-20-

135 22 22
                                    

-Levis Sicht-

Als ich in die Augen dieses Mannes blickte, wurde mir warm ums Herz. Eren saß bei mir und er war gewillt, mir zuzuhören.

,,Ich habe dir erzählt, dass meine Mutter mit mir damals weggelaufen ist und dass sie sich später in einen Mann verliebt hatte, mit dem sie eine Tochter bekommen hat - Diese Menschen waren meine Familie."

,,Du sagtest, dass die Ackerman-Familie dich sonst dazu gedrängt hätte, kriminell zu werden und im schlimmsten Fall zu morden...", setzte Eren noch an, woraufhin ich nickte. ,,Ich sollte ein festes Mitglied der Mafia werden."

Wo fange ich nur an?

,,Eines Tages habe ich Schüsse aus dem Schlafzimmer meiner Eltern gehört. Ich wusste, dass Mikasa bei ihnen war - Sie hatte gerade erst Laufen gelernt. Ich war an jenem Tag gerade mal zehn Jahre alt, ich habe nicht gewusst, was diese Schüsse zu bedeuten haben", begann ich.

,,Mama?"

,,Ich habe immer wieder nach meiner Mutter gerufen, aber sie hat mir nicht geantwortet. Als ich dann den Lichtschalter des Raumes betätigt habe, habe ich ihre Leichen gesehen. Und die Pistole, dessen Mündung auf meine Eltern und meine Schwester gerichtet war, lag in der Hand meines leiblichen Vaters. Er war es, der mir meine einzige Familie genommen hat."

So jemand wie er hätte niemals Vater werden sollen.

,,Levi...", brachte Eren hervor. Seine Stimme brach und er wusste mir nicht anders zu helfen, als zu schweigen und mich anzusehen. Ich wusste, dass ich ihm leid tat - dass ihm das Zuhören schmerzte.

,,Meine Mutter hat den Namen der Ackerman-Familie beschmutzt, indem sie ihren Bruder beklaut hat, um mit mir fliehen und um uns ein neues Leben aufbauen zu können. Sie hat eine Tochter mit einem anderen Mann gezeugt - Weißt du, wie mein leiblicher Vater sie nach ihrem Tod jahrelang genannt hat?"

Eine Frau, die ihr Leben riskiert hat und mit ihrem Kind geflohen ist, hat so ein schreckliches Schicksal nicht verdient. Sie hat es nicht verdient, von dem Mann, der sie Jahre lang misshandelt hat, ermordet zu werden.

,,Dieser Mord - War das so etwas wie ein Ehrenmord?", fragte Eren und ich hörte sein Zögern. Vermutlich wollte er nichts falsches sagen. Ich nickte und sah den Braunhaarigen an.

Wenn mein leiblicher Vater nicht gekommen wäre, um meiner Mutter, meinem Vater und meiner Schwester das Leben zu nehmen, dann wäre es ein anderes Mitglied gewesen, das meine Familie getötet hätte.

,,Wieso hat er dich dann nicht umgebracht? Hat er dir diese Narbe zugefügt?", fragte Eren. Sein Blick lag auf meinem Gesicht, eher gesagt auf meiner langen Narbe. Fand er sie wirklich so faszinierend? Ich wurde wegen dieser Narbe oft gemieden. Nicht nur, weil ich aus Quinta kam sondern auch, weil sie mein ganzes Gesicht bedeckte. Das gleiche galt auch für meinen Körper.

,,Er war zwar ein Arschloch von Ehemann und Vater, aber ich war immer noch sein Sohn. Mein Vater hat mich nicht getötet. Selbst wenn er es gewollt hätte, er hätte es nicht gedurft. Kinder - besonders Jungen - sind sehr gefragt, wenn es darum geht, Dinge zu stehlen und zu spionieren. Wer bitte würde ein kleines Kind beschuldigen?"

,,War?", hakte Eren nach. Ihm musste wohl aufgefallen sein, dass ich in der Vergangenheit von meinem leiblichen Vater gesprochen hatte. ,,Ich wurde zurück zur Ackerman-Familie und der Mafia gebracht. Ein paar Jahre später, als ich gelernt habe, mit Waffen umzugehen, habe ich diesen Mann im Schlaf erschossen."

Eren schwieg.

,,Bereust du es?", fragte er dann. Ob ich es bereute, den Mann, der mir meine Familie genommen hat, getötet zu haben? ,,Nein."

,,Und die Narben?" Narben. Jetzt sprach Eren von mehreren Narben. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass er meinen Oberkörper gesehen hat, als ich halbnackt in seinem Badezimmer gestanden hatte. Er wusste, wie schlimm zugerichtet ich war.

,,Mein Vater hat zwar nur in die Ackerman-Familie eingeheiratet, aber ich wurde dennoch für seinen Tod bestraft. Nicht nur das - Ich habe geplant, abzuhauen. Ich kann dir die Schmerzen nicht beschreiben, die mir zugefügt wurden, Eren. Ich konnte mich tagelang nicht bewegen. Die Narben stammen von den Mitgliedern der Ackerman-Familie."

,,Es hat mich zwei weitere Leben gekostet, damit ich endlich aus diesem Dreckloch fliehen und mich am anderen Ende der Stadt verstecken konnte. Das Leben war sehr hart", setzte ich noch an.

Erens Reaktion nach zu urteilen, musste er das, was ich ihm erzählt hatte, erst verarbeiten.

Ich hatte einem Fremden - Ich hatte Eren den Teil meines Lebens anvertraut, den ich Hanji und den anderen erst Monate später erzählt hatte. Mein Blick lag auf Eren. Ich fühlte mich sicher, wenn ich bei ihm war. Ich fühlte mich wie ein ganz normaler Mann. Es tat gut, jemanden an seiner Seite zu haben, der nichts über Quinta wusste und ein ganz normales Leben führte.

Nicht nur das. Eren hatte mich auf Anhieb akzeptiert und mich nicht gemieden, obwohl er wusste, dass ich Menschen getötet hatte.

Ich ließ die Luft in meiner Lunge entweichen und erhob mich vom Boden. ,,Ich löse Furlan von seiner Wache ab", teilte ich Eren mit und noch bevor ich einen Fuß vor die Tür setzen konnte, spürte ich seine Arme um meinem Körper. Ich hielt mit einem Mal inne und brauchte einen Moment, um zu realisieren, was gerade passierte.

Eren umarmte mich.

Ich stand perplex auf der Stelle. Eren presste seinem Körper an meinen, vergrub sein Gesicht in meiner Halsbeuge und hielt mich fest in seinen Armen. ,,Das, was passiert ist, tut mir schrecklich leid", hörte ich ihn sagen.

Wann war es, dass ich zuletzt umarmt wurde?

Auch wenn die Umarmung nur wenige Sekunden andauerte, fühlte es sich so an, als würden Minuten vergehen. Ich spürte, dass ich schwach wurde. Ich fühlte mich, als würde das Gewicht meines Körpers mich zu Boden ziehen wollen.

Eren löste sich von mir und sah mir in die Augen. In dem Moment, in dem sich unsere Blicke trafen, verlor ich mich in seinen Augen, ohne mir dessen überhaupt bewusst zu sein.

Wusste er, wie sehr ich diese Umarmung gebraucht habe? Ich hatte es bis vor wenigen Sekunden selbst nicht gewusst. Ich hatte vergessen, wie schön es war, in die Arme genommen zu werden. Es waren fast zwanzig Jahre vergangen, seitdem ich zuletzt in die Arme genommen wurde - Ich hatte dieses Gefühl vermisst. Mein Herz zog sich schmerzvoll zusammen.

,,Levi... du weinst."

Ich weinte?

__________

Monster [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt