Es hatte angefangen zu regnen. Kalte kleine Tropfen rieselten vom Himmel und bildeten langsam aber sicher schlammige Pfützen auf den unbefestigten Wegen des Dorfes. Den allgegenwärtigen Nebel ließ dies völlig unbeeindruckt, klamm und undurchsichtig schien er über den Boden zu kriechen, auf der Suche nach was auch immer Nebel suchen mochte. John wurde die ganze Warterei entschieden zu blöd. Er stand seit rund einer Stunde draußen vor der Gaststätte, das Zaumzeug lose über den Rücken gelegt, schnaubte er böse bei jeder Seele, die das Pech hatte vorbeizulaufen. Frau Anna, mit einem Lamm in den Armen, huschte vorbei und zuckte zusammen, als der schwarze Hengst die Zähne bleckte. Ihr Blick fiel auf das nutzlose Zaumzeug und in Ihrem Gesicht lag eine tiefgehende Missbilligung. John war versucht sie zu keifen, was ihr denn einfiele, ihn so kritisch zu beäugen. Stattdessen biss er sich auf die Lippen. Nur ein paar Minuten später erschien, von Frau Anna alarmiert, ein großer, kräftiger Bursche. Den hatte John doch schon mal gesehen. Wie hatte Nox ihn genannt, Erwald? Und der wollte nun nach Johns Mähne greifen. Der Hengst wieherte protestierend und trat aus. Der junge Kerl sprang zur Seite und rief: „Hoh! Keine Angst, ich tu dir nichts!" Doch John galoppierte davon. Sollte Nox doch allein zurück zum Schloss laufen!
In der Gaststätte blickten unterdessen fünf Augen neugierig auf die leuchtenden Rotbarsche.
„Sie heißen ja nicht ohne Grund Rotbarsch, aber ich wusste nicht, dass sie auch rot leuchten können. Da denkt man, man hätte alles schon gesehen." Der Fischer Ron zog einen Barsch an den Flossen heraus, hielt ihn über den Kopf und betrachtete ihn prüfend von allen Seiten.
„Sei vorsichtig damit!" warnte Arabella, schnappte den Fisch und warf ihn mit spitzen Fingern zurück in die Kiste.
„Glaubt ihr, man kann sie trotzdem essen?" fragte Nox und schluckte ein wenig Speichel runter. Sein Magen knurrte laut.
„Na, hört mal! Ich werde diese Dinger ganz bestimmt nicht kochen! Es wäre wohl am besten, wenn wir sie einfach verbrennen. Außerhalb des Dorfes und mit reichlich Abstand."
„Das wäre aber schade" meinte der Fischer, zuckte dann aber mit den Schultern „Bezahlt ist bezahlt. Sie gehören euch."
„Warte!" Arabella hielt ihn zurück „Ist dir was Ungewöhnliches aufgefallen? Wo genau habt ihr die Fische denn geangelt?"
„Es war schon eigenartig, dass wir sie direkt an den Docks rausgezogen haben. Normalerweise trauen sie sich nicht so nah heran. Sie schienen an der Wasseroberfläche nach Luft zu schnappen, glaubt ihr das?"
Arabella hob die Faust und klopfte auf die Arbeitsplatte: „Auf zum Hafen!"
„Aber was ist mit dem Eintopf?" fragte Nox enttäuscht, doch die Wirtstochter schüttelte nur knapp den Kopf: „Dafür ist jetzt keine Zeit."
„Ich finde schon ..."
Arabella legte den Kopf schief: „Ihr müsst nicht mitkommen, wenn ihr nicht wollt."
„Doch doch. Ich komme!" antwortete der Eulendämon mit einem so derartig falschen Enthusiasmus, dass Arabella sich ein Lachen nicht verkneifen konnte.
„Bevor ihr verhungert, hier, ich habe noch etwas Brot und Käse!" Sie nahm beides aus einem Regal und warf es Nox zu. Der schnupperte unsicher daran.
„Das Brot ist vielleicht schon ein bisschen trocken, aber der Käse macht es wett. Nun kommt."
„Danke." Auf dem Weg nach draußen biss Nox ein Stück vom Brot ab. Es schmeckte ganz anders als Fleisch. Aber gar nicht so schlecht, wie er befürchtet hatte.
Am Dorfrand blieb das getarnte Einhorn unwillig stehen und blickte zurück. Der Bursche verfolgte ihn nicht. Von hier aus hatte er die Gaststätte noch halbwegs im Blick. Irritiert blinzelte er. Aus einem der Fenster drang ein unnatürlich rotes Licht. Was mochte das denn sein? Da ging die Tür auf und Nox sowie das rothaarige Dorfmädchen, traten auf die Straße. John wollte umkehren, als ihn eine Stimme zurückhielt.
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Das Auge von Nox
FantasyZwanzig Jahre lang hatte Nox nach dem perfekten Ort gesucht, um Rache an jenem Abenteurer zu nehmen, der eines seiner Augen gestohlen hatte. Nun musste er noch das Vertrauen der Dorfbewohner gewinnen ... wären da nur nicht dieser Hunger auf Fleisch...