Kapitel 5

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𝗠𝗼𝗿𝗴𝗮𝗻

Ich hätte das zögerliche Klopfen an meiner Tür beinahe nicht gehört. In der Sekunde, in der ich zuhause war, bin ich in mein Zimmer gerannt und habe mich unter der Decke verkrochen. Zusammengekauert vergrabe ich schon seit zwei Stunden das Gesicht in meinem Kissen und versuche so, die Tränen zu stoppen, die schon den ganzen Tag nicht aufhören wollen zu fließen. Aber der lausige Versuch ist gescheitert und der Bezug inzwischen komplett durchnässt.

Zum ersten Mal seit langem bin ich froh, dass Dad ständig bis spät in den Abend in der Firma bleibt, sonst hätte er mich wohl doch noch über mein Verhalten der letzten Tage ausgefragt, was ich definitiv so weit es geht vermeiden will.

Wieder klopft es, diesmal etwas lauter. Schniefend hebe ich den Kopf vom Kissen. Meine Wimpern kleben zusammen, es dauert bestimmt mehrere Augenblicke, bis ich die Augen richtig öffnen kann. Ich verziehe das Gesicht, als ich die schwarzen Flecken meiner Mascara auf dem weißen Kissenbezug sehe. Na toll.

»Morrie?«

Ich setze mich hastig auf und lasse mir mein Haar vors Gesicht fallen, damit Dad nicht sieht, wie verweint ich aussehe. Zwischen ein paar dunklen Strähnen hindurch bekomme ich mit, wie er seinen Kopf ins Zimmer steckt.

Ich räuspere mich. »Dad. Warum bist du schon da?«

Ich kann sehen, wie sich eine steile Falte auf seiner Stirn bildet. »Es ist kurz vor acht, wo sollte ich sonst sein?«

Oh? Dann hatte ich wohl doch länger in diesem Bett versauert, als gedacht. Großartig.

»Alles gut bei dir, Morrie?« Nun steht Dad mit voller Größe im Türrahmen und schaut besorgt zu mir runter.

Ich beiße mir fest auf die Lippe, um nicht wieder in Tränen auszubrechen. Dieser Tag war die reinste Hölle, das alles noch mal durchzukauen würde ich wahrscheinlich nicht überstehen.

»Ja«, sage ich mit erstickter Stimme und spiele an dem abblätternden Nagellack auf meinem Daumen herum. »Mir geht's gut.«

»Hmpf«, höre ich Dad grummeln. Ich hoffe, dass er nicht weiter nachhakt, aber anscheinend ist es einfach zu offensichtlich, dass ich ihn anlüge. »Dein Onkel hat mir erzählt, dass er auf dem Heimweg bei Molly's gehalten hat und Donuts holen wollte, aber du abgelehnt hast.«

Argh! Diese ständige Kommunikation zwischen ihm und seinen Brüdern ist wirklich nicht hilfreich. Es war schon schlimm genug, dass Hank als mein Onkel von seinen Kollegen darüber informiert wurde, dass ich die letzten Stunden geschwenzt habe und er mich darüber im Auto ausgefragt hat. Wenn er das auch noch Dad erzählt, kann ich mich auf ein noch schöneres Gespräch freuen.

Ich versuche irgendwas zu finden, was ich Dad auftischen kann, sodass es auch nur ansatzweise glaubwürdig klingt, aber dafür kennt er meine Liebe für Donuts zu gut. »Ich hatte keinen Hunger«, sage ich dann matt.

Dad zieht zweifelnd eine seiner buschigen Augenbrauen hoch. Meine Brauen schießen ebenfalls in die Höhe, als er plötzlich eine mir vertraute rosa Box hinter seinem Rücken hervorholt. Schniefend streiche ich mir ein paar Strähnen aus den Augen.

»Hank ist noch mal zurück und hat ein paar vorbeigebracht.« Er legt sie auf die Kommode neben sich. Ein Schatten fällt plötzlich über seine Augen und es sieht so aus, als würde ihn plötzlich eine schwere Last runterziehen. »Deine Mom-« Er stockt und kratzt sich unbehaglich an der Nase. Mir wird schwer ums Herz, als mir bewusst wird, was er sagen will. Dad räuspert sich hastig und fährt dann fort. »Sie hat immer gesagt, dass Süßes das Herz heilt, wenn es sich gerade schwach und gebrochen anfühlt.«

Ich kneife die Augen fest zusammen, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Dad erwähnt Mom nicht oft. Ich weiß, dass er ihren Tod noch immer nicht verkraftet hat, und die Erinnerung an sie schmerzt nicht nur ihn jedes Mal aufs Neue.

Wir schweigen beide für längere Zeit, das Thema Mom drückt zu schwer auf uns.

Nach ein paar unangenehmen Minuten räuspert sich Dad und hat wieder in sein in sich gekehrtes, mürrisches Ich zurückgefunden. »Unten stehen Spaghetti auf dem Herd, wenn du noch etwas essen willst.« Er greift nach der Türklinke, steckt aber noch einmal den Kopf ins Zimmer. »Ich hoffe, die Donuts muntern dich ein wenig auf, Morrie. Schlaf gut.«

»Danke, Dad«, flüstere ich, als die Tür sich hinter ihm schließt.

Ich starre gefühlte zehn Minuten den kleinen rosa Karton an, bevor ich mich dann doch geschlagen gebe, meine Decke zur Seite schlage und zur Kommode schleiche. Als ich den Deckel umschlage, lachen mich vier pink glasierte Donuts mit Streuseln an. Mein Magen macht sich sofort laut grummelnd zu bemerken.

Mit den Donuts habe ich mich auf die Sitzbank in meinem Erkerfenster zurückgezogen. Draußen regnet es mal wieder, das laute Prasseln gegen die Scheibe meines Fensters wirkt beruhigend, während ich den Kopf gegen das kühle Glas lehne.

Der Himmel ist dunkel und wolkenverhangen, kein einziger Stern ist zu sehen, und plötzlich fühle ich mich noch ein wenig einsamer, als ich mich heute in der Schule gefühlt habe.

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