Blass grüne Augen, schwarzer Eyeliner und lange dunkelbraune Haare, die ihr über die Schultern hingen. Pietro erkannte sie auch aus der Entfernung. Seine Schwester war die wohlgemerkt einzige Person die er immer und überall wiederfinden würde. Unbestimmt ihres Aussehens.
Er blickte sich um bevor er die Straßenseite wechselte und ging mit schnellen Schritten auf seine Schwester zu. Zwei Kinder, sie waren bestimmt erst Zehn, liefen an ihm vorbei, ein paar Schlittschuhe hatte jedes von ihnen an den Schnürsenkeln gepackt dabei.
„Erinnerst du dich noch daran, als wir das letzte mal zusammen Eislaufen waren?" Wanda begrüßte ihn mit einer warmen Umarmung und einem Kuss auf die Wange.
„Aktuell versuche ich mich nur daran zu erinnern, ob ich meine Wohnungstür abgeschlossen habe oder nicht."
Ein breites Lächeln erfasste die Gesichter der Zwillinge und beide grinsten sie einander an. Sie hatten sich zu lange nicht gesehen. Wieder wurde ihnen bewusst, dass sie getrennt nur die Hälfte eines ganzen waren.
„Komm, lass uns ein Stück gehen." Wanda hakte sich geschickt mit einem Arm bei ihrem Bruder unter und sie gingen gemächlich die Straße entlang in Richtung Marktplatz.
Es war ein sonniger Morgen, auch wenn es in der Nacht zuvor viel geschneit hatte, waren jetzt kaum Wolken am blauen Himmel zu sehen. Es war Samstag, der Tag an dem die meisten Menschen frei hatten und unterwegs waren, um ihren Einkauf für die nächste Woche zu erledigen, das bedeutete immer eine belebte Innenstadt.
Pietro arbeitete manchmal auch Samstags, doch an diesem nicht. Andrej hatte sich freundschaftlich bereiterklärt seine Schicht zu übernehmen, damit Pietro den Tag mit Wanda verbringen konnte.
„Ich würde gerne nochmal Schlittschuhlaufen gehen." Pietro sah seine Schwester mit einem frechen grinsen aus dem Augenwinkel her an.
„Oh vergiss es!", lachte Wanda und schlug ihm sanft auf dem Unterarm. „Das letzte mal als wir gemeinsam Eislaufen waren, hast du mich in einen Busch am Rand des Sees geschubst."
„Nicht mit Absicht, mir ist die Mütze über die Augen gerutscht und ich hab nicht mehr gesehen wo ich hingefahren bin, ich hab dich zufällig umgeworfen", verteidigte ihr großer Bruder sich sogleich und wich lachend einem weiteren Schlag aus.
„Zufällig. Du nennst es Zufall, ich nenn es Planung!" Jetzt lachten beide und liefen etwas wankend aneinander hängend über das unebene jüngst vereiste Pflaster.
„Wie hat dir die Suppe geschmeckt?", fragte sie ihn, während sie sich die von der Kälte geröteten Wangen rieb.
Verwirrt starrte er sie einem Moment an, doch dann erinnerte er sich wieder an die Suppe die er gestern Nacht zu einer unüblichen Zeit gekocht und dann nicht gegessen hatte.
„Ach, die Suppe, ich weiß nicht, hab sie dann doch nicht essen können." Wandas Blick meidend betrachtete er den grauen Laternenpfahl ein paar Meter von ihnen entfernt. Er wollte nicht wieder an letzte Nacht denken, wie er vor lauter erdrückender Gedanken keinen Schlaf gefunden hatte und am Morgen müde und erschöpft wieder aufgestanden war.
„Pietro", Wandas sanfte Stimme riss ihn aus seiner Starre.
„Was?", fragte er verwirrt.
„Ich habe dich gefragt, ob alles in Ordnung ist." Wandas grüne Augen sahen ihn besorgt an. Sie nahm seine Hand in ihre und drückte diese fest. Das machte sie immer dann wenn sie besorgt war und ihn zum reden bringen wollte.
„Sicher ist es das, warum sollte es das nicht sein? Wie kommst du darauf?", schnaubend schüttelte er den Kopf und drückte sanft ihre Hand, um ihr zu bedeuten dass alles in Ordnung war.
Für einen Moment hatte er gehofft sie würde es ihm dieses Mal glauben, doch er wusste bereits dass er verloren hatte, als sie ihren Kopf ein Stück zur Seite lehnte.
„Wie ich darauf komme?" Wanda verzog ihre Augen plötzlich zu Schlitzen. „Ich bin deine Schwester, ich kenne dich am besten von allen, ich merke es wenn etwas nicht in Ordnung ist."
Ihre Gesichtszüge wurden wieder sanfter und scherzhaft fügte sie hinzu: „Außerdem hast du sehr seltsam reagiert als ich dich nach der Suppe gefragt habe und dann hast du den Laternenpfahl ungewöhnlich lang angestarrt."
Sie drückte seine Hand jetzt wieder fester und sah ihn bittend an. „Du weißt, du kannst mir alles erzählen."
Pietro hielt kurz inne, dann nickte er leicht.
»»»
Etwas später hatten sie den Marktplatz erreicht. Wanda hatte seiner Erzählung still gelauscht. Jetzt waren beide still. Nachdenklich, mit langsamen Schritt, gingen sie über den verschneiten Platz.
Abwesend trommelte Wanda sacht mit ihren Fingerspitzen auf ihren Oberarm, beide Arme vor der Brust verschränkt. Ihre Nägel hatte sie mit schwarzem Nagellack bemalt, die Ränder waren sauber und der Lack schimmerte im Sonnenlicht.
Die unzähligen Ringe, die sie immer an fast jedem ihrer Finger trug, funkelten in der Morgensonne.Pietro trug genau einen Ring. An seinem rechten Zeigefinger hielt sich ein schmaler silberner Reifen. Er war nicht viel wert gewesen, doch auf eine andere weise war er ihm doch sehr wichtig.
Ohne es zu merken kaute er wieder auf seiner Lippe, das war eine unschöne Angewohnheit. Besonders im Winter, wenn sie besonders trocken waren und ständig aufplatzen. Blutige Risse kamen da zu oft vor.
„Du solltest es lassen." Wanda durchbrach die Stille und sah ihren Bruder mit einem Mal sehr ernst an.
„Ich weiß, schlechte Angewohnheit", antwortete er ihr und fuhr sich dabei über die aufgeplatzte Lippe.
„Das meinte ich nicht, du hörst mir wieder nicht richtig zu." Sie packte ihn fest beim Arm und brachte ihn so zum Stillstand. „Lass sie gehen. Manche Dinge kann man nicht mehr reparieren. Du kannst sie vielleicht wieder zusammenkleben, aber sie werden nur für eine kurze Zeit halten und dann wieder auseinander brechen. Gib ihr Ruhe, finde endlich deinen Frieden."
Sein Blick schweifte von ihr ab und blieb in der Leere der Entfernung hängen. Wanda kannte den Ort in der Ferne, er versteckt sich immer dort. An dem Ort, den nur sie kannten.
„Ich weiß dass ich auf deinen Rat hören sollte", er hielt kurz inne um Luft zu holen. „Aber ich kann nicht mit etwas abschließen was nie beendet wurde."
Er drückte ihre Hand für einem Moment ganz fest und platzierte dann einen Kuss auf ihren Fingerspitzen, einen entschuldigenden Ausdruck in den Tiefen seiner blauen Augen.
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STRANGE MEMORIES, pietro maximoff
Fanfiction✧・゚: PIETRO MAXIMOFF war kein Held, da Helden für gewöhnlich nicht vergessen wurden. (Denn für einige scheint er nie existiert zu haben.) Der Wolf und das Lamm. Nach dem Fall von Sokovia versucht Pietro Maximoff den Weg in ein normales neues Leben...