Türchen 22: O Tannenbaum

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Es war einmal ein kleiner Baum, mitten zwischen all den Großen. Sie alle hatten kräftige grüne Nadeln, starke Stämme und Äste, mit denen sie viel Schmuck tragen konnten, ohne zu brechen. Der kleine Baum war noch nicht recht gewachsen. Kamen Leute Tag ein, Tag aus, um ihren Baum zu finden, so gingen sie an ihm vorbei, ohne ihm auch nur eines Blickes zu würdigen. Blieb doch mal ein Einzelner stehen, schüttelte er nur den Kopf und sprach „Der ist ja viel zu lütt, das kann kein Weihnachtsbaum sein."

Solche Worte kränkten den kleinen Baum, er wurde traurig und ließ die Nadeln hängen. Warum waren die Menschen denn so gemein zu ihm? Nur weil er noch klein war, war er es nicht würdig, ein Weihnachtsbaum zu sein?

Da sagte eines Nachts einer der Größten zu ihm: „Hey Bäumchen, sei nicht so trübe. Auch deine Zeit wird kommen. Im nächsten Jahr wirst du so groß sein wie wir, da will dich jeder. Aber sei dir gewiss, wenn dich noch in dieser Weihnachtszeit einer wählt, bist du der perfekte Weihnachtsbaum für ihn."

„Ich verstehe nicht", antwortete der kleine Baum, noch immer tieftraurig.

„Weißt, mein Bäumchen, wir alle waren mal klein. Die Menschen liefen auch an uns vorbei, weil wir nicht in das Bild des großen Weihnachtsbaumes passten. Sie meinten, wir könnten keinen Schmuck tragen, ohne unsere Äste zu verlieren. Aber wir sind stärker als sie denken, und für jeden Baum gibt es passenden Schmuck. Es spielt keine Rolle, ob wir groß oder ob wir klein sind. Am Ende sind wir alle das gleiche; Tannenbäume, die Weihnachtsbäume sein wollen."

„Du meinst, ein Mensch könnte mich auswählen?"

„Vielleicht, du wirst sehen. Noch ist die Zeit nicht vorbei. Nun lass die Nadeln nicht so hängen, das macht keinen guten Eindruck. Stell dich selbstbewusst hin, dann werden sie es erkennen."

Danach schwiegen beide Bäume, es war ja schließlich auch Nachtruhe. Aber das kleine Bäumchen konnte nicht aufhören, darüber nachzudenken, was der Große zu ihm gesagt hatte. Es durfte sich keine zu großen Hoffnungen machen, aber dass es überhaupt eine Chance hätte, schon jetzt ein Weihnachtsbaum zu werden, machte es glücklich.

Die Sonne kletterte an den Himmel und sie ging wieder unter. Tage vergingen, in denen das Bäumchen versuchte, sich selbstbewusst zu präsentieren. Es hatte das Gefühl, das mehr Menschen zu ihm schauten, doch niemand wollte es haben. Am fünften Tag schien es den Mut zu verlieren. Der Große hatte es ja doch gesagt, dass man schon als kleiner Baum gewählt wird, passiert nur manchmal. Als wäre all das nicht schon genug, wurde an diesem Tag der große Baum von einer Familie ausgewählt und mitgenommen. Jetzt hatte das Bäumchen nicht einmal mehr jemanden zum Reden. Die anderen verstanden seine Situation gar nicht. Warum auch? Sie brauchten sich keine Gedanken zu machen. Einer nach dem anderen wurde ausgewählt. Das Bäumchen bekam Angst, allein dazubleiben.

Doch am sechsten Tag stand da ein Mann vor ihm. Er schaute sich ihn länger an, betrachtete Stamm und Nadeln. Dass es kitzeln würde, war dem Bäumchen gar nicht mal bewusst. Wieder kam ihm der Gedanke, dass der Mann gleich gehen würde. Er wollte ihn sicher nicht haben, weil er noch so klein war. Da zuckten die Mundwinkel des Mannes nach oben, er grinste feierlich.

„Ich habe den perfekten Weihnachtsbaum gefunden!", freute er sich lauthals.

Ein Verkäufer schritt zu ihm herüber und zog irritiert eine Braue in die Höhe.

„Der ist doch noch gar nicht ausgewachsen", sagte dieser.

„Trotzdem, er ist perfekt. Wissen Sie, ich bin gerade erst ausgezogen, meine Wohnung ist klein und mein Budget nicht groß. Da gehört ein kleiner süßer Weihnachtsbaum einfach dazu."

Das Bäumchen musste aufpassen, nicht vor Freude die Nadeln zu verlieren. So kam es, dass der Mann das Bäumchen kaufte und mit zu sich nach Hause nahm. So stand das Bäumchen bis in den Januar hinein in dem gemütlichen Wohnzimmer, trug den schönsten goldenen und roten Schmuck und war stolz, trotz seiner geringen Größe ein waschechter Weihnachtsbaum zu sein. In diesem Moment fühlte sich das Bäumchen wie ein ganz Großer.

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