Lieber Weihnachtsmann,
lange habe ich überlegt, was ich mir dieses Jahr wünschen soll. Es ist mir wirklich nicht leichtgefallen, etwas auszuwählen, von dem ich weiß, dass es mich für lange Zeit erfreuen wird.
Aber um dir das zu erklären, muss ich dir eine Geschichte erzählen. Eigentlich bin ich schon viel zu alt, um an den Weihnachtsmann zu glauben. Als ich das letzte Mal an dich geschrieben habe, war ich sechs Jahre alt. Weißt du, meine große Schwester hat mir kurz vor Weihnachten damals die Vorstellung von dir genommen. Sie war böse auf mich, weil ich ihrer liebsten Barbie die Haare abgeschnitten hatte.
Trotzdem ist die Vorstellung, diesen Brief an jemanden zu widmen, der einem die größten Herzenswünsche erfüllt, eine wunderschöne. Sie macht es mir leichter, darüber zu reden, was ich wirklich will.
Als ich klein war, wollte ich unbedingt das neuste Set von Playmobil haben. Oder das große Plüschtier, was mich so niedlich aus dem Schaufenster anblickte. Einmal waren es sogar die tollen Inlineskates.
Solche Wünsche gibt es bei mir nicht mehr. Natürlich nicht, ich bin ja schon groß. Trotzdem ist Weihnachten für mich immer noch etwas Besonderes. Es sind nicht nur die Geschenke, die mich daran erfreuen. Es ist das Miteinander. Das Zusammenkommen und die Gemeinschaft. Meine sonst so verbreitete Familie sieht sich wieder, es gibt gutes Essen, viel Süßes. Mein größtes Highlight ist jedes Jahr der Weihnachtsmarkt. Ich liebe es, Schlittschuh zu fahren. Als ich klein war, hat es mir mein Vater mit großer Begeisterung beigebracht. Kennst du diese Pinguine auf den Eisbahnen? Wenn ich heute daran zurückdenke, ist es mir fast schon peinlich.
Eigentlich wollte ich mir in diesem Jahr etwas Neues zum Anziehen wünschen. Vielleicht ein paar neue Bücher, auch wenn mein Stapel an Ungelesenen schon überquillt und das Bücherregal aus allen Nähten platzt. Ein bisschen Geld als Geschenk täte mir auch ganz gut, ich möchte nämlich meinen Führerschein machen.
Aber je mehr ich über meine Wünsche nachdachte, desto weniger wollte ich sie. Ich saß da, an meinem Schreibtisch und dachte nach. Was wünsche ich mir wirklich zu Weihnachten? All diese Dinge kann ich mir auch zum Geburtstag wünschen, aber Weihnachten ist doch etwas besonderes. Man sollte dieses Fest den Wünschen widmen, die wirklich aus tiefsten Herzen kommen.
Je mehr ich darüber nachdachte, was ich eigentlich wollte, desto näher kam ich dem, was nicht nur mein Herz bewohnt. Es ist das, was so simpel ist und sich vermutlich jeder Mensch wünscht. Aber es ist auch ein Wunsch, den niemand hier mir erfüllen kann. Er ist nicht materiell, man kann ihn nicht kaufen. Man kann ihn nirgendwo finden und man kann nicht herstellen.
Diesen Wunsch kannst nur du allein mir erfüllen. Leider hat man mir die Magie genommen, an dich zu glauben. Wer aber sonst sollte mir zuhören? Meine Eltern? Die lachen sich halb tot, wenn ich auch nur ein Fünkchen davon erwähne. Meine Schwester würde mich nur mehr für verrückt erklären und noch weniger mit mir reden als sowieso schon. Ich möchte nicht frech sein, aber sie ist eine ziemlich anstrengende Ziege. Verzeihung, so etwas sagt man nicht vor dem Weihnachtsmann.
Wenn es auch nur eine Möglichkeit gäbe, es mir zu erfüllen. Glaube mir, ich würde alles dafür tun. Sogar nett zu meiner Schwester sein.
Das Einzige, was ich mir dieses Jahr wirklich wünsche, ist Zeit. Ich möchte noch einmal diese Unbeschwertheit und das Gefühl von Endlosigkeit erleben, welches ich zuletzt in meiner jüngsten Kindheit verspürt habe. Die Welt scheint sich schneller zu drehen, Monate werden zu Wochen und Wochen werden zu Tagen. Stunden zu Minuten und diese zu Sekunden.
Lieber Weihnachtsmann, wenn es dich doch irgendwo da draußen gibt, dann bitte ich dich, mich noch einmal wie ein Kind fühlen zu lassen. Ohne all das Schreckliche und all das Vergängliche. Das Hier und Jetzt im Zeichen des schönsten Festes, welches die Erde je gefeiert hat.
Grüß Rudolph von mir und hoffentlich bis bald.
DU LIEST GERADE
der Adventskalender 2023
Short Story24 kurze Geschichten über die Weihnachtszeit. Ob Märchen, Gedicht oder Alltagssituation, von allem ist etwas dabei. Ein kleiner Einklang in die Weihnachtszeit- und Adventszeit.