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Zehn Mal. Genau Zehn mal habe ich ihr gesagt, dass ich sie nach Hause begleiten muss. Zehn Mal hat sie mir gesagt, dass ich mich ins Knie ficken soll. Zehn Mal habe ich gegen jede Wand geschlagen, an der wir vorbeigekommen sind. Und Zehn mal habe ich Aki für dafür verflucht, dass er mich zu dieser Aufgabe gezwungen hat. Ich konnte sie nicht davon überzeugen sich von mir begleiten zu lassen. Glücklicherweise interessiert es mich einen Scheiß, was sie will. Und deswegen laufe ich ihr jetzt trotzdem hinterher. Ein lang gezogener Seufzer verlässt ihren Mund nach...wer hätte es gedacht: Zehn weiteren Drecks Minuten.
„Was?", frage ich barsch.
„Du nervst."
„Ditto."
Sie schnalzt mit der Zunge. „So meinte ich das nicht. Deine Anwesenheit. Du musst nicht mitkommen. Ich weiß, du kannst mich nicht ausstehen."
„Wenn du denkst ich mache das Ganze hier freiwillig, irrst du dich gewaltig.", stelle ich klar und werfe ihr einen kurzen Seitenblick zu. Wobei es mehr ein herab blicken ist, denn sie ist um einen halben Kopf kleiner, als ich „Mein Bruder zwingt mich."
„Meinst du- „
„Ja, das Wichsgesicht, das dich gefüttert hat.", knurre ich, noch immer nicht darüber hinweg, welch verräterische Tat Akuma einfach so ohne Bedenken begangen hat.
„Da war aber noch einer.", bemerkt sie.
„Korrekt.", antworte ich.
„Auch dein Bruder?"
„Wieder korrekt."
„Dann seid ihr also Drillinge?"
Ich bleibe stehen und grinse sie stumm an. Sie bleibt einige Schritte vor mir stehen und schaut mich verwirrt an. Dabei dreht sie ihren Kopf leicht weg von mir, lässt mich aber nicht aus den Augen.
„Deine Beobachtungsgabe ist wirklich bemerkenswert.", scherze ich, woraufhin sie schnauft und murmelnd meint: „Unglaublich, dass ihr drei verwandt seid."
Amüsiert hebe ich einen Mundwinkel und lasse sie vorlaufen. „Ach ja? Wieso?"
„Die beiden sind nett und zuvorkommend. Und du? Du bist ein Arschloch."
Ich verschlucke mich beinahe an meiner eigenen Spucke. Mit der Antwort habe ich ehrlich nicht gerechnet. Ich dachte jetzt kommt etwas bezogen auf unser Aussehen. Immerhin unterscheiden wir uns vom Äußeren her doch ein wenig voneinander. Ja, wir haben alle schwarze Haare und blaue Augen und unsere Gesichter ähneln sich im Grunde. Aber wenn wir nach der Reihe gehen, hat jeder ganz klare Merkmale, an denen man uns erkennen kann. Sam trägt Locken, die er sich extra in einem Salon für Frauen auf der Erde hat, so schneiden lassen, sodass sie ordentlich über seinen ganzen Kopf verteilt sind. Keine Strähne steht ab, alles sitzt so, wie es sitzen soll. Liegt möglicherweise an der übertriebenen Menge an Haargel, die er sich da immer reinschmiert. Trotzdem sehen sie nie verklebt aus, was ich insgeheim echt beeindruckend finde. Er hat meiner Meinung nach einen eigenartigen Kleidungs Stil, mit dem ich persönlich nichts anfangen kann. Zerrissene Hosen mit Ketten, T-Shirts und Hoodys mit Bandnamen, die er ganz sicher nicht kennt, schwarz angemalte Fingernägel und schwarzen Ohrringen, jeweils einen auf beiden Seiten. Auch, wenn ich es mir nicht erklären kann, finden ihn die Frauen aus irgendeinem Grund anziehend und ich habe ihn schon oft mit Mädchen in der Stadt herumlaufen sehen. Allerdings konnte man an seiner Haltung ablesen, dass er dabei keine weiteren falschen Absichten hatte, so wie Akuma und ich meistens. Was Sams Umgang mit Frauen angeht, ist er auf jeden Fall vorbildlicher als wir. Das wird es wohl erklären. Akumas Haare sind im Gegensatz zu Sams wilder Frisur wellig und lang genug, dass einige Strähnen über seine Augen hängen und seinen Nacken erreichen. Neben einem schwarzen Ohrring, an dem zusätzlich ein mir unbekanntes Ornament hängt, trägt er außerdem noch ein Zungenpiercing, was ihn zugegeben sehr verwegen aussehen lässt. Die schwarzen Fingernägel hat er nach Sams Beispiel schwarz angemalt und weiters schmücken drei große, schwer aussehende, silberne Ringe Zeige-, Mittel- und Ringfinger seiner rechten, und das Tattoo eines unheimlich aussehenden Rauchschleiers seine linke Hand. . An dieser ist nur ein silberner Ring mit einem Totenkopf an seinem Mittelfinger angebracht. Akis Stil ist schlichter als Sams. Er bevorzugt einfache T-Shirt in dunklen Tönen auf eine, meistens schwarze Jeans Hose. Allgemein ist Akuma der größte von uns. 190 Zentimeter. Dann folge ich mit meinen 188 Zentimetern und Sam mit einem Zentimeter Unterschied zu mir. Trotz unserer Körperdifferenz sind wir drei einander kräftetechnisch ebenbürtig, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Als Mittelkind sehe ich, anders als meine Brüder, überhaupt nicht besonders aus. Ich habe keine besondere Frisur, meine Haare sind kurz geschnitten und lediglich oben ein wenig lang gewachsen, sodass die meisten meiner Strähnen unordentlich auf die rechte Seite fallen. Ich habe weder Tattoos am Körper noch irgendwelche Piercings oder Ringe. Nagellack trage ich auch nicht und mein Kleidungsstil ist auch alles andere als auffälliger. Das Einzige, was mich neben meinen Brüdern möglicherweise hervorstechen lässt, ist meine blasse Haut. Durch sie wirken meine blauen Augen intensiver als ihre. Aber das ist dann auch schon alles.

Irgendwie sinkt mein Herz bei der Erkenntnis. Absolut keine Besonderheiten, huh?

Aus dem Nichts kommt eine Hand angeflogen und landet voller Wucht mitten auf meiner Nase. Ich schreie laut auf. Geht nicht anders. Die Ruhezeit um 7 Uhr morgens kann ich leider nicht beachten.
„Was zum Teufel hast du denn für Schübe?!", fauche ich und halte mir meine wie wild pochende Nase.
„Verarsch mich nicht mit diesem traurigen Blick.", meint sie harsch und beschleunigt anschließend ihre Schritte. Wütend sehe ich ihr hinterher. Vorsichtig löse ich die Hand von meiner Nase und betrachte sie anschließend. Glück gehabt, ich blute nicht.
„Die Krankenhausrechnung lasse ich dir per Post zu stellen!", rufe ich, bevor ich ihr folge. Ich sagte zwar, dass ich nur Sammael nachlaufen würde, doch wenn ich sie aus den Augen verliere und Aki Wind davon bekommt, reißt er mir den Arsch auf.
„Du kannst mich Mal.", erwidert sie darauf nur.
Die nächsten zwanzig Minuten gehen wir schweigend nebeneinander. Es ist klar, dass weder sie noch ich die Anwesenheit des anderen genießen. Der Hass beruht auf Gegenseitigkeit. Um genau zu sein beruht alles zwischen uns auf Gegenseitigkeit. Ich schreie sie an, sie schreit zurück. Ich beleidige sie, sie beleidigt zurück. Ich packe sie an, sie tritt mir zwischen die Beine. Ich bin möglicherweise ein Arschloch zu Frauen, aber ich kann zugeben, was ich verdient habe. Außerdem muss ich eine Sache zugeben: Sie schlägt gut zu.
„Bist du insgeheim Profiboxerin?", murmle ich so beiläufig, wie möglich und fahre dabei sachte über meine Nasenspitze. Das Pochen hat aufgehört, aber der Schmerz hat noch nicht nachgelassen. Fragend blickt sie auf und als sie meine Berührung bemerkt, grinst sie schadenfroh.
„Tut's noch weh?", will sie wissen. Die Besorgtheit in ihrer Stimme so gestellt, dass ich sie fast greifen kann.
„Ein wenig.", nuschle ich ehrlich, worauf sie lacht und ich ihr einen genervten Blick zu werfe. Als sie sich wieder beruhigt hat, frage ich: „Wie weit noch?"
Ihre Augen sind vor Verwunderung geweitet, aber irgendwie wirkt sie nicht glaubwürdig. „Was meinst du?"
Ich blinzle. „Wie weit noch, bis wir bei dir ankommen?"
Sie öffnet den Mund, doch klappt ihn direkt wieder zu. Was hat sie plötzlich?
„Was lässt dich glauben, dass ich dich mit zu mir nehme?", will sie wissen und beäugt mich dabei kritisch. Ich verdrehe darauf meine Augen, so sehr, dass ich das Gefühl bekomme mein Gehirn zu sehen.
„Ich habe es nicht auf dich abgesehen.", versichere ich. „Ich will dich nur endlich loswerden."
„Na dann verpiss dich doch einfach."­­­­­­­, schlägt sie vor. Mein größter Wunsch, Kleine. Glaub mir.
„Würde ich ja gerne, aber mein Bruder würde mich um-"
„Sehr gut. Damit tut er uns allen einen Gefallen.", fällt sie mir ins Wort. Ich knirsche mit den Zähnen. Meine Geduld wird schon wieder gnadenlos nahe ans Limit befördert. Wie kann ein einzelner Mensch so viel Aggression in mir auslösen? Ich kreise meinen Nacken, lasse einige Knochen dabei laut knacken in der Hoffnung zumindest einen Teil der Spannung in mir zu lösen. Aber neben diesem Mädchen wird das wohl unmöglich. Immerhin ist sie der Grund für all die Spannung in meinem Körper.
„Jetzt sag endlich, wie weit wir noch laufen müssen, bis du zuhause ankommst.", presse ich ungeduldig hervor. Würde mein Blut wortwörtlich zu kochen beginnen, würde ich mich wohl anhören, wie eine Tee Kanne, die schreit, um von der heißen Herdplatte genommen zu werden.
„Ich geh nicht nach Hause."
Abrupt bleibe ich stehen. Die Worte wiederholen sich wie eine kaputte Schallplatte in meinen Gedanken, wieder und immer wieder.
Meine Augen so weit aufgerissen, dass ich befürchte sie wahrscheinlich platzen mir gleich aus meinem verdammten Schädel: „Was?!", bringe ich raus und versuche nicht zu hyperventilieren.
Ohne stehen zu bleiben, wirft sie einen Blick über ihre Schulter und grinst, als sie sagt: „Ich habe nie behauptet, dass ich nach Hause gehe."

Souls - Die letzte Seele | GrmanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt