[ Prolog ]

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Entnervt massiere ich meine Schläfen. Seit geschlagenen 30 Minuten labert mich dieses Mädchen jetzt schon mit ihren Problemen voll und ich habe immer mehr den Drang mir glühende Lava in die Ohren zu gießen. Gedanklich habe ich mich bereits nach den ersten zehn Minuten verabschiedet und warte nur darauf, dass sie sich endlich fallen lässt. Wieso dauert das immer so lange?
„Du bist so ein guter Zuhörer, David!", bemerkt sie schniefend, als sie für zwei Sekunden aufhört darüber zu sprechen, was für ein Dreckskerl ihr Stiefvater anscheinend ist.
„Aha.", antworte ich nur und nehme einen Schluck von meinem Kakao. Ein frustrierter Seufzer verlässt meinen Mund und ich realisiere: Es lässt sich nicht umgehen. Ich muss hier durch. Es ist der wichtiger Teil meiner Aufgabe. Ich komme sonst nicht nahe genug an sie ran, wenn ich mich nicht in ihr Leben einfüge, eine Beziehung zu ihr aufbaue und zumindest so tue, als wäre mir wichtig, was sie da die ganze Zeit von sich gibt. Denn das ist es nicht. Es könnte mir nicht egaler sein, welche Schwierigkeiten sie tagtäglich durchlebt. Letztendlich ist ihr Leben nichts wert. Das Einzige, was zählt ist, dass es bald mir gehört.
„Ich wünschte mein Stiefvater würde mir genauso gut zuhören, wie du.", gesteht sie voller Sehnsucht und legt ihre Hand auf meine. Es bedarf einiges an Beherrschung nicht angewidert das Gesicht zu verziehen und ihre Hand von mir zuschlagen. Aber das darf ich auf keinen Fall tun. Wenn sie sich jetzt vor mir verschließt, war all die Zeit und Mühe, die ich in diese Beziehung investiert habe, vollkommen umsonst und ich konnte den Rekord für die schnellste Sammlung von 100 Seelen vergessen. Nichts anderes ist mein Ziel.
„Sicher doch.", erwidere ich desinteressiert und möchte gerade meine Hand ihrem Griff entziehen, als ich es endlich sehe. Endlich! Endlich macht sich die ganze Arbeit bezahlt. Heute Abend kann ich mich mit gutem Gewissen von meinen Brüdern feiern lassen. Ich unterdrücke das Grinsen, das meine Mundwinkel auseinanderzieht und nehme schnell ihr Kinn zwischen meine Finger. „Du musst es so schwer haben.", hauche ich und starre abwartend auf ihre Lippen, aus denen ein hellblauer Rauch hervorquellt. Er ist schwach, kaum erkennbar. Nur die besten Seelenjäger sind in der Lage eine Seele in dieser Form bereits einzusammeln. Es erfordert einiges an Talent. Und dieses Talent habe ich.
Mit tränenden Augen nickt sie. Als sie meinen Blick bemerkt, spalten sich ihre Lippen fast automatisch und ihr Gesicht schwankt meinem entgegen. Menschen sind so leicht zu manipulieren. Selbst, wenn ich es nicht absichtlich mache.
„Wirst du mich küssen?"
Aus Reflex gebe ein spöttisches Lachen von mir. „Nein.", widerspreche ich, woraufhin sie ein enttäuschtes Wimmern von sich gibt. „Sei nicht traurig. Ich werde dich gleich erlösen.". Ich ziehe sie mitsamt Stuhl näher, bis sie direkt neben mir sitzt und lege einen Arm um ihre Schulter. Ich kann ihren beschleunigten Herzschlag fast schon hören.
„Wirklich?", ihre Augen weiten sich hoffnungsvoll. Ich nicke. Als sie sich nach und nach an mich lehnt, verstärke ich den Griff um sie, achte gleichzeitig darauf ihr nicht weh zu tun. Ich darf sie nicht verschrecken.
„Darf ich bei dir bleiben?"
Ich lecke gierig einmal über meine Unterlippe und versuche nicht ein verrückter loszulachen, als mir klar wird, dass ich sie mir ausgeliefert ist. Sie gehört mir.
„Bleib cool", denk ich mir innerlich.
„Natürlich.", wispere ich und hauche einen Kuss auf ihre Stirn. Durch diesen Kuss bricht ihre Schutzmauer endgültig ein, heiße Tränen fließen ungehalten über ihre Wangen und sie schließlich ihren Kopf auf meine Schulter sinken lässt, weiß ich: Jetzt ist es so weit.
Sachte erhebe ich meine Hand bis vor ihre Lippen und bewege anschließend meine Finger in der „Komm"-Bewegung. Dabei beuge ich mich vorsichtig zu ihrem Ohr und flüstere die Worte: „Ich, Dantalion, Seelenräuber und Dämon des Feuers, erkenne dich Menschen an. Und ich erkenne dein Leid an. Mit diesem Augenblick beanspruche ich deine Seele und befreie dich damit von den Ketten, die dich an diese Welt binden. Courtney Murkey, deine Seele gehört jetzt mir."

Kurz nachdem ich den letzten Satz ausgesprochen habe, sehe ich abermals fasziniert dabei zu, wie Courtney die letzte Träne ihres Lebens ihren Augenwinkel verlässt, bevor ihre Augenlider endgültig zu flattern. Ihr Kopf sinkt auf meine Schulter und als sie schließlich auch ihren letzten Atemzug macht, atme ich erst erleichtert auf. Es ist vorbei. Ich strecke ihre Arme überkreuzt auf dem Tisch aus und platziere ihr Kinn auf den rechten Oberarm, damit es so aussieht, als wäre sie eingeschlafen. Zufrieden kippe ich den Rest meines Kakaos hinunter und stibitze ihren übrig gebliebenen Bagel, den sie leider nicht mehr aufessen konnte. Beim Verlassen des Cafés habe ich noch den Teil der Rechnung bezahlt, der mir gehörte. Die für Courtney lasse ich stehen. Allerdings bezweifle ich stark, dass sie ihr den Bagel noch verrechnen werden, sobald sie herausfinden, was mit ihrer Kundin passiert ist. Tote können schließlich nicht für ihr Essen zahlen.


Nachdem ich da raus bin, greife ich in meine rechte Hosentasche und ziehe eine Schachtel Zigaretten hervor. Der Job eines Seelenräubers ist stressig, da bin ich froh, dass die Menschen solche Beruhigungsmittel erfunden haben. Für uns Dämonen gibt es eigenen Alkohol, aber keine Zigaretten oder sonst etwas. Wem der Druck zu viel wird, muss entweder damit klarkommen oder sterben. Manche sind eben geeigneter für das Leben eines Seelenräubers als andere. Und ich bin stolz behaupten zu können, dass das genau mein Ding ist.
Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck blase ich den giftigen Rauch aus meinen Lungen und schließe für einen Moment die Augen. Wie sehr ich dieses Leben liebe. Leider bin ich ein starker Raucher, deswegen ist die Zigarette so gleich leer geraucht, weshalb ich sie einer vorbeigehenden Passantin vor die Füße schnipse.
Ihr empörtes nach Luft schnappen ist nicht zu überhören.
„Na hören Sie mal! Was fällt Ihnen ein! Das dürfen sie nicht!", weist sie mich zurecht.
Tatsächlich ich bleibe stehen, quittiere den strengen Blick der älteren Frau mit Gehstock und grauer Dauerwelle aber nur gelangweilt.
„Was?"
„Der Zigarettenstummel. Es ist verboten die auf den Boden zu werfen. Das schadet der Umwelt."
„Ach so.", gebe ich dümmlich von mir und kratze mit dem Fingernagel an meiner Haut meiner Unterlippe herum, bis ich schließlich meine:
„Na dann heben Sie's doch auf."
Verdutzt starrt sie mich an. Ich kann richtig beobachten, wie ihr Gesicht rot anläuft vor Wut.
„Was-was bilden Sie sich eigentlich ein!", kreischt sie mit einem Mal, weshalb ich das Gesicht verziehe. Meine armen Ohren. „Einen Dreck werde ich tun! Das machen Sie schön selbst!"
Ich gähne herzhaft und reibe mir das rechte Auge. „Vielleicht morgen.", ist meine letzte Antwort, bevor ich mich, ohne mich ein letztes Mal umzudrehen, die Straße entlanglaufe. Das Geschrei der Frau wird zwar lauter, aber durch die gewonnene Distanz und dem zunehmenden Lärm des Straßenverkehrs geht sie schnell unter, bis ich sie irgendwann gar nicht mehr höre.

Ein Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht. Menschen sind so leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Souls - Die letzte Seele | GrmanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt