00 - prolog

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Der Junge und das Mädchen
liebten sich.
Der eine wusste es.
Die andere noch nicht.


Der Junge und das Mädchen saßen an einem Felsen, der sich Skull Rock schimpfte. Eine Taschenlampe lag achtlos im vertrockneten Laub und spendete nur mäßig Licht. Der Junge und das Mädchen tranken Dosenbier um die Wette. Sie gewann, aber sein Rülpser war lauter. Kichernd saßen sie nebeneinander und er stieß sie mit der Schulter an.

"Ich werde dein hässliches Gesicht vermissen." sagte sie, als beide wieder zu Atem gekommen waren.

"Ich ruf dich an. Ich terrorisiere dich, damit du froh bist, so weit weg zu sein." Er zog eine Grimasse, aber ihr war nicht mehr zu Scherzen zumute.

"Sag sowas nicht." erwiderte sie leise und  zerrupfte ein trockenes Blatt.

"Ich werde dich auch vermissen." sagte er seufzend und stand auf. Er hielt ihr die Hand hin, um ihr beim Aufstehen zu helfen. "Komm wir fahren heim. Dein Dad bekommt sonst einen Tobsuchtsanfall, wenn du so lange weg bist." sagte er mit einem schiefen Lächeln.

"Ich will an keinen grauen Haaren mehr Schuld sein." Sie ergriff seine Hand und der Junge hievte sie auf die Beine. Beide schwankten leicht, weil sie zu viel Bier in zu kurzer Zeit getrunken haben, aber es war ihr letzter Tag hier und den mussten sie zusammen verbringen. Beide konnten sich nicht ausmalen, wie das Leben funktionieren sollte ohne den anderen. Sie tat einen Schritt auf die Baumreihen zu, aber er hielt immernoch ihre Hand fest und zog sie zurück. "Was ist?" fragte das Mädchen und sah zu ihm auf. Er war schon immer größer gewesen als sie. Selbst im Kindergarten.

"Ich muss dir noch was sagen." begann er und sah mit einem Mal ganz schüchtern aus. Sie legte den Kopf schief und sah ihn aufmerksam an.

"Ja?" fragte sie nach, aber er blieb stumm. Eine ganze Weile sogar. Sie wollte sich gerade seufzend umdrehen, da murmelte der Junge etwas, das wie Scheiß drauf klang, nahm ihr Gesicht in die Hände und küsste sie auf den Mund. Ihre Augen wurden groß. Seine Hände zitterten an ihren Wangen und sie legte ihre darüber. Der Junge schob seine Zunge über ihre Lippen und das Mädchen öffnete den Mund. Sie fuhr mit ihrer Zunge über seine und schmeckte das Bier, das sie getrunken hatten. Sein Kuss war sehnsüchtig, voller Verlangen, aber auch endlich. Die Wärme, die bei seiner Berührung durch ihren Körper strömte, verebbte schlagartig. Warum heute? Warum jetzt? Warum erst kurz vor ihrem Umzug?

"Ich liebe dich. Ich habe dich schon immer geliebt." flüsterte er, als sich seine weichen Lippen von ihren lösten. Fassungslos starrte sie in seine dunklen Augen. "I-I-ich werde dich auch immer lieben. Scheiß auf Kalifornien. Das- das schaffen wir schon irgendwie. Du und ich für immer. Versprochen." Das Mädchen sagte nichts. Sie starrte ihn nur an und versuchte zu verstehen, was passiert war. Er war ihr bester Freund aber er wollte mehr sein als das. Wollte sie das auch? "Sag was. Bitte sag was." flüsterte er zittrig, weil sie immernoch stumm blieb. Diese Sekunden fühlten sich für den Jungen an wie eine Ewigkeit.

"Amelia Waters, wenn du dich immernoch an diesem Felsen herum treibst, dann Gnade dir Gott!" Die Stimme ihres Vaters zerriss die Stille im Wald, die Stille in ihrem Kopf und den Moment, in dem sie etwas hätte sagen sollen. "Hast du mal auf die Uhr geschaut?! Wir müssen morgen früh los."

"Ich muss gehen, tut mir Leid." sagte das Mädchen bloß und ließ sein Geständnis in der Luft hängen. Seine Hände fielen von ihren Wangen und seine Schultern sackten ab. Sie ging auf die Baumreihen zu und drehte sich nicht noch mal um. Sie eilte durch das kleine Wäldchen und alles was ihr blieb, waren seine Worte und das Gefühl seiner Lippen auf ihren. Der Junge rührte sich nicht. Er stand lange da, länger noch als er ihre Schritte und die brechenden Zweige unter ihren Füßen hören konnte. Ihm kroch die Kälte in die steifen Glieder. Ihre letzten Worte hatte er sich anders vorgestellt...

Hide Your HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt