KAPITEL DREI

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Die eigentliche Mittagszeit lag schon hinter ihnen, weshalb die kleine McDonalds Filiale, die sie nun betraten, nur spärlich besucht war. Auf dem Weg zu dem Fast Food Restaurant hatte Hanjae nichts weiter zu dem Jungen gesagt, und da dieser von sich aus nicht besonders gesprächig schien, hatten sie die letzten fünf Minuten in Schweigen gehüllt verbracht. Als sie nun vor einem der zwei Automaten standen, an denen man seine Bestellung selbst aufgeben konnte, ohne zu einem der Mitarbeiter an den Schalter gehen zu müssen, wandte sich Hanjae zu dem Jungen um.

»Also, was willst du essen?«

»Isst du Chicken Nuggets? «, fragte der Junge stattdessen, was Hanjae verwirrt den Kopf schütteln ließ.

»Hatte ich eigentlich nicht vor.«

»Ich will süß-sauer Sauce.«

Hanjae seufzte und fuhr sich durch seine Haare. »Dann nimm Nuggets, das geht klar.«

Diesmal war es der Junge — dessen Namen Hanjae immer noch nicht wusste — der seinen Kopf schüttelte und an ihm vorbei auf den Touchscreen schaute. »Ich mag keine Chicken Nuggets.«

Hanjae atmete tief ein und startete die Bestellung. »Wie tragisch, dann nimm halt keine. Aber such' dir jetzt etwas aus, ich habe Hunger«, erwiderte er und wählte für sich selbst einen Burger — einen McChicken Classic, so wie immer — und eine Pommes aus. Dazu eine Sprite Zero.

»Du bist wirklich alt, wer bestellt denn schon einen Zero Softdrink, während er Burger isst«, warf der Junge ein und berührte dann selbst den Touchscreen.

»Und du bist wirklich ziemlich dreist, haben dir deine Eltern überhaupt keine Manieren beigebracht?« Hanjae bereute seine Worte, als er den Jungen kaum merklich zusammenzucken sah, er jedoch nicht verbal darauf reagierte. »Bestell jetzt endlich einfach etwas«, seufzte er und schaute sich währenddessen in dem kleinen Lokal um, in dem er zuvor erst einige wenige Male gewesen war.

»Okay«, kam es von dem Jungen und Hanjae wandte ihm wieder seine Aufmerksamkeit zu.

»Fertig? « Er trat nach vorne und warf einen raschen Blick auf die gesamte Bestellung — der Junge hatte drei doppelte Cheeseburger und eine Cola ausgewählt; er musste anscheinend wirklich Hunger haben. Wortlos bezahlte Hanjae mit Karte und wandte sich dann zu dem Jungen zurück, der schweigend neben ihm stand: »Ich hole die Bestellung ab, such du schon einen Sitzplatz.« Er hatte nicht die Befürchtung, dass der Junge die Chance ergreifen und weglaufen würde — dafür schien der Hunger viel zu groß, als dass er das kostenlose Essen deswegen sausen lassen würde. Und auch wenn der Junge seine Nerven strapazierte — Hanjae war immerhin gut erzogen worden und hielt nicht viel von so einem unsittlichen Verhalten — so bereitete es ihm in gewissermaßen ein gutes Gewissen, dass er dem Jungen etwas Gutes tat, indem er ihm etwas zu Essen kaufte. Auch wenn er nur wenige Minuten zuvor noch sein Fahrrad stehlen wollte.

Während er vor der Theke auf ihre Bestellung wartete, suchte sein Blick den Jungen mit der Beanie auf dem Kopf und fand ihn in einer Ecke sitzend, in der Hand eine Servierte, die er augenscheinlich gedankenverloren faltete. Hanjae hatte erwartet, dass der Junge beim Warten auf seinem Handy herumspielen würde, so wie er es selbst tun würde, wenn er nicht damit beschäftigt wäre, den Jungen selbst zu beobachten, aber das tat er nicht. Entweder war er nicht so Smartphone abhängig, wie der Rest seiner Generation — oder er hatte keins, doch Variante Zwei hielt der Detective eigentlich für unwahrscheinlich, immerhin trug der Junge Vans, auch wenn sie schon ausgetragen zu sein schienen.

»228!«

Hanjae riss seinen Blick von ihm los und holte das Tablett mit ihrer Bestellung ab, ehe er zu dem Jungen hinüberging und sich ihm gegenüber auf der Sitzbank niederließ. »Guten Appetit«, wünschte er, aber da hatte der Junge schon in seinen Burger gebissen und schien förmlich in den Sitz hineinzuschmelzen, so zufrieden wirkte er plötzlich. »Wie heißt du eigentlich?«, fragte Hanjae und wickelte nun ebenfalls seinen Burger aus. Er inspizierte kurz den Burger, ehe er den ersten Bissen nahm und den Blick des Jungen suchte. Er wollte sein Gegenüber nicht weiterhin gedanklich nur als Jungen bezeichnen, er gab ihm etwas zu Essen aus, da hatte er es wenigstens verdient seinen Namen zu erfahren, nicht wahr?

»Casper.«

Der Junge sprach mit vollem Mund und machte sich nicht die Mühe erst fertig zu kauen, bevor er Hanjae antwortete.

