Kapitel 10

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𝗠𝗼𝗿𝗴𝗮𝗻

»Warum hat Cameron Mendoza dich nach Hause gebracht?«

Ich fahre erschrocken herum. Dad steht in seiner typischen Arbeitskleidung im Türrahmen zum Wohzimmer, mitternachtsblaue Arbeitshose und blassblaues Hemd mit dem Logo seiner Firma auf der Hemdtasche. Er hat die Hände in die Hüften gestemmt und seine buschigen dunklen Augenbrauen zusammengezogen.

Oh-oh.

Ich räuspere mich beiläufig und stoße mich von der Tür ab. »Hey Dad, wieso bist du schon hier?«, versuche ich abzulenken und streife mir meine feuchten Chucks von den Füßen.

»Dein Unterricht ist bereits seit eineinhalb Stunden aus und du kommst jetzt erst nach Hause. Wieso?« Sein Tonfall ist hämmernd. Ich verziehe das Gesicht, als ich ihm mit dem Rücken zugewandt bin und meine Schuhe und Jacke auf die Heizung neben dem Beistelltischchen lege.

Ich seufze angestrengt, dann deute ich aufs große Fenster im Wohnzimmer. »Falls du es noch nicht bemerkt hast, da draußen tobt ein Sturm.«

Dad verdreht die Augen. »Die Arbeit auf der Baustelle musste verschoben werden, natürlich habe ich von dem Unwetter mitbekommen.«

Ich recke das Kinn, wenn er schnippisch sein darf, darf ich auch trotzig sein. »Wie denkst du, komme ich ohne Auto durch diese Flut? Natürlich hat's lange gedauert, bis ich es aus der Schule geschafft habe!«

»Pass auf deinen Ton auf, junges Fräulein.« Dad hebt warnend seinen Zeigefinger. »Ich bin immer noch dein Vater und nicht einer deiner Onkel.«

Ich schnaube. Als würde ich es wagen einem meiner Onkel in so einem Ton zu widersprechen. Normalerweise würde ich auch nicht so mit meinem Dad reden, doch irgendwie will der aufgestaute Ärger und Frust von den letzten Tagen in diesem Moment aus mir raus.

»Wo ist Hank? Der fährt dich doch immer?«

Ich verschränke die Arme vor der Brust. Schlagartig werden mir wieder meine nassen Klamotten bewusst, und ich verkneife mir ein Frösteln. »Der ist krank. Hat sich den Magen verdorben.« Ich versuche, das Zittern aus meiner Stimme zu halten, doch mein Dad merkt es mir dennoch an.

Sofort lässt er die Arme sinken und die Härte verschwindet aus seinem Blick. »Na los, zieh dir was Trockenes an, du bist klitschnass. Ich warte hier auf dich und dann reden wir weiter.« Dad seufzt kurz und hebt dann ein wenig die Brauen. »In Ruhe.«

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und stürme die Treppe hoch. In meinem Zimmer reiße ich mir förmlich die klebenden Sachen vom Körper und schlüpfe hastig in meinen kuscheligen Pyjama. Bei diesem Wetter hatte ich sowieso nicht vor noch irgendwo hinzugehen. Na ja, eigentlich ging ich seit zwei Wochen nicht mehr aus dem Haus, außer für die Schule und zum Supermarkt. Ich hatte sogar die Babysitterjobs der letzten Tage abgesagt, dabei kann ich das Geld eigentlich gut gebrauchen.

Als ich wieder nach unten tappse, hat sich der plötzlich aufgetretene Ärger von eben wieder verflüchtigt. Mir ist in den Sinn gekommen, dass Dad selbst wahrscheinlich total verwirrt ist, wegen meines Verhaltens. Wir haben in den letzten zwei Wochen kaum miteinander geredet, weil ich mich hauptsächlich in meinem Zimmer verkrochen habe. Ich denke, ich bin ihm langsam eine Erklärung schuldig. Oder zumindest ein paar Infos, damit er sich keine zu großen Sorgen um seine einzige Tochter machen muss.

Dad hat sich in seinen Fernsehsessel zurückgezogen, seine Augen sind auf den Fernseher gerichtet, allerdings ist der Bildschirm schwarz.

Ich lasse mich auf das Sofa neben seinem Sessel sinken, trotzdem ruht sein Blick starr geradeaus. Ich kann sehen, wie er krampfhaft die Kiefer aufeinanderpresst.

Er sagt lange nichts, und allmählich frage ich mich, ob er mein Verhalten überhaupt ansprechen wird, oder es wieder umgeht, um sich auch nicht mit den möglichen Gefühlsausbrüchen beschäftigen zu müssen.

Es ist nicht so, dass Dad sich nicht für meine Gefühle interessiert, er kommt nur nicht mit ihnen klar. Oder zumindest denkt er, er würde nicht mit ihnen fertig werden. Seit Mom nicht mehr da ist, vermeidet er das Thema genauso sehr wie er es vermeidet über sie zu reden.

Mein Psychologe hatte mir damals gesagt, dass ich es Dad nicht verübeln sollte und er sich mit der Zeit schon herantasten würde, wenn er die Ereignisse verarbeitet hätte. Aber Schmerz und Trauer richten sich nun mal nicht nach der Zeit, und bei Dad bin ich mir langsam nicht mehr sicher, ob die Wunden, die ihm dieser eine verhängnisvolle Tag zugefügt hat, jemals verheilen werden.

Mein Blick schießt zu meinem Vater, als er schwer ausatmet. »Ich habe heute Morgen ein paar Pläne für die nächsten Innenprojekte auf dem Esstisch vergessen, deswegen bin ich hier. Ich muss wieder zurück in die Arbeit, aber vorher wäre ich dir sehr dankbar, wenn du mir sagen würdest, warum einer meiner Jungs dich nach Hause gebracht hat, mit dem du sonst kein Wort redest.«

Mich verärgert es, dass er denkt, dass es nicht möglich ist, dass Cameron und ich etwas miteinander zutun haben könnten, aber wie soll er auch das Gegenteil in Erwägung ziehen? Ich erzähle ihm kaum noch etwas aus meinem Leben und seit zwei Wochen besuche ich ihn auch nicht mehr auf der Arbeit.

Ich senke den Blick. »Entschuldige, Dad«, beginne ich kleinlaut. »Ich wollte dich nicht auf der Arbeit stören, deswegen habe ich in der Schule darauf gewartet, dass der Regen ein wenig abschwächt. Irgendwann hat Cameron mich entdeckt und mir angeboten mich zu fahren.«

»Hmpf«, macht er das selbe Geräusch wie alle seine Brüder, wenn sie zwar nicht mit der gegebenen Antwort zufrieden sind, aber auch nicht weiter nachhaken wollen. Ich verstecke mein Schmunzeln.

»Na gut, das stellt mich zufrieden.« Er erhebt sich aus seinem Sessel und holt die Baupläne vom Esstisch. »Ich werde dann mal wieder fahren. In der Küche steht eine Tüte mit Burgern vom Cheesy's.«

Ich hüpfe grinsend vom Sofa. »Mit extra Bacon?«, hake ich nach, während ich die Küche ansteuere. Dad dreht sich noch einmal zu mir um, ich kann sehen, wie überflüssig er meine Frage findet, doch er kann die leise Belustigung in seinen Augen nicht verbergen.

»Lass auch einen für mich übrig, Morrie.« Mit dem Satz schlägt er die Haustür hinter sich zu, und im Haus ist es wieder still.

So still, dass ich nun mit den Gedanken an Camerons Vorschlag konfrontiert bin und mir den ganzen Abend den Kopf über die Pros und Kontras zerbrechen kann, und wie dumm die Idee doch ist.

Großartig.

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