41. Scharlachrot

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Elchor. 

Bitte nein. Er braucht meine Hilfe. Sofort!

„Anella, sieh mich an", dringen plötzlich Worte zu mir durch. Hände, die mein Gesicht halten. „Du musst atmen Anella. Es ist ein Traum, hörst du! Ein Traum."

Kunos Worte dringen wie durch Watte zu mir, ohne, dass ich ihre Bedeutung greifen kann. Mein Atem geht flach und unglaublich schnell. Fast so schnell wie mein Herzschlag.

„Anella, hörst du mich?" Ich spüre Finger, die mir übers Gesicht streifen. Wieder wische ich mit meinem Handrücken über die Stirn, aber diese rote Markierung geht einfach nicht weg. Als stehe mein Urteil und das des Waldes schon festgeschrieben.

„Rot, überall ist rot", keuche ich und rubbele weiter panisch an meiner Haut, bis Kuno meine Handgelenke greift, um mich davon abzuhalten.

„Anella, was ist los?"

„Tod. Sie sterben. Alle", hauche ich mit bebender Stimme. Angst krallt sich in meine Gedärme und lässt kalte Schauder durch meinen Körper zucken. Vor meinen Augen sehe ich immer noch den Wald. Höre die schmerzhaften Rufe. Ihr verzweifeltes Wispern nach Hilfe.

„Wir müssen los, sofort", keuche ich und will schon aufspringen, doch zwei starke Arme halten mich zurück.

„Was? Wer stirbt? Wohin?"

„In den Wald. Nachhause. Elchor", wimmere ich und erst da scheint Kuno zu verstehen. Sein Körper spannt sich noch weiter an, das fühle ich durch die Luft, auch, wenn ich ihn nicht wirklich sehe. Doch ... jetzt sehe ich ihn. Mein Blick klärt sich langsam, mein Atem allerdings bleibt unverändert.

„Du meinst, er ist in Gefahr?"

Ich nicke verzweifelt. „Wir müssen los, sofort! Da sind Striche. Überall rote Linien auf den Bäumen."

Kuno reißt seine Augen auf. „Du meinst ..." Sein Kiefer presst sich aufeinander und ich merke, wie Wut in ihm hochkocht. „Das kann nicht sein. Hendrik hat ..." Seine Hände ballen sich zu Fäusten und sofort springt er auf, um sein Handy aus der Tasche zu greifen. 

„Garret?" Einen Moment höre ich nichts. „Verdammt, geh ran!", murmelt er angespannt in den Hörer. Als es nicht klappt, wählt er eine andere Nummer und hält das Gerät angespannt an sein Ohr. „Ja, ich bin's", antwortet er auf die Stimme am anderen Ende.

„Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe, aber ich habe eine wichtige Frage. Hast du in letzter Zeit irgendetwas wegen des Waldes mitbekommen, wenn du mit Jayden und Liliane bei meinem Onkel warst?" 

Seine Lippen pressen sich unzufrieden zusammen und ich sehe in seinen Augen, dass er nicht die Antworten bekommt, die er sich erhofft hat.

„Okay, verstehe. Trotzdem danke Miri ... ... Ja das ... sollte ich vielleicht." Sein Kiefer wirkt noch verkrampfter, als er wohl an etwas, oder jemanden bestimmtes denkt.

Mein Körper zittert und ich kann immer noch nicht wirklich atmen, was Kuno mit einem besorgten Seitenblick registriert. 

Ohne sich zu verabschieden, legt er auf und rutscht auf mich zu. Höflichkeit stellt er gerade wohl hinten an. Auch in seinen Augen sehe ich inzwischen die Angst. Vor allem, als sie auf meiner Stirn liegen bleiben, die ich gerade schon wieder begonnen habe zu reiben.

Inzwischen ist sie davon schon so gereizt, dass sie anfängt zu brennen, aber ich kann einfach nicht aufhören. Sofort greift seine Hand nach meiner. „Was tust du da?", will er wissen, doch ich bin nicht dazu in der Lage zu antworten. 

Seine Brauen wandern besorgt zusammen, während seine Lippen sich zu einer geraden Linie pressen. 

Elchor. Elchor muss leben. Bitte. Er darf nicht ... Ein schmerzhaftes Keuchen frisst sich aus meinem Rachen. 

Tanz mit dem Morgentau - Das Geheimnis der Tränen ~ Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt