Z w a n z i g

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„Ellie? Eleanor pass bitte auf!"
Mums Stimme, warum war sie nur so ängstlich?
Ich war doch frei.
Frei.
Es fühlte sich wie Fliegen an.
Ich flog in den Himmel. Meine kleinen Hände links und rechts das Seil haltend, unter mir das Brett, welches mir als Sitzfläche diente.
Und dann ging es rückwärts wieder auf die Erde.
Meine winzigen Füße schlitterten über den Boden, als ich noch mehr Schwung nahm.
Schwung, um erneut auf der Schaukel mit den Vögeln zu fliegen.
„Eleanor!"
Warum schrie Mum?
Ich sah nach unten, meine Hände lösten sich von den Seilen und ich fiel.
Der Boden kam rasend näher, erschrocken kniff ich meine Augen zu, als ich immer mehr beschleunigte.
Doch es passierte nichts.
Kein Aufprall.
Keine Schmerzen.
Langsam öffnete ich wieder meine Augen und musste mehrmals realisieren, dass ich wieder in das unendliche Weiß fiel.
Komisch, dass sich Fallen für einen kurzen Moment wie Fliegen angefühlt hatte...

Ich konnte nicht definieren, ob ich weiterhin fiel, oder schwebte.
Alles um mich herum war wieder in diesem beängstigend bekannten Weiß.
Ich fühlte mich leicht, viel leichter als ich hätte sein können.
Beinahe so, als hätte ich alles von mir abgeschüttelt.
All meine Ängste, all meine Hoffnungen, all meine Trauer...
Kleine grauweiße Punkte fingen an um mich herum zu schweben und lächelnd streckte ich meine Hände nach ihnen aus.
Immer mehr erschienen, hüllten mich ein, trugen mich und ließen mich im Glauben, dass ich inmitten eines Schneefalls stand.

War dies nun endgültig?
War dies nun das, was mich für immer begleiten wird?
Es fühlte sich leicht an, so wunderbar leicht.
Ich musste mir um nichts mehr Sorgen machen.
Also warum wollte ich zurück, wenn mich nur Trauer, Schmerz, Unwissenheit und Sorgen erwarteten?

Die Schneeflocken wurden weniger und gaben die Sicht auf etwas frei, dass mir den Atem raubte.
Goldene Punkte, die pulsierend wie Sterne dahinschwebten, rauschende Bilder, die zu schnell vorbei zogen, als das man sie hätte erkennen können.
Sterne.
Goldene Sterne.
Funkelnd.

Ich streckte mein Hand nach ihnen aus.

Was würde passieren, wenn ich einen berührte?

Der Stern war nicht weit von mir entfernt, es fehlten nur wenige Zentimeter.

Zweifelnd sah ich auf meine Füße herab. Ich stand schon inmitten des Weißen auf den Zehenspitzen, aber wenn ich jetzt mich abstieß und sprang, dann...

„Ellie..."
Ich zuckte zusammen und sah mich hektisch um. Es war die gleiche Stimme wie eben.
„Mum?" fragte ich hektisch und sah mich um. Meine Worte hallten nach und als mich diese Stimme ein weiteres Mal rief, schoss mein Blick nach oben. In den Himmel. Zu den Sternen. Zu den Bildern, die viel zu schnell vorbeizogen.
Doch eines war langsamer, spielte sich wie ein Film vor meinen Augen ab.

„Eleanor, mein Schatz..."
Umrisse fügten sich zu einem Gesamtbild zusammen. Braune Haare und ein schmales Gesicht. Kleine Lachfalten um den braunen Augen und über ihr ein Nachthimmel voller Sterne.
Ich schluckte und sah gebannt in diesen Himmel.
„Mum!"
Sie sah nicht her. Sie blickte nur in eine Richtung.
„Weißt du was dir diese Nacht sagt?"
Die Szene veränderte sich, so als würde eine Kamera schwenken.
Und als ich sah, dass meine Mum vor einem kleinen Mädchen kniete, realisierte ich, dass es eine Erinnerung war.
„Was denn, Mummy?" Die Stimme meines jüngeren Ichs war hoch. Viel zu hoch für diesen ernsten Tonfall und den neugierigen Blick.
„Diese Nacht sagt dir etwas sehr wichtiges, Ellie..." Mum legte eine Hand auf die Schulter von meinem zweiten Ich und zeigt mit der anderen auf die vielen Sterne. „Sie sagt dir, dass du mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben, aber dennoch nach den Sternen greifen sollst."

Die Erinnerung verblasste und endete in einem verschwommenen Bild von Mums Gesicht.
„Mum..." flüsterte ich heiser und schreckte langsam meine linke Hand nach dem festhängenden Bild von ihr aus. Fast schien es so, als würde sie vom Himmel auf mich nieder sehen...
„Mum..." Meine Stimme brach und ich spürte, wie mir die Tränen kamen.

Das war meine Mama.
Und sie war wunderschön.
Wollte ich sie vergessen, jetzt wo ich wusste, dass es sie gab und dass sie auf mich wartete?
Wollte ich mich nicht an sie erinnern?
Wollte ich mein letztes Seil, das mich hier auf der Erde hielt, durchschneiden, nur damit ich springend einen Stern erreichte?

Lost souls • ElounorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt