Das diese Wesen allesamt schön waren, war nichts Neues für mich. Selbst ich fand mich nicht hässlich und wusste bisher nicht warum ich eigentlich körperlich perfekt war. Denn irgendwie hatte jeder einen Makel, doch in diesem Raum war da nichts. Rein gar nichts. Vielleicht besaß der ein oder andere ein paar Narben, die denjenigen aber nicht hässlich machten, sonst war jeder einzelne Anwesende vom Körperbau wunderschön. Doch diese Frau, die nun den Saal, betrat war atemberaubend. Sie war anders als ich. Ihr schwarzes, schulterlanges Haar war in einem perfekten Bob geschnitten und glänzte im matten Schein der Kronleuchter.
Ihre Haut, in einem leichten Bronzeton, zeigte, dass ihre Wurzeln nicht von hier stammten. Als sie sich vorstellte, verbeugte sie sich schon fast ehrfürchtig vor meinem Großvater, ebenso senkte sie auch bei mir den Kopf. »Mein Name ist Yanara; diesen Namen gab mir meine Großmutter und bedeutet strahlendes Licht.« Einen kurzen Moment dachte ich über meinen nach. Ich wusste, dass June der Monat Juni bedeutet, beziehungsweise im Juni geboren. Meiner hatte nicht wirklich eine große Bedeutung, dennoch gefiel er mir. Allerdings war die junge Frau genauso außergewöhnlich wie ihr Name. Das passte perfekt. Immer wieder hörte man Raunen, Räuspern und Staunen von den Anwesenden, was ihr galt. Sie stand nun im Mittelpunkt. Gott sei Gedankt.
»Ich bin vor einem Jahr in die Saaten ausgewandert, weil ich leider nur noch meine Großmutter hatte, die verstarb. Mein Vater verschwand damals, als ich geboren wurde, und meine Mutter überlebte nur die Geburt. Danach starb sie. Ich habe gehört, dass das Rudel auch aus Halbblütern besteht. Ich möchte gern zu einem gehören und natürlich auch einem Alpha treu dienen. Dabei steht die Unterstützung meinerseits an oberster Stelle. Ich werde dienen, so wie es von mir verlangt wird. Mit meiner Stärke, meinem Geist, meinem Körper.«
Mein Großvater hob das Kinn in die Höhe, gewährte ihr nicht aufzustehen, sagte jedoch: »Du bist mit den Regeln des Rudels vertraut worden und möchtest noch immer dazugehören?« Eilig nickte sie, und ihre Haare fielen wie ein leichter Fächer vor und zurück. Sie war wirklich wunderschön. Da sie nackt war, sah man natürlich ihren ganzen Körper, der ebenso perfekt zu sein schien. Sie war groß für eine Frau, doch wirkte dennoch weiblich. Ihre Brüste waren voll und straff, und ihre Haut wies keinen einzigen Makel auf. Wäre ich ein Mann gewesen, hätte ich wahrlich genauso dagesessen, wie die anderen im Moment auch, denn ich konnte sie sehen, die Männer, wie ungeduldig sie auf ihrem Hintern herumrutschen.
»Ich frage dennoch noch einmal: Bist du dir wirklich sicher, dass du hier in dieses Rudel aufgenommen werden möchtest? Mit allen Pflichten?« Ihre Stimme klang kräftig, der Dialekt kaum zu überhören. »Ja! Ich möchte diesem Rudel beitreten. Mit allen Rechten und Pflichten.« Erneut nickte mein Großvater und betrachtete ihren Körper mit leuchtenden Augen. Fast hätte ich vergessen, dass er auf junge Frauen stand und als ich daran dachte, wie er mir zusah... Er war nicht der normale Verwandte. Nein. Auch wenn ich einen Moment fast dachte, er wäre nett, war es dennoch nicht normal. Und das sah man auch wieder in seinen Augen.
Im Anschluss wedelte er mit der Hand und zeigte auf die Mitte des Kreises. Niemand blieb sitzen, alle standen auf, drehten sich in unsere Richtung, stellten sich in eine Reihe auf und kamen langsam auf uns zu. Es war so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. »Was werden sie tun?«, fragte ich meinen Großvater. »Yanara wird das Blut des Rudels empfangen.« Was? Ich verstand erst nicht, was er damit meinte, doch als er aus seiner Hose an der Seite einen silbernen Dolch hervorzog und zu ihr schritt, dämmerte es mir, was er vorhatte.
Er gab dem ersten Mädchen des Rudels die Scheide in die Hand. Leicht lächelte diese und schnitt sich in die Hand. Parallel kniete sich Yanara auf den Boden, neigte den Kopf in den Nacken und öffnete die Lippen, um ein paar Tropfen in sich aufzunehmen. Ein mulmiges Gefühl bereitete sich in mir aus. Zum Glück musste ich das nicht durchmachen, doch ich blieb still und beobachtete alles. Ich hätte ihnen wahrscheinlich vor die Füße gekotzt. Und diese Zeremonie wiederholten tatsächlich alle Anwesenden, und nun sah ich auch Drake. Keine Ahnung, ob er zwischendurch auftauchte, er war auf jeden Fall wieder da. Außer Ethan. Von ihm blieb keine Spur.
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Midnight - Ruf der Wölfe
WerewolfWas, wenn du in eine Welt tauchst, die du niemals für möglich hältst? Das erlebt die junge June Glayton, die auf einen dunklen Pfad des Unwirklichen gerissen wird. Sie erkennt schnell, dass Realität und Fantasie nahe beieinanderliegen. Dinge gesche...