𝗠𝗼𝗿𝗴𝗮𝗻
Heute ist wohl der Tag an dem das Wegrennen ein Ende hat. Es ist inzwischen zwei Wochen her, dass Tristan mit mir Schluss gemacht hat, und solange habe ich es bereits geschafft die Cafeteria zu meiden.
Es ist Freitag, und ausgerechnet heute, wo es wie aus Eimern schüttet, bin ich zu Fuß gekommen. Onkel Hank hat sich den Magen verdorben und Dad war schon weg, somit blieb mir nichts anderes übrig, als meine Füße zu benutzen. Allerdings hatte heute Morgen auch noch die Sonne geschienen und es nicht unaufhörlich geschüttet.
Just in dem Moment durchbricht ein greller Blitz die dichte Wolkendecke. Am liebsten würde ich meinen Kopf gegen die Glastür schlagen, vor der ich bereits die letzte Stunde abgesessen und den Weltuntergang beobachtet habe. Ein schweres Donnergrollen hallt durch die leeren Flure und lässt mich leicht zusammenzucken.
Mit grimmig verzogenen Mundwinkeln starre ich den Wetterbericht auf meinem Handy an. Ich werde hier noch eine Ewigkeit festsitzen, bis Dad mich abholen könnte oder auch nur der nächste Bus an der nahegelegenen Haltestelle hält. Verdammter Mist!
»Scheiße, regnet es die ganze Zeit schon so heftig?«
Ich blicke erschrocken vom Display hoch und starre in Cameron Mendozas stürmische graue Augen. Fast so dunkel wie der Himmel dort draußen.
Sein Blick richtet sich nach vorne, stirnrunzelnd starrt er in das Unwetter. Ich nutze den Moment, um ihn etwas genauer zu betrachten. Seine markante Kieferpartie wirkt im grellen Licht der Lampen noch schärfer, und mir fällt ein kleines herzförmiges Muttermal an der linken Seite seines Hals auf. Von ihm geht ein herber Geruch aus und seine Haare wirken noch feucht, die vorderen Enden kräuseln sich mal wieder. Wahrscheinlich kommt er gerade frisch aus der Dusche.
Ich erstarre. Wenn er hier ist, heißt das, dass das Eishockeytraining vorbei ist. Und somit würde auch Tristan jeden Moment hier auftauchen. Oh, bitte nicht.
»Morgan, alles gut bei dir?«, fragt Cameron mit Besorgnis in der Stimme. Er hat wohl bemerkt, wie ich zur Eissäule erstarrt bin. Seine Hand liegt plötzlich auf meiner rechten Schulter, sein Daumen malt kaum merkbare Kreise über den Stoff meines Pullis, der mir auf einmal viel zu dünn vorkommt. Ich trete hastig ein paar Schritte zurück und schultere meinen Rucksack. Warum auch immer will die Stelle an meiner Schulter nicht aufhören zu kribbeln.
»Klar, alles gut«, plappere ich mit viel zu hoher Stimme. Plötzlich hallen Stimmen aus dem Gang zu uns. »Ich ... wollte gerade gehen. Bis dann, Cameron.« Bevor er mich noch auf mein seltsames Verhalten ansprechen oder ich Tristan begegnen kann, drücke ich auch schon die schweren Glastüren auf und begegne dem tobenden Wind.
Meine Haare sind binnen Sekunden triefend nass und kleben mir an den Wangen. Natürlich hatte ich mich heute für einen Pulli ohne Kapuze entschieden.
Mein Verstand schreit mich an, dass ich total unüberlegt handele und mich geradewegs in meinen Tod stürze. Blitzeinschläge kommen hier immerhin nicht selten vor. »Toll, Morgan. Und das nur, weil du Schiss vor deinem Ex hast«, murmele ich zu mir selbst, dabei kann ich beinahe meine eigenen Worte nicht verstehen.
»Morgan!« Ich wirble herum und kneife die Augen zusammen, um gegen den starken Regen sehen zu können. Camerons große Gestalt verschwimmt vor meinen Augen, als er zu mir aufholt. »Machen wir das jetzt schon wieder?«
»Was schon wieder?«, schreie ich verwirrt.
»Dass du wegläufst und ich dir hinterher renne.«
Meine Wangen fühlen sich ziemlich heiß an, dabei sollte der Regen sie eigentlich abkühlen. Beschämt senke ich den Kopf. Er hat ja recht.
»Komm«, ruft er und deutet dann irgendwo in die Ferne. »Mein Wagen steht dahinten. Ich nehm dich mit.« Bevor ich realisieren kann, was er tut, verschränken sich seine Finger mit meinen. Schnellen Schrittes zieht er mich hinter sich her, höchstwahrscheinlich in Richtung seines Autos. Als er allmählich zum Stehen kommt, erkenne ich den alten Pick-up Truck mit der hellblauen Lackierung, die an mehreren Stellen bereits abgeblättert ist. Der Wagen muss schon ziemlich viele Jahre hinter sich haben.
Cameron schließt auf und öffnet für mich die Beifahrertür, die wohl im ersten Moment zu klemmen scheint, bevor sie dann doch nachgibt. »Steig ein!«, ruft er mir über das laute Prasseln des Regens zu. In der Sekunde, in der ich mich auf das zerbeulte Leder hieve, schmeißt Cameron sich auch schon auf den Sitz neben mir. Augenblicklich macht er sich am Armaturenbrett zu schaffen, und im nächsten Moment strömt mir warme Luft entgegen. Seufzend lasse ich mich nach hinten sinken.
»Was ein Scheiß-Wetter«, flucht Cam, während er sich mit dem Ärmel seiner Eishockeyjacke übers nasse Gesicht fährt. Ich habe keine Ahnung, was es ausgelöst hat, aber plötzlich steigt in mir ein hysterisches Lachen hoch, was ich einfach nicht aufhalten kann. Cameron wirft mir zuerst einen schrägen Blick zu, bevor er dann letztendlich auch in mein Gelächter mit einfällt. Sein Lachen ist dunkel, hat aber trotzdem einen melodischen Klang, und es hinterlässt eine Gänsehaut auf meinem Körper.
Nachdem unser Lachen verebbt ist, beobachten wir stumm die Wassertropfen, die an der Windschutzscheibe hinablaufen. Meine Augen schweifen, ohne, dass ich es überhaupt realisiere, durch den Innenraum von Camerons Wagen. Bis auf die geschundenen Sitze wirkt er sehr gepflegt und sauber; an seinem Innenspiegel hängt ein kleiner Anhänger in Form von zwei überkreuzten Eishockeyschlägern samt Puck. Am Armaturenbrett klemmt ein kleines Polaroid von einem kleinen Jungen, der gerade mal fünf oder sechs Jahre alt zu sein scheint, in voller Eishockeymontur, der durch das Gitter seines Helms voller Freude in die Kamera grinst, und neben ihm eine junge Frau mit dunkelbraunem Haar, die die Arme um den Jungen geschlungen hat und mit einem genauso strahlenden Lächeln in die Linse schaut. Die beiden stehen auf einem zugefrorenen See und sind umringt von Schnee. Das Foto ist Herz erwärmend.
Mein Blick wandert weiter zu dem kleinen Fach neben dem Getränkehalter, in dem sich vereinzelte Bonbons, drei verschieden farbene Büroklammern und eine Haarspange mit Leopardenmuster sammeln. Ich hebe eine Augenbraue.
Ich bin wirklich kein Mensch, der in den Sachen anderer herumwühlt, aber ich muss ihn einfach auf diese Haarspange ansprechen. »Deine?«, frage ich lachend und halte die bemusterte Spange hoch.
Cameron verzieht sein Gesicht und wirft den Kopf in den Nacken. »Es nervt tierisch, wenn mir Strähnen in die Augen fallen, während ich fahre.« Er gibt mir zwar eine Antwort, schaut mich dabei aber immer noch nicht an. »Die gehört meiner Mutter«, fügt er noch leise hinzu. Ich schlage mir eine Hand vor den Mund, damit er nicht sieht, wie breit ich grinsen muss.
Er dreht mir den Kopf zu, und ich schwöre, dass ich eine leichte Röte auf seinen Wangen bemerke. Camerons Sturm-Augen wandern an mir herab und dann langsam wieder herauf, ein fast schon überhebliches Grinsen breitet sich auf seinen Lippen aus, was mich für einen Moment aus der Fassung bringt. Camerons Lächeln ist wirklich einnehmend. Seine Scham ist wie weggewischt.
»Was?« Ich ziehe misstrauisch die Stirn in Falten.
Eine Hand auf dem Lenkrad, fährt er grinsend mit der Zunge über seine obere Zahnreihe, und ich hätte niemals gedacht, dass ich diese Geste mal als sexy betiteln würde. Meine Wangen werden warm.
»Du bist in meinem Wagen«, sagt er bloß, in seinen Augen funkelt der Schalk.
Ich brauche einige Minuten, um zu verstehen, was er meint, als es mir dann endlich dämmert.
»Ich bin in deinem Wagen«, wiederhole ich mit blechender Stimme.
Nun muss ich mich seinen Fragen wohl stellen.
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The Pact
Ficção AdolescenteHorror. Der absolute Horror. Das ist es für Morgan, als sie plötzlich nicht nur von ihrem jahrelangen Freund fallengelassen wird, sondern auch noch von ihrer gesamten Clique hintergangen. Alleine muss sie sich nun dem täglichen Schulalltag und dem a...