»Was?«

»Jasper«, wiederholte er auf die Nachfrage, diesmal deutlicher.

»Freut mich, Jasper. Ich bin Hanjae.« Der Junge, zu dem er nun endlich einen Namen hatte, schenkte ihm nur eine flüchtige Sekunde Aufmerksamkeit, ehe er einfach weiter aß und nach kürzester Zeit nach dem zweiten Cheeseburger griff.

»Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?«

»Gestern Morgen.«

»Lebst du auf der Straße, Jasper?« Er hatte die Frage nicht laut aussprechen wollen, zumindest nicht so unhöflich und direkt, aber da war sie ihm schon über die Lippen gekommen.

Ein Husten ertönte und Jasper röchelte nach Luft — ob nun wegen der Frage, oder weil er zu schnell gegessen hatte, Hanjae vermochte es nicht zu sagen.

»Sehe ich etwa so aus?«, fauchte Jasper aufgebracht, aber sein Gegenüber zuckte nur mit den Schultern.

»Ich sehe' auch nicht wie 35 aus, also darf ich ja wohl die Frage stellen, meinst du nicht?«

»Nein verdammt, das geht dich ja wohl nichts an. Du hast mir was Essen gekauft, deswegen bist du nicht direkt mein Vaterersatz oder sonst irgendetwas. Also hör auf mit den Fragen!«

»Ich bin nicht so alt!«, entkam es Hanjae als einzige Antwort, doch Jasper lachte nur — zum ersten Mal. Der Junge hatte ein schönes Lachen, stellte Hanjae fest, während er seinen ersten Burger aufaß und Jasper nicht aus dem Blick ließ.

»Wie alt bist du? Vielleicht werde ich dann endlich das Gefühl los, dass du mein Sugardaddy werden willst«, fragte Jasper von sich aus seine erste Frage, auch wenn sie Hanjae nicht gerade schmeichelte.

»Ich bin 28«, setzte er an, »und bestimmt nicht daran interessiert, dein Sugardaddy zu werden, was zur Hölle! Wie kommst du eigentlich auf so eine Idee!« Er schüttelte unzufrieden seinen Kopf.

Jasper zuckte seine Schultern und öffnete die Verpackung des Strohhalmes, den Hanjae zu seinem Getränk gelegt hatte und steckte ihn in die Cola. »Du strahlst einfach diesen Vibe aus. Diese protzige Uhr«, Jasper deutete auf das Handgelenk von Hanjae, der zuvor seinen Mantel ausgezogen und über die Lehne gehängt hatte, »dieser wannabe Christian Grey Mantel—«, Jasper unterbrach sich für einen Moment selbst und schien zu überlegen, »und dein Verhalten. Du bezahlst mir etwas zu Essen. Ich meine, ich wollte dein Fahrrad klauen! Ich will mich nicht darüber beschweren, aber... das ist schon verdammt bescheuert, findest du nicht? Wer macht schon so etwas?«

»Das ist verdammt nett, nicht bescheuert«, verteidigte Hanjae sich und sein Verhalten halbherzig selbst. »Findest du wirklich, dass der Mantel so schlimm aussieht?«

»Nein, er sieht bonzig und sexy aus. Deswegen ja, Christian Grey.« Hanjae spürte, wie seine Wangen ungewollt warm wurden und er senkte seinen Blick auf seine noch nicht aufgegessenen Pommes. »Und auf deine Frage zurückzukommen, nein. Also nicht wirklich. Vielleicht temporär.«

»Wie meinst du das?«, fragte Hanjae nach.

»Ich lebe nicht auf der Straße. Mein Stiefvater hat mich rausgeschmissen, also wollte ich zu meinem Freund. Der ist aber aus irgendeinem Grund seit drei Tagen nicht bei sich in der Wohnung und ich konnte ihn nicht anrufen, weil mein Stiefvater mein Handy einbehalten hat. Und zusätzlich wurde auch meine Bankkarte gesperrt. Ich bin richtig blank und aufgeschmissen.« Er verputzte den Rest seines Burgers. »Also penn' ich seit zwei Nächten auf Parkbänken. Leider hatte ich kaum Bargeld dabei und das wenige Geld, was ich hatte, ist mittlerweile auch weg. Und solange mein Freund kein Lebenszeichen von sich gibt...« Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung was ich genau machen soll.«

»Klingt ziemlich beschissen«, meinte Hanjae, dem Jasper augenblicklich leidtat. Was hatte er gemacht, dass seine Eltern eine so drastische Maßnahme für nötig hielten, ihn ohne finanzielle Mittel vor die Tür zu setzen? Was berechtigte oder entschuldigte gar so ein Verhalten? »Es soll die nächsten Tage nachts fast bis 32°F runter gehen. Da kannst du nicht draußen schlafen.«

»Ich weiß.«

»Du wirst draußen erfrieren, du hast nicht mal eine Jacke«, merkte Hanjae an, was Jasper seufzen ließ.

»Danke, das ist mir noch gar nicht in den Sinn gekommen.« Der Junge fuhr sich durch sein Gesicht und knüllte das Burgerpapier vor sich zusammen, ehe er seinen Fokus wieder Hanjae zu wandte, der ihn beobachtete. 

»Du kannst mit zu mir kommen, bis du deinen Freund erreicht hast.«

Mr. PolicemanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt