Als Nox den Eingangsbereich des alten Herrenhauses betrat, zeigte sich ihm ein Bild der Verwüstung. Umgeworfenes Mobiliar lag verstreut, in der Ecke waren zwei Leichen aufeinander gestapelt und im Boden klaffte ein Loch. Ein unheimliches rotes Licht drang daraus hervor, doch schien es nicht zu leuchten, sondern über den Boden zu kriechen, als würden Hände sich mit den Fingernägeln im Parkett festklammern und versuchen sich daran herauszuziehen.
„Was um alles in der Welt ist das?“ fragte Mox eigentlich niemanden, aber John fühlte sich angesprochen und antwortete: „Die Überreste der letzten Nacht. Ich weiß nicht, wie lange sie frisch bleiben, vielleicht sollten wir sie direkt fressen.“
„Ich meine nicht die beiden Leichname ...“ Sein Magen fing an zu knurren.
„Ich habe aber Hunger!“ schnaubte John "Ich habe extra gewartet, bis du aufwachst."
„Du hilfst mir erst, diese Luke zu öffnen!“ bestimmte der Eulendämon und kniete sich hin um das Loch genauer zu untersuchen.
„Luke?“
„So nennt man das doch, hier dieses Ding, das man aufklappen könnte, wenn man wüsste wie ...“ Nox zeigte auf einen unscheinbaren metallischen Verschluss. John trabte näher und schaute sich das Fundstück an.
„Muss das sein? Wir könnten einfach einen Teppich drauflegen.“
„John! Das könnte ein wichtiger Hinweis in Bezug auf den Mord am Förster sein!“ tadelte ihn Nox, aber John wieherte nur verärgert: „Was interessiert der dich überhaupt? Was geht es uns an? Hm? Warum willst du so unbedingt Eindruck bei den Menschen schinden? Mindestens einer davon hat gestern Nacht versucht dich zu töten.“
„Das glaube ich eigentlich nicht ...“
„Wie, du glaubst das nicht? Sieh dich doch an!“
„Eben! Wenn man mich hätte töten wollen, dann wäre ich jetzt tot. Ich glaube es war eher eine Warnung.“
„Und du hörst nicht auf Warnungen? Warnungen sind dafür da dich zu warnen. Wenn du weitermachst, gibt’s keine Warnungen mehr!“ redete sich John in Rage, doch Nox schüttelte nur den Kopf und legte dem Einhornhengst wie beiläufig eine Hand auf die Schnauze. Er hatte in all den Jahren gelernt, dass diese Geste seinen Freund stets beruhigte, egal wie sehr er sich aufgeregt hatte.
„Ich weiß, dass du dir Sorgen machst. Und scheinbar nicht ganz unberechtigt. Aber wir können nicht gehen. Ich habe mein Auge noch nicht zurück.“
„Vielleicht ist es gar nicht hier“ murmelte John und Nox zuckte mit den Schultern:
„Aber ich werde es nie erfahren, wenn ich jetzt die Flucht ergreife. Und vielleicht, nur vielleicht, ist es ja dort unten.“ Er deutete auf das Loch im Boden :„Ich kann es nicht öffnen.“
„Argh! Nun gut, wenn du es uuuuunbedingt willst. Kein Problem!“ John holte etwas Schwung, bäumte sich auf und stieß sein wieder erschienenes Horn in die Verankerung. Mit einem lauten Krachen zersplitterte das Schloss. Nox griff mit beiden Händen nach der nun unverschlossenen Luke und ließ mit einem Schmerzlaut wieder los. Die Brandwunde auf seiner Brust protestierte ob der plötzlichen Belastung.
„Lass mich mal!“ zischte John, platzierte sein Horn unter der Luke und riss es mit einer kräftigen Kopfbewegung hoch. Polternd öffnete sich ein verborgener Raum, direkt unter dem Fußboden. Das rote Licht, vorher noch kriechend und lauernd, schien sich aufzublähen und zu platzen, so dass beide Monster den Kopf abwandten und die Augen fest zukneifen mussten, um nicht geblendet zu werden. Wenige Augenblicke später war der Spuk vorbei.
„Si. Da hast du es. Ein Raum. Mit leuchtenden Dingen drin. Ich seh dein Auge nicht. Also geh zurück ins Bett.“
„John, weißt du eigentlich, was das ist?“
„Ärger.“
Nox legte den Kopf schief: „Da kann ich dir vermutlich nicht mal widersprechen. Ich will mir das trotzdem ansehen.“ Er ließ den Blick aufmerksam über das Fundstück wandern. Eine hölzerne Leiter führte hinunter.
„Ich kann da nicht runterklettern“ stellte John fest.
„Aber ich.“
„Das lässt du bleiben!“ John versuchte sich ihm in den Weg zu stellen.
„Was soll das?“
„Willst du dich umbringen?“
„Nein, ich will Antworten. Und du stehst im Weg." Nox pikste John verärgert mit spitzen Krallen in die empfindliche Nase. John schnaubte unnachgiebig. Der Eulendämon seufzte leise, spannte die Muskeln an, ignorierte den Schmerz der damit einherging, duckte sich weg und sprang unter John hindurch, direkt in die offene Luke hinein.
„Nox!“ brüllte John überrumpelt und wutentbrannt, aber es war zu spät. Mit der Schulter voran prallte der Angesprochene unten auf den Boden auf und stöhnte leise ob des dumpfen Schmerzes. Er blieb ein paar Sekunden liegen und rappelte sich dann vorsichtig auf. Mit spitzen Fingern prüfte er, ob er sich nun selbst noch weiter beschädigt hatte, aber es schienen zumindest keine Knochen gebrochen zu sein. „Alles gut“ rief er nach oben, was mit einem wütenden Schnauben quittiert wurde.
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Das Auge von Nox
FantasyZwanzig Jahre lang hatte Nox nach dem perfekten Ort gesucht, um Rache an jenem Abenteurer zu nehmen, der eines seiner Augen gestohlen hatte. Nun musste er noch das Vertrauen der Dorfbewohner gewinnen ... wären da nur nicht dieser Hunger auf Fleisch...