwohl sie einen vernünftigen Abstand zu ihm einhielt, war Ominis bewusst, dass sie völlig allein hier standen. Das erste Mal seit ihrem Gespräch. 

Er wollte nichts mehr, als die paar Meter zwischen sich zu überwinden und sie fest in den Arm zu nehmen. Stattdessen wandte er sich schnell ab.
„Ich hab' noch ein bisschen was zu tun..."

„Nichts da!", unterbrach ihn Olivia entschlossen, „Ich habe ein Geburtstagsgeschenk für dich. Aber dafür musst du mitkommen"

Er konnte ihrer Stimme anhören, dass sie lächelte und sein Herz schlug schneller. Er zögerte.
Ominis hörte, wie Olivia sich in Bewegung setzte. 

„Komm schon. Ich verspreche dir auch, dass ich dich nicht zu irgendetwas bringen werde, was du nicht willst", sagte die im Gehen.
Das ist vermutlich genau das Problem, dachte Ominis und folgte ihr.

Im Schatten der BlutlinieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt