03 - Die Ursache ihrer Ablenkung

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Die Morgendämmerung setzt langsam ein, als der dunkelhaarige Wanderer sich vom Boden erhebt und den Dreck von seiner Kleidung abklopft. Die gesamte Nacht hatte er geduldig gewartet. Für ihn stellt die lange Ruhezeit der Menschen nach wie vor ein wohl ebenso faszinierendes, wie auch lästiges Bedürfnis dar.

Er blickt nochmals über seine Schulter. Auf den Baumstamm, an den er in den letzten Stunden angelehnt saß. Und die zusammengerollte Gestalt Luanas, welche in einem Schlafsack etwa ein Meter davon entfernt auf dem Boden kauert. Weiterhin schläft sie tief und fest.

Doch der junge Mann hat vor ihrem Aufwachen noch etwas wichtiges zu erledigen.

Also wendet er seinen Blick von ihr ab und begibt sich in ein paar Metern entfernt hinter einen gegenüberliegenden Baum, um unbemerkt eine Nachricht weiter zu geben.

Kleine grüne und braune Wesen mit unterschiedlich geformten Hüten geben sich hinter Pflanzen, Geäst sowie Felsen zu erkennen. Sie scheinen ihre ganz eigene Sprache zu sprechen. Und dennoch hat der Wanderer keine Probleme sich mit ihnen zu verständigen. Er geht in die Hocke und überreicht einem der Wesen einen kleinen, jedoch prall gefüllten Beutel.

,,Hier ist der Nilotpala-Lotos, den Nahida verlangt hat. Übergib ihn an sie und teile ihr mit, dass ich noch einige weitere Tage unterwegs sein werde, bevor ich zurückkehre."

Dies ist alles, was er vorerst an den Dendro Archon weitergeben würde. Auf die klugen Ratschläge der Göttin, was die junge Frau in seiner Begleitung betrifft, konnte er derzeit verzichten. Ihr Einmischen würde die Gesamtsituation für ihn sicherlich nicht unbedingt verbessern. Schließlich hatte er inzwischen erfahren, dass auch in diesem Fall seine Hoffnungen vergebens waren. Denn das Ende derer Menschenleben, die er in einer vergangenen Realität auf dem Gewissen hatte, konnte nicht alleinig durch die Auslöschung seiner Existenz ungeschehen gemacht werden. Mal wieder lässt sich alles auf eine unbekannte höhere Gewalt zurückführen. Der meist gehasste Begriff des Schicksals, welchen der junge Mann stets zu leugnen sucht.

Dies hatte er sich nach einer grausamen Erkenntnis schmerzlich eingestehen müssen.

Das Leben all dieser Menschen lag nie in seinen Händen.

Nichts, was in dieser Welt geschieht, findet aus Zufall statt. Und noch weniger lässt es sich durch sein bloßes Eingreifen verändern.

Akzeptanz. Die einzige Möglichkeit, um eines Tages inneren Frieden erlangen zu können, ist es sich mit seiner Vergangenheit abzufinden. Und zugleich Wiedergutmachung zu leisten.

Der Blick des Dunkelhaarigen wandert für einen kurzen Moment über seine Schulter in Richtung der jungen Frau, welche nach wie vor eingerollt auf dem Boden liegt. Er stellt sich die Frage, wie viel Zufall tatsächlich hinter einer schicksalhaften Begegnung, wie dieser stecken kann. Und wie seine Form der Wiedergutmachung gegenüber des Menschen, dem er einst am meisten geschadet hatte, überhaupt aussehen sollte.

Während der Wanderer noch ein wenig länger in seiner eigenen Gedankenwelt verweilt, erwacht Luana allmählich aus ihrem Schlaf und muss mit Verwunderung feststellen, dass sie alleine ist. Müde erhebt sie sich aus ihrem Schlafsack und wirft einen Blick auf ihre Umgebung. Alles sieht genauso aus wie am Abend zuvor. Von dem verbrannten Feuerholz ist lediglich ein Haufen Asche zurückgeblieben. Ihre Sachen liegen ebenfalls dort, wo Luana sie abgelegt hatte. Ein Anflug von Unbehagen macht sich in ihrer Magengegend breit.

War der seltsame, junge Mann einfach gegangen?

Sie kann sich das ungewöhnliche, beklemmende Gefühl in ihrer Brust selbst nicht erklären. Immerhin hatte sie ihn erst am Vortag kennengelernt. Wieso also sollte es Luana bestürzen, wenn der Fremde nun ebenso überraschend verschwand, wie er zuvor aufgetaucht war?

To Be Loved By HimWo Geschichten leben. Entdecke jetzt