Kapitel 2

232 18 12
                                    

𝗠𝗼𝗿𝗴𝗮𝗻

Es regnet das ganze Wochenende durch, auch als ich Montag aufstehe, um mich für die Schule fertig zu machen. In Hillsdale benimmt sich das Wetter zu jeder Jahreszeit unberechenbar. Doch nach den Ereignissen am Freitag bevorzuge ich auch lieber den kalten, stürmischen Regen, als die gut gelaunte Sonne.

Dad ist bereits weg, als ich nach unten gehe und mir Müsli in eine Schüssel kippe. Er hatte mir gestern von einem Umzug erzählt, der sehr früh beginnen sollte. Als ich gestern durchnässt und verweint durch die Haustür gestolpert bin, wollte Dad sofort wissen, wen er umbringen soll. Ich bin allerdings mit einer nicht wirklich glaubwürdigen Ausrede an ihm vorbei und in mein Zimmer gerannt. Wenn es um Gefühle geht, ist mein Dad nicht der richtige Ansprechpartner. Samstagabend hat er zum Glück nicht noch einmal nachgefragt, weil er wohl verstanden hat, dass ich nicht darüber reden will.

Ich will gerade Schüssel und Löffel in die Spülmaschine räumen, als es vor dem Haus hupt. Ich schaue aus dem kleinen Fenster über der Spüle und sehe das Auto von Onkel Hank draußen stehen. Schnell mache ich die Spülmaschine zu, schnappe mir Rucksack und Schlüssel und verlasse das Haus.

Mein Onkel hat mir angeboten mich ab jetzt zur Schule mitzunehmen, bis mein Auto wieder repariert ist. Er arbeitet dort als Coach der Eishockey Mannschaft, und da unser Haus sowieso auf dem Weg zur Hillsdale High liegt, empfand er es als eine logische Lösung.

Ich schließe die Haustür hinter mir ab und renne zum Wagen.

»Danke, dass du mich mitnimmst, Onkel Hank«, sage ich, als ich mich auf den Beifahrersitz fallen lasse. Ich zitter am ganzen Körper, dabei war ich vielleicht gerade mal zehn Sekunden im Regen.

Hank dreht augenblicklich die Heizung auf, als er mein Schlottern bemerkt. »Ich will das nicht noch mal hören«, brummt er. »Du bist meine Nichte, ich lasse dich nicht in diesem Dreckswetter dort draußen zur Schule gehen.« Onkel Hank hat durch das Trainieren von Jungs schon lange seinen Filter verloren und flucht jede erdenkliche Sekunde.

Ich verdrehe lächelnd die Augen und schnalle mich an. In der Nähe meines Onkels fühle ich mich sofort etwas besser. Wir fahren die ersten fünf Minuten in angenehmen Schweigen, bis er mir an einem Stoppschild einen unauffälligen Seitenblick zuwirft. Er räuspert sich. »Dein Dad meinte, jemand hat dich letzten Freitag zum Weinen gebracht?«

Ich stöhne auf. Es war ja so klar, dass Dad, sobald ich in meinem Zimmer verschwunden bin, sofort sein Handy gezückt und es seinen Brüdern erzählt hat. Im übrigen hat er vier, somit habe ich gleich fünf überbehütete Familienmitglieder.

»Alles bestens«, stoße ich durch zusammengebissene Zähne aus. »Dad reagiert über.«

Onkel Hank schnaubt. »War es einer von meinen Idioten?«, knurrt er. Ja, er knurrt. Die Familie meines Vaters besteht aus einem Haufen mürrischer, schimpfender Männer, mit einem Fabel für Eishockey.

»Macaroni«, brummt er, als ich nicht antworte. Meine Onkel nennen mich alle so, keinen blassen Schimmer wieso, ich mag Käse-Makkaroni noch nicht einmal. Nicht nach einem peinlichen Fiasko in meiner Kindheit.

»Nein, es war niemand von deinen Spielern«, lüge ich. Tristan ist zwar in der Mannschaft, die mein Onkel trainiert, aber würde Hank herausfinden, dass Tristan mich verletzt hat, würde er ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Team schmeißen und ihm höchstpersönlich den Arsch aufreißen. So gerne ich das auch sehen würde, wäre es nicht fair, wenn sich mein Onkel in unsere Angelegenheit einmischen würde.

»Hmpf«, macht Hank, lässt es aber Gott sei Dank auf sich beruhen. Als er den Wagen auf dem Lehrerparkplatz abstellt, drücke ich ihm einen Kuss auf die Wange und springe aus dem Auto. Der Regen hat zum Glück ein wenig nachgelassen, trotzdem möchte ich nicht allzu lange hier draußen bleiben.

Hinter mir höre ich, wie Onkel Hank seine Tür zuschlägt. »Macaroni!« Seine Stimme dröhnt zu mir durch. Ich halte inne und ziehe die Schultern hoch. Langsam drehe ich mich zu ihm um und bedenke ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. Musste er meinen dämlichen Spitznamen über den gesamten Hof brüllen?

Er ignoriert meinen Blick. »Wenn dich etwas belastet, kannst du immer zu uns kommen. Das weißt du doch hoffentlich, oder?« Seine grimmige Miene wird etwas weicher, was bei Onkel Hank nicht oft vorkommt.

Ich weiß zwar, dass meine Familie für mich da ist, das war sie schon immer, und ich wünsche mir so sehr ich könnte mich ihnen öffnen, aber die einzige Person, der ich mich anvertrauen will, ist nicht mehr da.

Trotz des Kloß, der mit einem Mal in meinem Hals steckt, nicke ich, hebe kurz die Mundwinkel und verschwinde dann schleunigst ins Trockene.

▪︎▪︎▪︎

Auf dem Weg zu meinem Spind drehe ich den Kopf in jede Richtung, um meine Freunde zu finden. Gerade jetzt könnte ich gut ein paar Verbündete gebrauchen.

Bei meinem Spind gebe ich die Zahlenkombination ein und hole mein Mathebuch für die erste Stunde heraus. Wenigstens lenkt mich die Schule ein wenig von den gestrigen Ereignissen ab. Es ist zwar gerade erst die dritte Woche des Schuljahr, trotzdem greifen manche Lehrer bereits voll durch. Ich verstaue das Buch in meinem Rucksack und fische mein Handy aus meiner Hosentasche. Es sind nur noch sieben Minuten vor Unterrichtsbeginn und ich habe immer noch keinen meiner Freunde auf den Fluren gesehen. Ich öffne die Nachrichten-App auf meinem Handy und frage in unseren Mädels-Chat, wo die beiden stecken. Übers Wochende habe ich kaum auf mein Handy gesehen, ich hatte bloß eine schnelle Nachricht in unsere Gruppe geschickt, in der ich Chloe und Jaycee darüber informiert habe, dass es zwischen Tristan und mir vorbei ist. Aber wo ich jetzt auf unseren Chat schaue, bemerke ich, dass keine von beiden auf meine Nachricht reagiert hat.

Verwirrt stecke ich das Handy zurück in meine Hosentasche und schließe meinen Spind. Als ich mich gerade auf den Weg zu Mrs Steinfields Mathekurs machen möchte, fällt mir etwas ins Auge. Ich erstarre.

Was. Zur. Hölle?

Ich verstehe gerade gar nichts, als meine Augen die kleine Gruppe am Wasserspender entdecken. Sie lachen ausgelassen über irgendetwas, was Hunter wohl gesagt hat, und wirken völlig unberührt davon, dass ich nicht bei ihnen stehe. Chloe und Jaycee sind auch da, obwohl sie wissen, was ich ihnen erzählt habe.

Mein Herz bleibt abrupt stehen, als Tristan Jaycee plötzlich einen Arm um die Schulter legt, sich zu ihr runterbeugt und küsst.

Konnte noch irgendwer das klirrende Geräusch meines Herzens hören, als es auf den Boden gefallen und in tausende Stücke zerbrochen ist?

Außerdem gibt es jemand anderen.

Ich kann mich nicht von der Stelle rühren, es ist, als wären meine Füße festgewachsen und würden wollen, dass ich mit ansehe, wie meine Freunde mich verraten.

Offensichtlich hasst mich das Universum wirklich sehr, denn plötzlich treffen sich Tristans und mein Blick über die paar Schritte, die zwischen uns liegen. Er löst sich kurz von Jaycees Lippen, ohne den Blickkontakt mit mir zu unterbrechen und die Genugtuung zu verpassen, dass ich nicht wegsehe. Denn das tue ich nicht, ich kann es einfach nicht. Der masochistische Teil in mir hat die Überhand ergriffen. Tristan nimmt Jaycees Gesicht in die Hände und grinst mich an, bevor er ihre Lippen für einen weiteren Kuss in Beschlag nimmt, ohne seine Augen von meinen zu nehmen.

Mir dreht sich der Magen um und meine Augen fangen an zu brennen. Es tut weh. Es. Tut. So. Weh.

Panik befasst mich, als die anderen Tristans Blick folgen und mich bemerken. Ich kann sehen, wie sich Überraschung auf ihren Gesichtern spiegelt. Das Grinsen, das darauf folgt, fühlt sich an, wie ein heftiger Schlag in die Magengrube. Sie wussten von Tristans Vorhaben. Es amüsiert sie, wie sehr es mich verletzt, dass ihnen meine Gefühle vollkommen egal sind, obwohl wir schon seit Jahren befreundet sind. Und genau das ist es wahrscheinlich auch, was mich endlich aus meiner Erstarrung reißt. Mit letzter Kraft werfe ich meinen ehemaligen Freunden einen bitterbösen Blick zu, bevor ich mich umdrehe und auf die Mädchentoilette zusteuere. Jetzt gerade fühlt es sich an, als würde alles in Scherben liegen, ohne, dass es je wieder zusammengefügt werden kann.

The PactWo Geschichten leben. Entdecke jetzt