35. Strickleitern im Geäst

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Er führt uns zu seiner Wohnung, doch diese ist nicht wie erwartet das kleine Häuschen, an welchem wir vorbeigelaufen sind, sondern ein kleines Baumhaus hinten im Wald, das von Außen eher unscheinbar wirkt. Beeindruckt sehe ich hinauf. Kunos Gesicht macht hingegen eher einen etwas angespannteren Eindruck. 

Er hat zwar letztens an der Klippe seine Höhenangst bezwungen, doch wer weiß, ob diese wirklich ganz weg ist?

„Die andere Hütte nutze ich nur für den offiziellen Besuch, für Post und um keine Aufmerksamkeit zu erregen", erklärt Aden und lächelt, als er meine Begeisterung bemerkt.

„Hier können wir in Ruhe erzählen. Es liegt ein Bann um das Baumhaus, sodass es nicht von allen Menschen so schnell gesehen werden kann. Auf jeden Fall, solange ich es ihnen nicht ausdrücklich gewähre. Sein Blick gleitet vielsagend zu meinem Freund, welcher bisher noch keinen Mucks von sich gegeben hat.

„Wie viel weiß er über uns?", wendet er sich wieder an mich. „Alles", sage ich ohne zu überlegen und frage mich im nächsten Moment, ob das wirklich stimmt. Weiß ich überhaupt selber schon alles? Ich vermute mal nicht.

„Gut, dann wartet einen Moment hier." Einen Wimpernschlag später hat er sich in die Winde erhoben und ist mit rauschendem Getose in den Baumwipfel gesaust, da es ja anscheinend keinen anderen Eingang dafür gibt.

Kuno blinzelt. Anscheinend ist ihm diese Eigenschaft immer noch etwas ungewohnt. Einen Augenblick später wird eine Schnur mit dicken Knoten hinuntergelassen, an der man hinaufhangeln kann.

Meine Augen glänzen vor Begeisterung. Genauso wollte ich auch schon immer mal wohnen. Im nächsten Moment steht Aden wieder neben mir und grinst mich an. „Du bist also zur Hälfte Mensch." Ich nicke und bohre schon wieder nervös meine Zehen in die Erde.

„Wie ist das dann bei dir. Kannst du dich mit dem Wind verbinden?" Ich sehe beschämt zur Seite. „Nicht so richtig. Nur so ein bisschen. Ich kann die Luft fühlen und sie bewegen, aber ich selber bleibe in meinem Körper."

Er nickt verstehend. „Dann nimmst du am besten auch die Leiter, richtig?" Ich schenke ihm einen zustimmenden Blick, ehe dieser zu Kuno wandert, der im selben Moment schluckt und nervös auf das Seil starrt. Aden scheint das jetzt auch zu bemerken.

„Du magst Baumhäuser nicht so?" Kuno stellt sich betont locker hin und zuckt übertrieben unbeteiligt die Schultern. „Quatsch, die sind super." Er räuspert sich und blickt dann wieder nach oben, ehe er tief durchatmet.

„Er ... hat es nicht so mit der Höhe", erkläre ich, woraufhin ich einen entgeisterten Blick meines geliebten Dunkelschopfs kassiere. „So ein Blödsinn. Die Höhe macht mir nichts aus, das hast du doch letztens gesehen!"

Ich hebe zweifelnd eine Braue. Er muss doch jetzt nicht den Furchtlosen spielen.

„Sonst können wir auch ins Haus gehen", schlägt Aden vor, doch Kuno schüttelt bestimmt den Kopf. 

„Nein-nein, schon gut. Wirklich. Das ist echt kein Problem." Ich bin kurz davor die Augen zu verdrehen, aber kann es mir gerade noch verkneifen.

„Na dann." Aden grinst. Es scheint ihn irgendetwas zu amüsieren, oder er ist einfach überwältigt von der Neuigkeit, dass er jetzt Vater ist. Immer wieder wirft er mir einen Blick zu, der mein Inneres ganz wohlig warm werden lässt.

„Ladys first", raunt Kuno mir zu und deutet angespannt auf das Seil. Hat er etwa Angst, dass ich runterfalle? Zumindest stellt er sich so hin, als würde er mich im Fall der Fälle auffangen wollen. Ich muss schmunzeln und greife nach dem Strick. Aden steht neben mir und nickt mir zu, als ich ihm noch einmal einen Blick schenke, ehe ich mich geschwind hinaufhangele.

Tanz mit dem Morgentau - Das Geheimnis der Tränen ~ Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt