POV Anella
Elchor. Er ist tot.
Nicht mehr da.
Wird niemals wiederkommen.
Er ist gefällt und es zerreißt mich innerlich auf eine Weise, die mir die lebendige Sonne aus den Zellen saugt. Wie kann das sein? Unter mir pocht sein verbliebener Stumpf. Der nachbebende Schmerz sitzt tief in ihm, sowie auch meinen Kochen. Tränen laufen aus meinen Augen und benetzen das offene Holz. „... So leid. Es tut mir so leid. Elchor."
Ich habe keine Kraft mehr. Wie kann es sein, dass mein Baumfreund plötzlich nicht mehr da ist? Ich will es gar nicht begreifen. Ich kann es nicht. Wieso musste er gehen? Ich liebe ihn doch so sehr. Oh Elchor.
„Nein", hauche ich. Meine zitternden Handflächen auf die Schnittstelle gelegt. Sein frischer Duft dringt noch aus seinen eben noch lebenden Zellen und verflüchtigt sich in die verschiedenen Ebenen. An der einen Seite ist er gesplittert. Vermutlich haben sie den Stamm umgerissen, noch ehe sie alles durchsägt hatten.
Alles in mir krampft sich schmerzhaft zusammen. So groß und mächtig ist er gewesen. Elchor... Er war immer für mich da, wenn es sonst niemand war. Er ist... war mein Zuhause. Wieso konnte ich nicht einmal da sein, wenn du mich brauchst?
„Elchor." Sein Name bleibt mir kratzend im Hals stecken und der Schmerz ätzt sich durch jegliche Zellen, als würde ich ausgebrannt.
Energie fließt aus meinem Körper wie Blut und vermischt sich mit den Überresten meiner geliebten Eiche. Ihr Stamm liegt breit und mächtig neben uns auf dem Boden. Einige Äste abgesplittert und merkwürdig verdreht. Die Astgabelung, auf der Kuno und ich vor wenigen Stunden noch gelegen haben und auf der ich zusammen mit dem Vogel so viele kostbare Momente meines Lebens verbrachte, ist nun nicht mehr wiederzuerkennen. Nicht mehr da.
Mein Nest. Der sichere Hafen, von dem aus niemand mir etwas antun konnte. Elchors offenes Herz, das jeden mit unglaublicher Liebe empfing, der sich dieser himmlischen Umarmung öffnete. Er hielt sie für jeden bereit. Ganz ohne Vorurteile. Ohne einen Unterschied zwischen den Menschen zu machen. Unvoreingenommen.
Elchor liebte alle. Vermutlich sogar diejenigen, die ihm das hier angetan haben.
Er war so kraftvoll und zugleich so sanft, wie ein Schmetterlingshauch. Er hatte so vieles zu erzählen und ich habe es geliebt, ihm zuzuhören. Ich hätte es mein ganzes Leben lang gerne getan, ohne, dass es mir langweilig wäre.
Lieblich und rein, wie eine Feengestalt selbst, die man aus den Märchen kennt, hat er sich um die Herzen geschmiegt. Mit seinen raschelnden Blättern Gänsehautschauder über den Körper flüstern lassen und alle Schwere mit sich genommen. Elchor war so viel mehr, als ein Baum. Er trug die gesamte Welt in seinen Armen. Das habe ich jedes Mal gespürt, wenn ich mich in ihm fallenließ.
Weitere Tränen verlassen meine Augen und tasten sich brennend meine Wangen hinab Wieso nur. Elchor, wieso bist du nicht mehr da?
„Anella, was ist mit dir? Ist es wirklich der Baum?" Viviens Stimme dringt wieder in den Vordergrund. Ihre Hand auf meiner Wange.
Ein Holzfäller nähert sich. Überall ist Aufruhr. Menschen, die sich den Maschinen in den Weg stellen. „Kannst du uns hören?", ist es jetzt Simo, der fragt. „Anella bitte. Bitte sag uns was los ist", ertönen auch Nilos ängstliche Worte. „Was ist nur mit dir?", höre ich Vivien erneut besorgt fragen. Ihre Finger streifen mir dabei durchs Haar.
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Tanz mit dem Morgentau - Das Geheimnis der Tränen ~ Band 3
Romance~ Band 3 ~ Anellas Träume rücken immer näher. Teilweise kommt es ihr sogar so vor, als würde sie diese bereits leben, doch sind sie wirklich so nahe, wie sie scheinen, oder hat sie etwas Grundlegendes übersehen? Was verbirgt sich hinter denen ihres...