09 - Ein Leben ohne ihre Schwester

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,,Du bist ja schon wach," stellt Luana überrascht fest, nachdem sie sich verschlafen aus ihrer Bettdecke befreit hatte und zu dem Bett ihrer Schwester herüber sah.

,,Ich konnte nicht mehr schlafen," gibt diese kurz angebunden zurück ohne von dem Buch in ihrer Hand aufzusehen. Das Mädchen reibt sich müde die Augen und beobachtet ihre große Schwester weiterhin prüfend.

Sie ist gut darin zu überspielen wie schlecht es ihr in Wirklichkeit geht.

Ihre Alpträume haben in letzter Zeit zugenommen. Hat es etwas damit zu tun, dass sie ihr Bett nun bereits seit Wochen nicht mehr verlassen hat? Natürlich hört Luana ihren ungleichmäßigen Atem, ihr Ächzen und Stöhnen im Schlaf, sowie die Wörter, welche sie hin und wieder vor sich hin murmelt.

Mai hat schmerzen. Ob körperlicher oder seelischer Natur kann ihre kleine Schwester nicht feststellen. Aber ihr gesundheitlicher Zustand scheint sich stetig zu verschlechtern.

,,Hör auf dir Sorgen um mich zu machen," seufzt die junge Frau gespielt böse und wirft einen kurzen Blick über den Rand des Buches in ihre Richtung. Luana stößt resigniert die Luft aus ihren Lungenflügeln und erhebt sich von ihrem Bett.

,,Was liest du da?"

,,Einen Abenteuerroman mit einem Kryo-Abgrundmagier als Hauptfigur," lächelt Mai leicht, ,,es ist ziemlich spannend."

,,Klingt interessant," grinst das Mädchen zur Antwort bloß. Kurzerhand schiebt sie ihren Schreibtischstuhl neben das Bett ihrer Schwester und lässt sich darauf nieder. Mai, der dieses Ritual bereits bekannt ist, widmet sich mit einem Lächeln erneut dem Buch in ihrer Hand.

,,Aufgebracht knallt er die Tür hinter sich zu und tritt hinaus in die eisige Kälte Snezhnayas. Kaum zu glauben, dass ein niederer Fatui Plänkler es sich erlaubt so mit ihm zu reden..."

Luana lauscht den Worten der jungen Frau aufmerksam. Auf diese Weise Zeit mit ihrer Schwester zu verbringen, hatte sich mittlerweile regelmäßig zwischen ihnen etabliert. Gemeinsam davon zu träumen die Welt zu bereisen. Dies verbindet die Geschwister trotz ihres Altersunterschied und der Tatsache, dass Mai schwer krank ist.

Es ist nicht fair... Als Kind war ihr beider Leben so unbeschwert. Es gab eine Zeit, in der sie gemeinsam tobten und spielten. Auch wenn ihre Mutter Luana erklärte, dass Mai krank sei, so gab es nur wenige Tage, an denen sie etwas davon zu spüren bekam. Doch inzwischen, fragt sich das Mädchen, ob es je wieder einen Tag oder auch nur eine Sekunde geben würde, in der sie nicht daran denken muss, dass ihre Schwester wahrscheinlich an ihrer Krankheit sterben würde.

,,Hey, hörst du überhaupt zu?" wirft die junge Frau plötzlich ein und reißt Luana somit aus ihren Gedanken, in die sie ungewollt abgedriftet war.

,,Hm? Natürlich höre ich zu."

Das Mädchen grinst ihre Schwester unschuldig an. Natürlich wissen sie beide, dass sie einander bloß gerne necken. Also spielt Mai weiterhin mit.

,,Ach ja?" schmunzelt sie mit hochgezogenen Augenbrauen, ,,und was habe ich dann als letztes vorgelesen?"

Luana denkt einige Sekunden nach.

,,Ähm naja... also... der Abgrundmagier... hat den Plänkler zu Brei geschlagen," zuckt sie schließlich mit den Schultern und sieht ihrer Schwester mit voller Überzeugung in die Augen. Dieser entweicht nun ein Lachen.

,,Du hast wie immer ein blühende Fantasie."

Mit einem zufriedenen Lächeln betrachtet sie das strahlende Gesicht der jungen Frau. Ein Ausdruck, den sie nur noch selten an ihr sah. Vielleicht hatte sie sich geirrt. Ihre Schwester so unbeschwert zu sehen, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, bringt Luana unweigerlich einen Teil ihrer zur Zeit getrübten Lebensenergie zurück.

To Be Loved By HimWo Geschichten leben. Entdecke jetzt