-Erens Sicht-
,,Es ist nur ein Mensch", rief der fremde Mann laut genung, um der Frau, die irgendwo in meiner Wohnung war, eine Entwarnung zu geben. Er nahm die Pistole wieder runter und steckte sie in seinen Gürtelholster. Erleichterung kam in mir auf - Ich hatte gedacht, dass er mich umbringen wollte.
,,Wohnst du hier?", fragte der fremde Mann. Ich zögerte, bevor ich nickte. Obwohl er die Pistole nicht mehr auf mich richtete, war mir nicht ganz wohl bei der Sache. Ich hatte nach wie vor Angst. ,,Du hast Glück, keinen Fuß vor die Tür gesetzt zu haben, als du die Sirenen gehört hast."
Der Mann kam auf mich zu und als ich dachte, er hätte es auf mich abgesehen, griff er nach dem Stoff der dunklen Gardine und zog diesen vor das Fenster. Dann betätigte er den Lichtschalter und die Dunkelheit aus meinem Schlafzimmer verschwand.
Unsere Blicke trafen sich und wir sahen uns direkt in die Augen. Jetzt, da ich nicht mehr nur die Silhouette des Mannes vor mir sah, konnte ich mir ein besseres Bild von ihm machen. Ich schluckte hart.
Er war komplett in schwarz gekleidet und er war deutlich kleiner als ich. Das bedeutete aber nicht, dass ich mich mit ihm anlegen würde. Seine pechschwarzen Haare waren zu einem Undercut gestylt und seine grauen Augen wirkten so unfassbar leer und kühl, dass es mir kalt den Rücken runterlief.
Aber am erstaunlichsten war die tiefe Narbe, die von seiner Stirn bis zu seinem Kinn reichte. Sie lag quer über seinem Gesicht und war nicht zu übersehen. Die Narbe schnitt seine Augenbraue, sein Auge und auch seine Lippen. Es war fast schon so, als ob ich meine Augen nicht von dieser Narbe abwenden könnte.
Dieser Mann sah aus, als hätte er viel durchgemacht und die Tatsache, dass er eine Pistole besaß, ließ mich nicht daran zweifeln.
Ich wollte seine Geschichte wissen.
Seine Erscheinung schüchterte mich etwas ein und auch wenn er gefährlich aussah, hatte ich nicht das Gefühl, dass er mir etwas antun wollte. Ich hatte nicht das Gefühl, mich vor ihm fürchten zu müssen. Ich hatte keine Angst vor ihm.
,,Wohnst du alleine in dieser Wohnung?" Der mir noch fremde Mann riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah ihn schweigend an und nickte zögerlich. Hatte er gemerkt, dass ich seine Narbe angestarrt hatte? Ich wollte nicht, dass er dachte, dass ich sie seltsam oder sogar abstoßend fand, denn das tat ich nicht. Im Gegenteil.
,,Hoppla - Ich war mir sicher, dass wir alleine sind. Viele Menschen haben ihre Häuser verlassen, als sie die Sirenen gehört haben", sagte die Frau, die ich zuvor schon gehört hatte. Sie betrat mein Schlafzimmer und stellte sich zu dem Mann. Sie war größer als er und im Gegensatz zu ihm wirkte sie warmherzig. Sie lächelte mich an.
Die Menschen mussten gedacht haben, dass es sich wieder um einen Großbrand handelte. Wer konnte denn ahnen, aus welchem Grund die Sirenen sonst ertönt waren?
,,Wie seid ihr eigentlich in meine Wohnung gekommen? Steht ein Fenster offen?", fragte ich vorsichtig nach, obwohl ich nachts nie ein Fenster offen ließ. Nicht nur, weil Insekten in meine Wohnung kommen würden sondern auch, weil bei meinen Nachbarn zweimal eingebrochen wurde.
,,Nur ein Vollidiot legt einen Ersatzschlüssel unter die Fußmatte", entgegente mir der Schwarzhaarige schroff. Sie waren mit meinem Schlüssel in die Wohnung gekommen? Ich wurde rot bei dem Gedanken, es den beiden so einfach gemacht zu haben.
,,Nimm es ihm nicht übel, Höflichkeit liegt ihm nicht so", sagte die Frau und rückte ihre Brille zurecht. Ihre Stimme klang aufgeweckt und sie gab mir nicht das Gefühl, irgendetwas befürchten zu müssen. ,,Wir sind aus Quinta geflohen, als aus dem Nichts eine Herde von diesen Kreaturen in unserer Stadt aufgetaucht ist. Dort herrscht das reinste Chaos, wir haben Zuflucht gesucht und sind hier gelandet", erzählte sie.
Quinta war ebenfalls einer der Städte, die den äußersten Ring unseres Landes bildeten. Armin hatte mir bei unserem kurzen Telefonat mitgeteilt, dass Quinta und Shiganshina die ersten Städte waren, in denen diese Kreaturen gesichtet wurden.
Ob er sicher evakuiert wurde?
,,Wenn ihr aus Quinta kommt, müsst ihr einen langen Weg zurückgelegt haben. Aber die Sirenen in Shiganshina haben erst vor wenigen Minuten angefangen, Alarm zu schlagen", brachte ich verwirrt hervor und runzelte die Stirn. ,,Ich sehe worauf du hinaus willst: Ihr wurdet zu spät gewarnt", ergänzte die Frau.
,,Fragwürdig, wenn man bedenkt, wie sehr unsere Regierung damit prahlt, auf alles mögliche vorbereitet zu sein", meinte Levi und seinem Ton nach zu urteilen, hielt er nicht besonders viel von unserer Regierung. Ich wollte fragen, warum, aber dazu kam ich nicht. ,,Diese Teile sind vor einer Stunde in Quinta aufgetaucht und jetzt sind sie auch hier."
Vor einer Stunde? Wären wir vorher gewarnt worden, hätte ich nach Trost fahren können. Armin lebte dort, ich hätte bei ihm sein und mit einem Boot evakuiert werden können.
,,Jedenfalls", unterbrach die Frau meinen Gedankengang. Sie lächelte und deutete mit einem Finger auf sich. ,,Ich bin Hanji und dieser Eisblock neben mir", sie legte eine Hand auf die Schulter des Mannes, ,,heißt Levi."
Der Schwarzhaarige verdrehte seine Augen und ich konnte nicht anders, als zu schmunzeln. Doch als er mir einen tödlichen Blick zuwarf, fielen meine Mundwinkel sofort wieder. Mit dem wollte ich mich nicht anlegen.
,,Ich bin Eren, freut mich", gab ich leicht eingeschüchtert von mir. ,,Eren, also", fing Hanji an, ,,es tut mir leid, dich so überrumpelt zu haben. Aber ich hoffe, dass es dir nicht viel ausmacht, wenn Levi und ich für ein paar Tage hier bleiben. Wir werden dir nicht im Weg stehen. Versprochen!"
,,Ich kann euch wohl kaum aus meiner Wohnung werfen", sagte ich. Ich war nicht so herzlos, dass ich die beiden vor die Tür setzen und sie diesen Monstern aussetzen könnte. Und mal abgesehen davon waren mir zwei Fremde um einiges lieber, als völlig alleine sein zu müssen und den Verstand zu verlieren.
,,In ein paar Stunden geht die Sonne auf, wir sollten uns bis dahin ausruhen", meinte Levi und ich war mir nicht sicher, ob er nur Hanji ansprach oder auch mich, ,,ich halte die erste Wache. Nach zwei Stunden wechseln wir."
Mir blieb nichts anderes übrig, als den beiden zu vertrauen. Aber was sollten mir die beiden denn schon antun? Sie würden mich wohl kaum im Schlaf umbringen. Hanji wirkte sehr freundlich und Levi... er war...
Ich öffnete meinen Kleiderschrank und holte Decken, Kissen und frische Kissenbezüge heraus. Dann schloss ich die Schranktür wieder und wandte mich Levi und Hanji zu. ,,Die Sofas im Wohnzimmer sind ausziehbar, ihr könnt es euch dort gemütlich machen. Das Badezimmer ist hier in dieser Etage", erklärte ich.
,,Danke. Ich weiß deine Gastfreundlichkeit sehr zu schätzen", sagte Hanji mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie nahm mir die Decken und Kissen sowie deren Bezüge ab und verließ mein Schlafzimmer, um nach unten in das Wohnzimmer zu gehen.
Ich wandte meinen Blick zu Levi, welcher mit verschränkten Armen gegen meinen Schreibtisch lehnte und mich von oben bis unten musterte. Er ließ sich Zeit. Ich leckte mir unsicher über die Lippen und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass mich sein Blick verunsicherte.
Im nächsten Moment stieß er sich von dem Schreibtisch ab und verließ ebenfalls den Raum, ohne sich zu bedanken. Ich atmete aus und stellte die Tischleuchte, die vorhin auf dem Boden gefallen war, wieder auf meinen Nachttisch und legte mich in mein Bett.
Die Zimmertür ließ ich offen, obwohl es sicherer wäre, sie abzuschließen, aber das würde nur den Eindruck von Misstrauen zeugen.
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Hätte kein Auge zu gemacht, wäre ich an Erens Stelle💀
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Monster [Ereri/Riren]
FanfictionEines Nachts wird Eren Jäger von lauten Sirenen, die die Bevölkerung vor Gefahren warnen, aus dem Schlaf gerissen. Kurz darauf stellt er entsetzt den Grund für die plötzlichen Warnsignale fest - in Shiganshinas Straßen laufen menschenähnliche Kreatu...