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„Dantalion."

Morax nackter, muskulöser Körper steht in unserer dunkel eingerichteten Küche. Nichts weiter als eine knielange, dunkelgraue Short bedeckt seinen Rumpf vor unangebrachten Blicken. In seiner rechten Hand hält er einen Pfannenwender, die linke umfasst die dazugehörige Pfanne mit einem Spiegelei darin. Offensichtlich habe ich ihn mitten beim Kochen unterbrochen.
Das ist einer der normalsten Zustände, in denen man Morax erleben wird. Zu jedem anderen Zeitpunkt ist er die strenge rechte Hand des Herren und Ausbilder von uns dreien. Nur beim Kochen wirkt er wie ein gewöhnlicher Dämon.
„Hey.", grüße ich ihn. Ich erwarte keine Antwort. Ehrlich gesagt könnte ich nur so dastehen und ihm beim Kochen zusehen. Ich habe das Gefühl auch so viel von ihm lernen zu können, ohne, dass er etwas Beeindruckendes erzählen oder vorzeigen muss. Er sieht wirklich beeindruckend aus, wenn ich ihn mir so genau ansehe. Seine Haut ist blasser als meine und hat einen kaum sichtbaren Blaustich. Schneeweiße, kurze Haare zieren seinen Kopf mit einigen Haarsträhnen, die ihm über die Augenbrauen hängen und seine eisblauen Augen, die bei Ärger die Farbe wechseln, Blutrot werden, verleihen ihm eine gefährliche Aura und verschaffen ihm seit Jahrtausenden den Respekt, den man sich bei so einem mächtigen Dämon auch erwartet.
Stumm deutet er mit dem Küchenutensil auf unseren langen, aus dunklem Zedernholz gefertigten Esstisch.
Wortlos ziehe ich einen der vier, ebenfalls aus dem selbem Material bestehenden Stühle zurück und setze mich. Kurz darauf wird mir ein weißer, mit schwarzen Schnörkeln verzierter Teller mit dem Spiegelei zugeschoben, das er sich gerade selbst zubereitet hatte. Ich merke es aber nicht an. Wann immer ich ihn darauf angesprochen habe, hat er gesagt ich soll ruhig sein und es endlich essen, weil er es mir sonst in die Hose schiebt. Und weil ich ungern meine Mahlzeigt irgendwo anders drinnen habe als in meinem Magen, bedanke ich mich lediglich und esse.
„Du bist früher hier, als erwartet."
Ich schiele mit den Augen zu ihm, während ich auf dem Bissen herumkaue. Ich schlucke ihn runter und antworte ein
„Ja...ich auch."
Beschämt starre ich zurück auf meinen Teller. Ich höre, wie er ein zweites Ei aufschlägt und es wenige Sekunden darauf zu brutzeln beginnt. Scheint so, als würde er mir gleich Gesellschaft leisten.
„Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht damit gerechnet habe.", meint er. Als ich diesmal aufblicke, begegne ich seinen blauen Augen, fest auf mich gerichtet.
„Was ist passiert?", will er ruhig wissen.
Ich ziehe meine Unterlippe zwischen die Zähne und schließe meine Augen.
„Ich...hatte Startschwierigkeiten mit der Seele.", gebe ich schließlich zu. Einige Sekunden herrscht absolute Stille. Öl platzt im Hintergrund und ich zucke.
„Mhm...", summt er. „Startschwierigkeiten also. So eine Situation bist du nicht gewohnt meinen Erfahrungen mit dir als Seelenräuber nach."
Ich reagiere nicht.
„Wieso bist du hier?", will er nun wissen.
Ich zögere.
„Um Rat bei dir zu suchen."
Wieder summt er, sein Körper bewegt sich im Hintergrund, aber das bekomme ich nur indirekt mit. Wenig später nimmt er neben mir Platz und richtet seine eisblauen Augen auf mich.
„Rat.", wiederholt er und ich nicke. Mir ist klar, dass die Verzweiflung in meinen Augen offensichtlich ist und in jeder anderen Situation würde ich mir dafür in den Arsch treten und mich in den höchsten Tönen dafür verspotten, wie erbärmlich ich doch bin. Ich bin ein Angeber, aber auch nur deshalb, weil ich es mir mit meinem Talent erlauben kann. Jetzt hat sich die Situation plötzlich geändert und meine Lage schreit danach, dass ich nach jeder erdenklichen Lösung greife, die sich mir bietet. Wenn ich dafür mein Versagen vor Morax zugeben muss, so sei es.
Quälend langsam teilt er sein Spiegelei in zwei Hälften. Meine Augen sind fixiert auf das Eigelb, beobachten wie es zerläuft.
„Morax, bitte.", seufze ich, als er das Stück Ei mit seiner Gabel aufspießt. Mitten in seiner Bewegung hält er inne und sieht mich an.
„Darf ich mir vielleicht einen einzigen Bissen genehmigen? Schließlich hast du jetzt mein Spiegelei."
Verdutzt blinze ich ihn an.
„Aber du hast es mir doch gegeben-"
„Still.", unterbricht er mich und steckt endlich die Gabel mitsamt Ei in den Mund. Ich lasse den Kopf nach hinten fallen und unterdrücke stark einen genervten Seufzer. Eine halbe Ewigkeit kaut er darauf herum und ich habe fast das Gefühl, dass er das absichtlich macht. Als er irgendwann endlich geräuschvoll schluckt, hebe ich so schnell den Kopf, dass ich meinen Nacken fast verrenke. Erwartungsvoll sehe ihn an.
„So.", beginnt er. „Du willst meinen Rat sagst du. Dann sprich mal Klartext über deine Sachlage."

***

Keuchend beende ich meinen Vortrag und starre das matte Holz des Tisches an. Morax hat mir jetzt über zehn Minuten lang schweigend zu gehört. Er hat keinen Kommentar abgegeben, nicht ein einziges Mal seine Miene verzogen und das macht mich irgendwie nervös.

Als er sich dann räuspert, mache ich mich auf seine Antwort gefasst. Ich habe absolut keine Ahnung, was ich zu erwarten habe.
„Dieses Mädchen hat es dir wohl angetan, hm?"
Entgeistert starre ich ihm direkt ins Gesicht.
„Nein!", widerspreche ich und schlage mir die Hände ins Gesicht. „Ich will, dass sie aus meinem Leben verschwindet!"
„Das wird schwierig angesichts der Tatsache, dass sie deine letzte Seele ist.", erwidert er voller Ruhe.
Ich gebe frustrierte Geräusche von mir.
„Was soll ich denn jetzt bloß machen, Morax? Ich brauche sie, um meine Aufgabe zu erfüllen. Aber sie geht mir so dermaßen gegen den Strich, dass ich sie lieber töten möchte."
Er nickt besonnen.
„Und jetzt möchtest du, dass ich dir eine Lösung gebe."
Ich nicke hektisch.
„Du weißt, dass Seelenräuber einander ihre Methoden nicht verraten dürfen, Dantalion."
Wieder nicke ich.
„Aber ich brauche keinen direkten Lösungsweg, Morax. Sondern nur einen Tipp für den richtigen Ansatz."
„Na dein Freund Kevin hatte, wie ich finde eine gute Idee.", meint er, doch ich schüttle den Kopf. „Dantalion.", seufzt er.", Ich habe deine Arbeit beobachtet, Dantalion. Du scheinst ganz klar ein Problem mit den Frauen der Erde zu haben."
„Aber-"
„Still." er wirft mir einen scharfen Blick zu. Sofort verstumme ich.
„Deine Erklärung interessiert mich nicht. Schließlich habe ich meine Seelen schon vor Jahrtausenden eingesammelt und hatte da meine eigenen Schwierigkeiten. Die musste ich ohne Hilfe überwinden. Jeder musste das. Und so musst das auch du. Der Grund für deine Schwierigkeit mit der letzten Seele bist einzig und allein du. Demnach bist du auch die Lösung."
Ich grummle ungeduldig:
„Ich weiß nicht was das heißt, Morax."
„Lege deine Abneigung gegenüber den Frauen beiseite. Höre Kevin zu. Und lass dir am besten auch von Sammael helfen."
„Sammael?!" wiederhole ich ungläubig. „Wieso Sammael?"
„Sammael hat ein Talent für den Umgang mit Frauen, von dem du sowie auch Akuma euch mehr als nur eine Scheibe abschneiden könnt.", erklärt er, sein Blick auf sein Essen gerichtet.
Ich schnaube herablassend.
„Der hat noch nicht mal die Hälfte geschafft und ist viel zu schwach für sowas. Von dem kann ich unmöglich was lernen!"
Morax Mundwinkel zucken amüsiert und er sieht auf.
„Du blickst noch immer auf deine Brüder herab, so wie ich sehe."
Ich öffne den Mund, um zu verneinen, doch Morax hebt seine Hand. Warnend verengt er seine Augen.
„Wage es nicht es abzustreiten, Dantalion. Ich habe euch großgezogen. Niemand kennt euch besser als ich es tue. Denkst du euer Benehmen entgeht mir?"
Ertappt beiße ich mir auf die Zunge.
„Dein Talent steht dir vollkommen im Weg. 99 Seelen haben sich dir ergeben und du hast es als Selbstverständlichkeit gesehen. Dein Selbstbewusstsein sitzt auf der höchsten Wolke und das sehe nicht nur ich, sondern auch deine Brüder, alle Einwohner von Twilight Falls und auch die Menschen auf der Erde. Es ist deine eigene Dummheit, die dich in diese Lage gebracht hat und selbst jetzt bist du dir zu Stolz, um es zuzugeben. Ist es dir klar, dass du für deine Situation zur Rechenschaft zu ziehen bist oder nicht, Dantalion? Sprich."
Ich kneife genervt meine Augen zu.
„Ja.", presse ich hervor.
„Gut. Dann gib dir endlich einen Ruck und hör auf dich fürs Hilfe suchen zu bemitleiden. Es ist nichts dabei, Junge. Und schon gar nicht, wenn es dein eigener Bruder ist. Jetzt geh mir aus den Augen. Such als erstes Sammael. Und dann finde deine Seele."
„Warte- schick mich noch nicht weg." bitte ich. „Ich muss noch etwas wissen."
Morax ist schon aufgestanden und hatte sich zum Gehen bewegt. Mitten in seiner Bewegung bleibt er stehen und sieht mich abwartend an.
„Morax, wie war der legendäre Seelenräuber so?"
Augenblicklich kann ich beobachten, wie sich etwas in seinen Augen regt.
„Du willst, dass ich dir von ihm erzähle?"
Wortlos nicke ich und erwarte eine Antwort, die aber nie kommt. Morax sagt gar nichts. Er schließt lediglich die Tür, nimmt wieder auf seinem Stuhl Platz und sieht mich ernst an.
„Jeder darf von ihm wissen, aber niemand darf über ihn sprechen. Wer über den legendären Seelenräuber spricht, dessen Zunge wird für immer gezeichnet von seinem Brandmal und verflucht einen grausamen Tod zu sterben. Über meine Lippen wird niemals dieser schändliche Name kommen, Dantalion und du tätest gut daran dir ein anderes Vorbild zu suchen."

Souls - Die letzte Seele | GrmanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt