Etwas nervös bin ich schon, Liam meine Wohnung zu zeigen. Das letzte Mal, als ich ihn sah, lebte ich noch bei meinen Eltern. Es ist so, als würde er in meine Seele schauen können. In mein tiefstes Inneres. Ich habe Angst, ihm mein Inneres zu zeigen. Was wenn er dadurch meine wahren Gefühle herausfindet? Nie habe ich ihm gesagt, dass er für mich mehr als nur ein Freund ist, und das soll auch so bleiben. Ich möchte das zwischen uns nicht ruinieren. Lieber habe ich ihn als platonischen Freund, als gar nicht.
Wir betreten die Wohnung. Er sagt nichts, aber sein Blick wandert durch den Raum.
»Das ist mein kleines Reich«, sage ich verlegen.
»Süß.«
Süß? Was meint er damit? Süß, wie nett hier oder süß, wie ich will dir nicht ins Gesicht sagen, wie kacke ich deine Wohnung finde? Mache ich mir wieder zu viele Gedanken? Komm runter Julie. Es ist Liam. Er mochte dich auch, als er dein pinkes Kinderzimmer mit den Adam Levine Postern sah. Wenn er da nicht weggelaufen ist, dann schrecken ihn meine Kuscheldecke mit dem Nikolausmuster und der Kinder-Schokolade Adventskalender auch nicht ab.
»Sind das Schlittschuhhalter in einem Meerschweinchen-Design«, fragt er mich, als er meine Schlittschuhe entdeckt.
»Ja, die habe ich in Chicago gekauft, als ich Tante Emma besuchte.«
»Ich wusste nicht einmal, dass es so etwas gibt.«
Im Wohnzimmer setzt sich Liam auf die Couch und sieht zu meinen Pflanzen rüber. »Nur ein Weihnachtsstern als Deko? Ich dachte mir, hier wird es wie in Santas Haus aussehen.«
»Du kennst mich. Die Kinder haben noch nicht einmal ihre Halloween-Süßigkeiten aufgegessen und ich hänge schon die Weihnachtsdeko auf. Aber Jackson hat sie mir letztes Jahr ruiniert. Deshalb war ich heute einkaufen.«
»Irgendwie typisch für Jackson. Er hat damals auch den Laternenlauf ruiniert.«
»Das ist irgendwie so sein Ding.« Ich gehe zur Küche, die mit dem Wohnzimmer in einem Raum ist. »Magst du etwas Alkoholisches trinken? Ich hätte einen Bratapfel-Likör.«
»Whiskey wäre gut.«
»Als Alternative hätte ich nur noch Wein. Kaffee habe ich auch keinen, weil der Kaffeevollautomat kaputt ist.«
»Wein ist auch ok.«
Ich nehme die Flasche und zwei Gläser. Die verbrannten Plätzchen verstecke ich unauffällig und nehme nur die Guten. Er muss nicht sehen, dass sie mir nicht gelungen sind und hier fast das Feuer ausgebrochen wäre.
Ich stelle alles auf den Couchtisch. »Hier kommen Wein und Plätzchen. Wir können anfangen.«Aber etwas anderes hat Liams Aufmerksamkeit bekommen. Er steht auf und geht zum Fernseher. Dort nimmt er das Foto mit dem vergoldeten Bilderrahmen. »Du hast das Bild noch?«
Er dreht sich zu mir und zeigt mir das Foto. Darauf sind wir zwei zu sehen, als wir einmal die ganze Nacht unterwegs waren. Man sieht sogar den Sonnenaufgang im Hintergrund. Es ist unser letztes gemeinsames Foto. Kurz danach verließ er New York.
»Ähm ... ja ... das«, stottere ich. Es ist mir peinlich, dass er sieht, dass ich nach sieben Jahren noch immer das Foto stehen habe.
Lächelnd betrachtet er das Bild. »Diese Nacht war unvergesslich.«
»Das war sie.«
Liam stellt das Bild zurück und nimmt ein Buch. »Du liest noch immer gerne Romane?«
»Ja. Das Buch heißt Der Kuss der Mafia und ich kann es kaum erwarten, dass der zweite Teil kommt. Du kannst es dir gerne ausleihen, wenn du magst. Vielleicht gefällt es dir.«
»Danke, aber Romane waren noch nie mein Ding. Aber das Cover ist cool.«
Wir setzen uns auf die Couch und als ich Kevin-allein zu Haus anklicken möchte, spinnt die Fernbedingung und ich wähle den falschen Film aus.
»Das ist der Film Drei Haselnüsse für Aschenbrödel.«
»Verdammt, ich sollte die Batterie wechseln. Die Fernbedingung macht, was sie will.«
Irgendwie schaffe ich es, den richtigen Film auszuwählen, und ich lehne mich zurück. Liam und ich sitzen nebeneinander, aber nicht so nah wie zwei Liebende. Es ist diese eine Distanz zwischen uns, die Freunde so haben. Mein Körper sehnt sich nach seiner Nähe und drängt mich, zu ihm zu rutschen. Aber ich kann nicht. Endlich sehe ich ihn wieder und möchte ihn nicht verjagen.
Doch dann nimmt er die Nikolausdecke und deckt uns beide zu. Dabei schließt er die Lücke zwischen uns, weil die Decke nicht sonderlich groß ist. Mein Herz rast, wie verrückt und ich hoffe, dass er meine Anspannung nicht bemerkt. Ich spüre seine Wärme und seinen Arm, der an meinem streift. Die holzige Duftnote seines Parfüms steigt mir in die Nase und benebelt meinen Verstand. Wie soll ich mich jetzt auf den Film konzentrieren?
»Ach, bevor ich es vergesse«, holt mich Liam aus meiner Trance, »Ich habe zwei Karten für die Rangers. Sie spielen bald im Madison Square Garden. Magst du mitkommen?«
»Ja, sehr gerne. Danke, dass du das zweite Ticket mir gibst. Ich freue mich riesig auf das Spiel.«
»Gut, dann haben wir nächstes Wochenende ein Date.«
Mein Herz macht kurz einen Aussetzer bei dem Wort Date, aber dann erinnere ich mich, dass er das früher oft gesagt hat. Er hat es nie in romantischer Hinsicht gemeint.
»Klar. Wir haben ein Date«, erwidere ich und hoffe, dass er den enttäuschten Klang in meiner Stimme nicht wahrnimmt.
Ich drücke auf Play und gerade, als der Film anfängt, wird alles dunkel.
»Ein Stromausfall.« Mir fällt jetzt erst auf, dass es draußen schon finster ist.
![](https://img.wattpad.com/cover/357379696-288-k481289.jpg)
DU LIEST GERADE
Story Adventskalender
RomanceDer Story Adventskaldender ist eine Geschichte, die ich zusammen mit meinen Lesern schreibe. Auf Instagram gebt ihr mir jeden Tag ein paar Wörter (jeder ein Wort) und aus diesen Wörtern schreibe ich dann das nächste Kapitel. Jeden Tag wird ein Türc...