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-Levis Sicht-

Es war mitten in der Nacht, als unsere Zelle aufgestoßen wurde. Ich erkannte die Silhouette einer Person. Sie war klein und schmal. Es war Isabel, die im Raum stand. Um ihrem Körper lag eine dünne Decke und auf dem Boden lag Kleidung.

Mit schwachen Schritten ging sie auf das Bett zu, in dem Erwin lag. Genau genommen humpelte sie. Ich wusste nicht, ob das an der Verletzung an ihrem Fuß lag oder daran, dass ihr ganzer Körper schmerzte.

Erwin richtete sich etwas auf, damit Isabel Platz hatte. Mir fehlte die Energie, um aufzustehen. Vielleicht war es auch besser, einfach liegen zu bleiben. Ich hatte mit eigenen Augen gesehen, was sie ihr angetan hatten. Isabel würde sich wahrscheinlich alles andere als Wohl fühlen, wenn sie wüsste, dass ich wach war und gar nicht schlief. Sie würde sich sicher schämen und mir nicht in die Augen blicken können.

Erwin würde sich um sie kümmern. ,,Du solltest dir etwas anziehen Isabel", hörte ich Erwin sagen. ,,Sie werden mir die Kleidung sowieso wieder ausziehen." Die Stimme dieses Mädchens war schwach und zerbrechlich.

Es vergingen mehrere Minuten. Ich spürte jemandes warmen Atem auf meiner Haut und bemerkte dann, dass Eren neben mir lag. Ich fühlte, dass seine Hand auf der meinen lag und auch wenn Isabel hier war, zog ich meine Hand nicht weg oder stieß Eren von mir. Ich konnte nicht in Worte fassen, wie sehr ich diese Nähe gerade brauchte.

,,Ist dir aufgefallen, dass Eren immerzu an Levi klebt?", hörte ich Isabel fragen, während ich ihre Blicke auf mir spürte. Erwin erwiderte nichts, zumindest nicht mit Worten. ,,Ich verstehe das nicht, Erwin", setzte sie noch an.

Es lag kein Spott in ihrer Stimme. Ihre Tonlage hatte sich nicht geändert. ,,Man könnte meinen, dass er sich in ihn verliebt hat", erwiderte Erwin. Warum warf er noch mehr Holz ins Feuer? Isabel sagte kein Wort mehr. Ihr fehlte die Kraft, sich Gedanken über Erens Verhalten mir gegenüber zu machen.

,,Denkst du er ist glücklich?"

,,Wer?"

,,Levi."

Isabels Frage beschäftigte mich. Sie beschäftigte mich sehr. Es war nicht so, dass ich unglücklich war. Ich hatte viele Menschen verloren, aber ich hatte immer noch Freunde, die ich liebte. Und mal abgesehen davon, dass ich bald sterben würde... Ich hatte jemanden kennengelernt, dem ich mein Leben anvertraute.

Während meine verletzte Hand auf meinem Bauch lag und von Erens Hand umschlossen wurde, legte ich meine freie Hand um seinen Körper. Er schlief tief und fest und vermutlich wusste er noch nicht einmal, dass er neben mir seine Augen geschlossen hatte und seine Lippen und sein Atem meinen Hals streiften.

,,Ich möchte mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich bin mir sicher, dass Levi etwas in Eren gefunden hat, nach dem er sich so sehr gesehnt hatte."

Ich wünschte Eren könnte diese Worte hören. Ich spürte Tränen über meine Wangen laufen. Mein linkes Auge schmerzte immer noch, es war blau und angeschwollen, dass ich weinte, war nicht gut.

,,Bin ich ein schrecklicher Mensch, Erwin? Ich habe nie gewollt, dass Levi... Ich wusste nicht..." Isabels Stimme brach und ich hörte sie weinen. Ich konnte nicht ahnen, weshalb sie weinte. Erwin flüsterte ihr etwas zu und tröstete sie.

Ich würde wohl nie erfahren, was in dem Kopf dieses Mädchens vorging. Vermutlich wusste sie es selbst nicht. Ihr Freund war verstorben und keine zwei Tage später hatte man ihr ihren Stolz und ihre Würde genommen und sie gebrochen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Isabel nachgab und nicht mehr kämpfte.

Vielleicht war auch ich derjenige, der aufgeben wollte.

[...]

Am nächsten Morgen wurde ich durch Isabels Schreie wach. Ich richtete mich auf und sah, wie sie aus der Zelle gebracht wurde. Der Mann, der bei ihr war, umgriff ihren Arm; er war schon tiefrot angelaufen.

Eren saß neben mir auf dem Bett und hatte seine Beine zu seinem Körper gezogen, sein Rücken lehnte an der Wand und sein Kopf war gesenkt. Auch Erwin hielt seinen Kopf gesenkt. Würden wir uns für sie einsetzen, würden sie es definitiv an ihr auslassen, wenn nicht an mir.

,,Sie wird zusammenbrechen, wenn sie so weiter machen", hörte ich Eren sagen. Seine Beine waren nicht mehr nackt, er trug eine Hose. Und auch Erwin trug seine Kleidung wieder. Sie war zwar dreckig, aber immerhin besser als nichts. Es vergingen Stunden, in denen wir einfach nur dasaßen und nichts taten.

Irgendwann hörte ich Schritte. Reiner stand vor dem Gitter und schob uns herzlos zwei Tabletts mit Essen durch die Tür und jeweils eine Flasche Wasser für uns.

,,Was ist mit Isabel?", fragte ich, woraufhin dieser Wichser mit seinen Schultern zuckte. ,,Wenn wir fertig mit ihr sind, kann sie was von dem essen, was ihr ihr übrig lasst, haben", gab er mir als Antwort. Ich merkte nicht, dass ich vor Wut aufgestanden war und auf Reiner hatte zugehen wollen, bis Eren mich am Arm packte und mich zurück auf das Bett zog.

Reiner schloss die Tür ab und verließ den Flur. Eren ging auf die Tabletts zu. Vier Brote, etwas Gemüse aus der Dose und zwei Dosen Ravioli. Eren stellte eine der Dosen und eine Wasserflasche auf Seite. ,,Für Isabel. Das Brot wird trocken, bis sie wieder hier ist", sagte er. Auch eine Gabel legte er für sie auf Seite.

,,Wie teilen wir den Rest auf?", fragte er und blickte in die Runde. ,,Ich kann auf die Nudeln verzichten, ich gebe mich mit dem Brot und etwas Wasser zufrieden", setzte er noch an. ,,Ich verzichte auch auf die Nudeln", stimmte ich zu, ,, Erwin verbraucht mehr Energie als wir."

Damit bekam Erwin die Ravioli. Eren und ich teilten uns das Brot und das Gemüse. An dem Wasser bediente sich jeder, der durst hatte.

Wir alle waren bis Mitternacht wach, aber Isabel kam nicht zu uns zurück. Das Wasser und die Konserve lagen auf dem Tablett an der Wand, keiner von uns rührte sie an. Auch am nächsten Morgen sah ich kein Mädchen mit rotem Haar.

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Monster [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt