Für M.
Weil du das größte Herz hast.
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Der Abend neigt sich dem Ende zu. Kaum noch Kollegen sitzen an dem langen Tisch an der rechten Wand. Es ist wundervoll geschmückt. An den Wänden hängt überall Lametta. Am Ende des Raumes steht ein großer Weihnachtsbaum, der mit unzähligen Kugeln, Sternen und künstlichen Kerzen geschmückt ist. Auf dem Tisch stehen Adventskränze, dessen Kerzen teilweise schon ausgebrannt sind. Hier und da liegt noch Geschenkpapier herum, welches an die Wichtelaktion erinnert. Es gab viele gute Gespräche, über die Arbeit, über zukünftige Pläne. Aber es wurde auch viel über Privates gesprochen. Man lernte sich näher kennen. Überraschenderweise stellt man fest, dass die Kollegin am Schreibtisch gegenüber erfolgreich Tennis spielt und war eigentlich bekannt, dass der griesgrämige Kollege aus der Abteilungsleitung im Ehrenamt tätig ist?
Mareike nippt gelassen an ihrem Weinglas, sie mag noch lange nicht gehen. Denn ihr gegenüber sitzt Till, den sie ab und an in den Gängen vorbei schlendern sieht. Er hat einen Arm um den Stuhl neben ihm gelegt und spricht mit einem breiten Lächeln mit ihr. Insgeheim fand sie den Kollegen ja schon länger interessant, aber sie hatten kaum miteinander zu tun und bis auf seltene Small Talks war es nie zu einem Gespräch gekommen. Ihre Erwartungen wurden weit übertroffen. Er erzählt davon, wie seine Familie Weihnachten feiert. Dass seine Oma jedes Jahr aufs Neue ein ganz bestimmtes Gedicht aufsagt, nur hört es sich jedes Mal ganz anders an. Mareike lacht mit ihm und sie fühlt sich richtig gut in seiner Anwesenheit. Dagegen kommen ihr ihre eigenen Familiengeschichten langweilig vor. Wenn sie ehrlich zu sich ist, könnte er auch den Farbton der roten Vorhänge haargenau beschreiben, es würde genauso interessant rüberkommen. Um nicht wie ein verliebtes Dummchen zu wirken, stellt sie gelassen das Weinglas ab und beantwortet seine Frage, wie denn ihr Weihnachten dieses Jahr aussehen werde. Ihr Vater wird stolz den Braten machen, ihre Mutter auf dem Klavier ein weihnachtliches Lied anstimmen. Es wird gemeinsam gesungen und gegessen. Eigentlich nichts Spektakuläres wie sie findet, doch Till hat vorher noch nie gehört, dass die Familie zusammen am Klavier singt. Jetzt fühlt Mareike sich doch ein wenig besonderes. Findet er das seltsam oder interessant? Würde er auch an Weihnachten singen? Für diesen Gedanken beißt Mareike sich auf die Zunge. Plötzlich fragt Till sie, ob sie denn einen Freund habe, der an dieser Tradition teilnimmt. Sie errötet und verneint die Frage. Tills Gesicht ziert plötzlich ein anderes Lächeln, als würde ihn diese Information freuen. Nein, nein, das bildet sie sich bestimmt nur ein. Ganz sicher! Da packt sie der Impuls und sie hakt nach, ob er denn eine Freundin habe, die auf veränderte Gedichte stehe. Auf diese Frage hin muss Till lachen. Fand er die Frage jetzt doof und lacht sie aus? Mareike versucht ihr cooles Lächeln beizubehalten. Till erzählt ihr, dass er aktuell keine Freundin habe und seine Mutter ihn ständig mit der Frage nerve, wann er denn endlich mal wieder eine mitbringen würde. Mareike stimmt auf das Lachen mit ein und fühlt, wie ihr mindestens fünf Steine vom Herzen fallen. Außer er bringt keine Freundin mit, weil er insgeheim schwul ist. Nein, das würde in diesem Kontext gar kein Sinn ergeben.
„Ist alles in Ordnung?", fragt er sie plötzlich und reißt sie somit aus ihren Gedanken.
Erschrocken schaut sie ihm ins Gesicht. Wie peinlich! Sofort schießt ihr die Röte ins Gesicht, Das macht die Situation nicht wirklich besser.
„Ich...also...ja, alles gut", stammelt sie und bemüht sie um ein Lächeln, um das Alles nicht noch unangenehmer zu machen.
„Super." Till grinst schon wieder und Mareike versucht, nicht dahin zu schmelzen.
Ein Kellner, gekleidet in einem weißen Hemd mit schwarzer Fliege und ebenso schwarzer Fliege kommt auf den Tisch zu und informiert die Übriggebliebenen darüber, dass die Lokalität demnächst schließen möchte. Dementsprechend werden sie hinauskomplimentiert. Mareike würde lügen, würde sie sagen, dass sie nicht enttäuscht darüber ist. Sie wollte doch nch mehr Zeit mit ihrem Kollegen verbringen. Wenn sie wieder zur Arbeit zurückkehren, werden sie sich wieder nur ab und an über den Weg laufen und alles wäre wie früher. Das möchte sie auf gar keinen Fall, aber wie soll sie ihm das mitteilen?
„Gehen wir noch ein Stück?", möchte er wissen und klärt damit Mareikes Gedankengänge.
„Natürlich. Ich meine, ja gerne." Die selbstbewusste Art schwindet mehr. Peinlich, schon wieder.
Sie nimmt ihren Mantel vom Stuhl und streift ihn sich über. Er ist schwarz und aus einem warmen Stoff. Doch würde er sie filmreif fragen, ob sie draußen frieren würde, sie wäre nicht abgeneigt, seine Jacken anzunehmen. Natürlich wird er das nicht fragen.
Sie laufen die Straße entlang. Eigentlich wollte sie ja ein Taxi oder die Bahn zurück nach Hause nehmen, aber mit Till gemeinsam ist es gerade viel schöner zu gehen. Dabei werden die drei Grad Minus gekonnt ignoriert. Ihre Gespräche vertiefen sich mehr und mehr, sie lernt den jungen Mann da neben ihr näher kennen. Es könnte nicht schöner sein. Plötzlich bleibt er stehen. Die Straßenlaterne taucht ihn in gelbliches Licht und sie kann seine Augen strahlen sehen.
„Frierst du eigentlich?", hakt er nach und das Grinsen in ihrem Gesicht wird breiter.
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der Adventskalender 2023
Historia Corta24 kurze Geschichten über die Weihnachtszeit. Ob Märchen, Gedicht oder Alltagssituation, von allem ist etwas dabei. Ein kleiner Einklang in die Weihnachtszeit- und Adventszeit.