1. Blühende Visionen

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Kuno hat eine Art und Weise sich zu bewegen, welche zum einen an einen anmutigen schwarzen Panther erinnert, der jedoch gleichzeitig manchmal auch ein ziemliches Faible für Tollpatschigkeit besitzt.

Es ist sozusagen eine Mischung aus den beiden Dingen, die ihn in einer gefährlichen Kombination fortbewegen lässt und sich dabei direkt und immer tiefer in mein Herz gräbt.

Unglaublich tief. So sehr, dass ich es manchmal nicht mehr schaffe zu atmen, sobald meine Augen ihn erblicken. Zumindest für einen kurzen Moment. Danach kommt der Atem dann wie eine Welle zurück.

Als hätte ich mich die ganze Zeit, die er nicht da war in der Ebbe befunden, bis er dann, wie die Flut wieder zu mir kehrt und mich einfach mit sich reißt. Und ich lasse es gerne zu. Oh ja, das tue ich.

Ich betrachte ihn, während er in das Buch vertieft ist, welches ich ihm ausgeliehen habe. Vielleicht ist es keine gute Idee, dass er dabei durch die Gegend läuft. Immerhin wäre er gerade schon einmal fast gestolpert und hat sich dabei auch noch das Schienbein an der kleinen Bank angehauen. Das habe ich genau gesehen. Er selber jedoch scheint den Schmerz kaum wahrzunehmen.

Genauso wenig, wie er mich bemerkt hat. Ich finde es faszinierend, ihn dabei zu beobachten, wie er zwischen die Zeilen abtaucht und ich kann genau sehen, wie die Gedanken hinter seiner Stirn wieder auf Hochtouren arbeiten. Was er wohl gerade denkt, oder versucht zu entschlüsseln? 

Sicher will er damit meiner Existenz auf die Schliche kommen. Zumindest vermute ich das, da er im Moment seine Augenbrauen auf genau dieselbe Weise zusammenzieht, wie er es immer macht, wenn er mich zu ergründen versucht.

Ich frage mich, weshalb er sich mit dem Buch nicht einfach irgendwo hinsetzt, wenn er sowieso hier auf dem Parkplatz auf mich wartet. Aber Kuno zu verstehen ist eine Sache, die ich noch nicht so ganz durchschaut habe.

Er steht nun einfach bewegungslos vor der Bank, ohne sie jedoch zu beachten. Die Nase tief in den Seiten. Ob ich ihn erschrecken soll? 

Ich beiße mir auf die Lippen. Wäre das fies? Ich könnte mich anschleichen...

Ich muss mir ein Kichern unterdrücken, als ich mich von hinten leise an ihn heranpirsche. Die vereinzelten Leute um uns herum werfen uns neugierige Blicke zu. Sie durchschauen wohl, was ich vorhabe.

Als ich nahe genug bin, lege ich von hinten schnell meine beiden Hände auf seine Augen, sodass er nichts mehr sehen kann. Sofort reißt er seinen Kopf hoch und schnappt hörbar nach Luft.

„Waldmädchen", haucht er leicht atemlos. Ich kichere, woraufhin er sich zu mir umdrehen will, dabei aber das Gleichgewicht verliert und irgendwas mit seinen Füßen veranstaltet, sodass er im nächsten Moment dann doch rücklings auf der Bank landet. 

Er reißt seine Augen auf und richtet sich im selben Moment auch schon wieder, in einer betont anmutigen Bewegung auf, sodass sich seine geballte Präsenz mit Schwung direkt vor mir aufbaut und mir augenblicklich jeglichen Atem raubt. Vor allem, als sein freier Arm sich auch noch um meine Taille schlingt und mich ruckartig zu sich heranzieht.

Seine tiefen, dunklen Augen liegen dabei erheitert und ein klein wenig angestachelt auf mir. „Na warte, langsam wird der Speicher meiner Notizen aber schon übervoll."

Ich ziehe irritiert meine Brauen hoch. „Was für Notizen?" 

„Für all die unartigen Dinge, die du dir bei mir hast zuschulden kommen lassen und einer Revanche bedürfen."

Ich schlucke. Upsi. 

„Ach, ist ja interessant. Was denn zum Beispiel?"

Kunos Grinsen wird breiter. „Zum Beispiel gestern, als du mir vorgegaukelt hast, dass auf meinem Arm eine Spinne sitzt und ich dadurch die ganze Zeit abgelenkt wahr."

Tanz mit dem Morgentau - Das Geheimnis der Tränen ~ Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt