Kapitel 12

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Jade

Während wir in Callums Auto zum Tatort fahren, ist es still im Auto. Nur das Radio dudelt leise vor sich hin und spielt irgendwelche alte Musik von neunzehnhundertirgendwas.
Ich sehe Callum immer wieder von der Seite aus an. Er blickt konzentriert auf die Straße und scheint nicht zu bemerken, dass ich ihn anstarre. Der Grund dafür ist, dass er anders aussieht, als sonst. Nein, nicht sein Aussehen hat sich verändert, viel mehr ist es die Mimik. Ich kann nicht genau deuten, ob es Trauer oder Freude in seinen Augen ist. Vielleicht frage ich einfach mal unauffällig?
„Callum?“
„Mhm?“, macht er.
„Ist alles okay bei dir?“, frage ich und sehe ihm tief in die Augen. Ich kann relativ gut Emotionen deuten.
Callum holt tief Luft, dann sagt er: „Meine Frau Jessica ist, war schwanger. Sie hat mir vorhin berichtet, dass sie das Baby verloren hat, wie weiß ich momentan auch nicht. Was ich auch nicht weiß ist, wie ich mit der Sache umgehen soll, denn irgendwie bin ich traurig, aber auch glücklich, denn ich wollte eigentlich noch kein Kind, zumindest nicht mit ihr, ach und ich weiß auch nicht ...“
Ich lege meine Hand auf seine und sehe ihn mitfühlend an. Ein Schlamassel, in dem er da steckt.
Callum lächelt mir dankbar zu, dann hält er den Wagen an. „Wir sind da, Jade.“
Ich habe gar nicht bemerkt, dass wir schon zuhause angekommen sind. Wenn ich es noch zuhause nennen kann. Ich merke, wie mir plötzlich Tränen in die Augen steigen, weil ich weiß, dass ich hier nicht mehr wohnen kann. Die Erinnerungen sind zu viele.
„Ist denn alles bei dir in Ordnung?“, fragt Callum mich plötzlich.
„Äh ... Ja, alles okay“, lüge ich und steige aus dem Wagen. Sofort entdecke ich einen großen, roten Fleck auf dem Gehweg, dort, wo vor wenigen Stunden Marcus‘ Leiche lag. Ich schlucke, dann nähere ich mich. Der weiße Zaun, der direkt neben dem Bürgersteig einen Garten begrenzt, hat ein Einschussloch, das fällt mir sofort auf. Und noch etwas. Dort, wo ich stand, ist auch eins. Wurde auf mich geschossen und ich hab es nicht bemerkt?
Plötzlich spüre ich, wie Callum meine Hand greift und sie drückt. „Du musst das nicht tun, Jade, das weißt du, oder?“
Ich nicke und sehe ihn dankbar an. Doch ich muss es tun. Ich möchte Antworten. Außerdem will ich ein letztes Mal in meine Wohnung.
Ich gehe los und Callum folgt mir. Wir gehen die Treppen zu meiner Wohnung hinauf und ich schließe auf. Still und verlassen liegt sie da. Unsere Jacken hängen wie immer am Haken, auf dem Couchtisch stehen zwei leere Weingläser.
Ich atme kurz durch, dann gehe ich durch unsere Wohnung und sammle das wichtigste ein, was ich behalten möchte. Ich packe es in eine  Tasche, die im Flur rumlag.
Eigentlich möchte ich gehen, doch dann werfe ich einen Blick auf Marcus‘ Arbeitszimmer. Zu neugierig bin ich, was sich auf seinem Computer verbirgt. Also öffne ich die Tür und schlüpfe hinein. Ich setze mich auf seinen Bürostuhl und schalte den Computer an. Mist, Passwortgeschützt. Warum sollte der auch frei zugänglich sein? Mit meinen Fingern hämmere ich auf die Tischplatte, während ich überlege, wie das Passwort lauten könnte. Dann fällt mir etwas ein. Marcus war Autoliebhaber, vor allem die schnellen Sportwagen gefielen ihm. Ich gebe „Lamborghini“  ein, doch leider ist es nicht das Passwort. Nur noch zwei Versuche. Ich überlege, wie sein neuestes Spiel heißt, welches er entwickelt. Es heißt
Legends of Lumina: Die Prophezeiung des Lichts.
Aber ob das das Passwort ist? Ich gebe es ein, aber wie schon gedacht, ist es nicht das richtige Passwort.
Dann fällt mir ein, dass viele Leute ihr Passwort unter Tastatur oder Maus verstecken, um es nicht zu vergessen. Ich schaue unter die Tastatur, doch dort ist nichts. Also die Maus. Ich hebe sie an, drehe sie um und – Voilá! Dort steht es! Ich verdrehe die Augen. Es ist Sucram, Marcus rückwärts. War ja klar.
Ich gebe es ein und bin drinnen. Schnell suche ich einen Stick und ziehe alles, was irgendwie von Relevanz sein könnte, darauf, dann schalte ich den Computer aus und stecke den Stick weg.
Nun heißt es Abschied von diesem Ort nehmen. Ich stehe auf und begebe mich zu Callum, der die ganze Zeit im Flur gewartet hat.
„Hey, Jade. Ist wirklich alles gut? Du siehst traurig aus“, fragte er.
Ich nicke, obwohl es nicht der Fall ist. Plötzlich zieht mich Callum in eine Umarmung und ich sehe ihm tief in seine Augen. Er lächelt und ich kann nicht wegsehen. Sind es seine Augen, die mich so hypnotisieren, oder sein Lächeln? Ich weiß nicht, wie lange ich ihn anstarre, doch dann kommt er mir immer näher und ich lasse es zu …

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Geschrieben von Alexandra

✔️ Im Schatten der Intrigen | Mit @JNachtwehWo Geschichten leben. Entdecke jetzt