Kapitel 40

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Jade

Nun stehen wir also vor der Fabrik. Ich kann Marcus‘ Auto nirgends erkennen, dafür aber den Pick-Up von Rick und zwei SUVs mit getönten Scheiben. Des weiteren befindet sich auf dem eingezäunten Gelände ein uralter Kran, an dem früher wohl Waren auf die Ladeflächen von LKWs gehoben wurden. Neben dem Fabrikgebäude, welches vor Schmutz nur so trotzt, steht ein weiteres, kleineres Gebäude, in dem früher wohl mal Kisten gelagert wurden. Die Fabrik kann nur noch durch eine kleine, unscheinbare Tür an der Seite betreten werden. In dem Dach der Fabrik gibt es einige Löcher, die wohl von einem Sturm verursacht wurden.
Callum sieht mich an. „Was machen wir jetzt? Einfach reingehen?“
Ich nicke und hole aus meinem Auto eine weitere Pistole. Meine trage ich in einem Holster an meinem Gürtel.
„Nur für den Notfall, C“, sage ich und er nickt. Dann betreten wir die Fabrik durch die kleine Tür und betreten einen großen Lagerraum.
Ich entdecke einige leere Kisten, die langsam verrotten, außerdem gibt es mehrere Lastenaufzüge, die Waren in die  Emporen, die sich wie ein U bildeten, bringen. Ob die noch funktionieren? Durch die Decke fällt ein wenig Licht hinein.
Vorsichtig klettere ich an einem Seil hinauf in die erste Empore und entdecke einen Schrank, vor dem ein altes Zahlenschloss hängt. Es ist offen. Vorsichtig nehme ich es ab und öffne den Schrank. Doch außer Staub befindet sich nichts darin.
„Hast du was gefunden, Jade?“, ruft Callum und ich zucke zusammen. Er steht immer noch unten und sieht zu mir.
„Bist du verrückt geworden? Wenn das jemand gehört hat!“, zische ich und horche. Doch keine Schritte oder Stimmen sind zu hören.
„Reg dich ab, ja? Hier wird schon niemand sein. Sonst würden die den Eingang doch viel besser bewachen“, antwortet Callum und lehnt sich gegen einen Pfosten, der die Emporen abstützt.
Ich sehe mich weiter um. Hier oben stehen weitere, verschlossene Kisten. Ob ich mal hineinsehen soll?
Vorsichtig öffne ich den Rand der Kiste ein Stück und spähe hinein. Als ich sehe, was darin ist, zucke ich zusammen. Die neueste Waffentechnologie, Prototypen, Handgranaten. Überall TNS eingraviert. Scheiße! Das alles wächst uns langsam über den Kopf. Diese Waffen hat nicht mal die US-Navy, und das hat was zu bedeuten. Ich muss sofort Collins und Steele bescheid geben.
Gerade will ich mein Handy herausziehen, als -
„Jade! Wie schön, dass wir uns endlich treffen!“ Es ist Merediths Stimme. Und sie kommt von hinter mir. Langsam drehe ich mich um und sehe meiner Halbschwester ins Gesicht. Sie richtet eine 38er auf mich und grinst fies.
„Ich hätte nicht gedacht, dass ihr so dumm seid und allein aufkreuzt“, lacht Meredith fies und ruft: „Fred, Dario, wir haben sie!“
Zwei, mit Muskeln bepackte Männer kommen auf mich und Callum, der immer noch unten steht und Meredith mit großen Augen anstarrt, zu.
„Ihr wisst, was zu tun ist“, meint Meredith und grinst mich noch fieser an, als ich sie ansehe.
„Das war eine Falle!“, fällt es mir wie Schuppen von den Augen.
„Richtig.“ Meredith will mir die Waffe abnehmen, doch ich weiche geschickt aus und gebe ihr einen Tritt gegen das Knie.
„Du Miststück!“, jault sie auf und hält sich das Knie. Doch plötzlich greifen zwei Hände nach mir, fesseln meine Hände auf dem Rücken und halten mich so fest, dass ich weder Treten noch weglaufen kann.
Auch Callum wird gefesselt und wird über einen Lastenaufzug auf die erste Empore gefahren. Dann drängen uns die Muskelpakete in einen dunklen Gang hinein. Nur spärlich wird er von einer Neonleiste, die stark flackert, beleuchtet. Er führt eine ganze Weile geradeaus, bevor er einen Knick macht und wir eine Treppe hinauf gehen. Diese führt in einen deutlich breiteren Gang.
Meredith humpelt voraus. Meine Gelegenheit, sie weiter auszuquetschen.
„Das war also alles geplant? Meine Entführung, meine Flucht, die Verfolgung von Marcus‘ Wagen?“
„Die Entführung von Marcus war nicht geplant. Eigentlich solltest du auf der Ladefläche des Jeeps, ein paar Kilometer vom Park gefunden werden. Neben dir sollte ein USB-Stick liegen mit dem Live-Standort von Marcus‘ Wagen. Marcus hatte aber wohl andere Pläne. Naja, es hat ja trotzdem geklappt, nicht wahr?“
Ich funkele Meredith mit einem bösen Blick um. Warum muss ich mit ihr verwandt sein? Warum nicht mit jemand anderem? Ich hasse es, mit einer Verbrecherin meinen Vater teilen zu müssen!
„Sperrt Jade in den Raum 314, Callum in 318. Denkt dran, dass Jade ein Cop ist, sie weiß sich also aus normalen Fesseln zu befreien.“
Die beiden Kleiderschränke nicken und einer zerrt mich in einen dunklen Raum, während Callum weiter den Gang entlang geführt wird.
Auch der Raum ist nur von einer Neonröhre ausgeleuchtet. Von der Decke hängen zwei dicke Ketten, dessen Verwendung mir unklar ist. Sonst gibt es nur einen Tisch in diesem Raum, auf dem eine Überwachungskamera steht, die zu den Ketten zeigt.
„Was wollt ihr eigentlich von mir und Callum?“, frage ich, während mich der Kleiderschrank zwischen die beiden Ketten stellt, meine Hände mit einem Seil daran befestigt und mich dann fies angrinst.
„Ihr wisst zu viel“, sagt er nur, bevor er an eine Wand tritt, wo ein Knopf angebracht ist. Er drückt diesen und plötzlich werden die Ketten, an die mich der Typ gefesselt hat, hinaufgezogen. Ich spüre, wie sich das Seil in meine Hand schneidet, bevor meine Füße vom Boden abheben und ich vollkommen in der Luft hänge. Dann stoppen die Ketten und erst jetzt spüre ich den Schmerz um meine Handgelenke.
Der Mann macht Anstalten, den Raum zu verlassen. Dann schießt mir eine Idee durch den Kopf. „Ich will mit eurem Anführer sprechen!“
„Was willst du?“
„Mit eurem Anführer sprechen“, wiederhole ich. Ist dieser Typ schwerhörig? Das würde zumindest erklären, warum er für die groben Sachen eingesetzt wird. Oder, weil er ein Muskelprotz ist.
„Ich spreche mit meinem Boss.“ Mit diesen Worten geht der Kerl und ich bin allein. Eine unangenehme Stille breitet sich aus und ich spüre, dass der Schmerz immer stärker wird. Es fühlt sich an, als reiße mir jemand die Arme aus.

Stunden muss ich nun schon an den Ketten hängen, ohne das etwas passiert. Doch dann, endlich, wird die Tür geöffnet und kein anderer als Liam tritt ein.
„Jade, tz, tz, tz, hat man dir nicht beigebracht, dass man bei einer Entführung keine Fragen stellen darf?“, fragt Liam und legt eine Akte auf den Tisch, auf den er sich nun setzt und mich erwartungsvoll ansieht.
„Eigentlich ist es keine Entführung, sondern eine Freiheitsberaubung. Fünf Jahre sitzt man dafür ein.“
Liam lacht stumm. „Also, was willst du von mir?“
Moment. Er ist der Chef der TNS? Was? Damit hätte ich nie gerechnet! Er war so unscheinbar und hat sich in London doch sogar selbst die Hände schmutzig gemacht!
Ich fasse mich schnell wieder und frage: „Warum das ganze? Die neuesten Waffenmodelle, diese Geheimnisse?“
„Wir wollen geheime Daten von der CIA, um die USA anzugreifen“, erklärt Liam, ohne eine Miene zu verziehen.
„Warum?“, frage ich weiter. So etwas habe ich mir schon gedacht. Doch warum wollen sie die USA angreifen?
Liam gibt mir keine Antwort darauf. Stattdessen öffnet er die Akte und liest irgendetwas, was ich nicht erkennen kann.
„Jetzt bin ich mit Fragen dran. Jade, du warst bis vor einem halben Jahr eine gute, erfolgreiche Rechtsanwältin. Und jetzt jagst du Verbrecher?“
Ich zucke mit den Schultern: „Es kommt nicht selten vor, dass man seinen Job wechselt.“
„Ah ja.“ Liam steht auf und tritt an mich heran. „Hör zu, Jade Harper. Du bist mir in den letzten Monaten deutlich zu gefährlich geworden. Also halt dich da raus, verstanden? Sonst kann ich für nichts garantieren. Meine Leute würden alles für mich tun.“
Mit dieser Drohung verschwindet Liam und lässt mich allein. Ein merkwürdiges Gespräch.
Hoffentlich ergeht es Callum besser.

***
Geschrieben von Alexandra

✔️ Im Schatten der Intrigen | Mit @JNachtwehWo Geschichten leben. Entdecke jetzt