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„Noah hat gesagt, dass er in Wagen 23 ist, der hält in Abschnitt C.", rief Colin mit einem Blick auf sein Handy. Seine Familie trottete ihm brav hinterher, als er den Bahnsteig entlanglief und den perfekten Platz suchte, um Noah gleich in Empfang zu nehmen.

Es war einer der seltenen Tage, an denen der Zug keine Verspätung hatte, und die Durchsage, dass der ICE in wenigen Minuten einfahren würde, ließ Colin ganz hibbelig werden.

„Stellt euch vor, wir wären 'ne halbe Stunde früher losgefahren, wie Colin eigentlich wollte! Der wäre ja unausstehlich gewesen, wenn er so lange hätte warten müssen!", raunte Jane ihren Eltern zu, die nur stumm grinsten. Colin ignorierte gekonnt seine Familie und hielt weiter Ausschau nach dem Zug, der bald darauf endlich eintraf.

Die Türen öffneten sich nach einem kurzen Moment und dann stieg Noah aus, der sich suchend umsah. Ganz automatisch rannten Colins Füße los und er stürzte sich in die Arme seines Freundes.

Der blonde Junge umarmte ihn ebenso fest wie Colin ihn drückte und vergrub sein Gesicht in Colins Nacken. Minutenlang standen sie so da, bekamen nichts von der Außenwelt mit und atmeten einfach gemeinsam, bis sich beide wieder ruhig und im Gleichgewicht fühlten.

Colin löste sich ein winziges Stück von Noah, um ihm in seine wunderschönen blauen Augen sehen zu können, die ihn glücklich anstrahlten.

„Hi, love.", flüsterte Colin zärtlich, bevor er Noah küsste. Es waren kaum mehr als 38 Stunden vergangen, seit er das zum letzten Mal getan hatte, doch die Schmetterlinge in seinem Bauch führten einen Freudentanz auf.

Noahs rechte Hand legte sich sanft auf Colins Wange während seine linke ihn an der Taille näher zu sich zog.

Vermutlich hätten sie sich noch stundenlang so weitergeküsst, hätte Colins Vater sich nicht diskret geräuspert. Die beiden Jungen lösten sich verlegen voneinander und Noah nahm zum ersten Mal Colins Familie wahr.

„Hallo Noah, wie schön, dass du da bist!", sagte Corinna und nahm Noah in den Arm. Auch die anderen umarmten ihn herzlich.

„Können wir jetzt heim und Geschenke auspacken?", fragte Jane ihre Mutter aufgeregt. Noah sah Colin verwirrt an.

„Habt ihr nicht gestern schon Bescherung gehabt?"

„Doch, aber heute gibt es nochmal Geschenke.", grinste Colin.

„Heute ist doch Christmas Day! Gestern gab es Geschenke vom Christkind und heute von Father Christmas!", erklärte Jane fröhlich.

„Wir konnten uns nicht einigen, welche Tradition wir fortführen wollen, deswegen haben wir beschlossen, dass wir ein bisschen von beidem feiern und die Geschenke auf zwei Tage aufgeteilt werden.", ergänzte Corinna lächelnd.

„Oh. Aber dann stör ich euch ja bei eurer Familientradition, das wollte ich nicht! Ich hätte auch erst morgen kommen können!", sagte Noah bedrückt.

„Unsinn! Wir haben dich doch eingeladen!", widersprach Corinna sofort.

„Ganz genau. Let's go.", meinte auch Jake lächelnd, nahm Noah seinen Koffer ab und machte sich auf den Weg zum Auto. Colin verschränkte seine Finger mit Noahs, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und folgte glücklich seiner Familie.

„Komm, Noah, für dich gibt es auch ein Geschenk!", rief Jane, als sie zuhause angekommen waren, nahm Noah an der Hand und zog ihn ins Wohnzimmer. Noah schaute Colin überrascht an, der nur sanft lächelte und auf das Geschenk mit Noahs Namen deutete.

„Aber..."

„Kein aber. Father Christmas hat dir das gebracht.", sagte Jake augenzwinkernd und setzte sich mit Corinna aufs Sofa, während Colin, Jane und Noah am Boden Platz nahmen und jeweils ein Geschenk auspackten.

„Oh Gott. Das kann ich unmöglich annehmen! Das ist doch viel zu teuer!", rief Noah, als er das neue Teleobjektiv für seine Kamera ausgepackt hatte.

„Natürlich kannst du es annehmen, es ist ein Geschenk.", sagte Corinna warm. Noah stiegen Tränen in die Augen. Colin legte sein eigenes Geschenk weg und nahm seinen Freund in den Arm.

„Es ist nur..."

„Ich weiß, love.", murmelte Colin beruhigend und strich Noah über den Rücken. Es ging nicht mal so sehr um die Kosten, sondern darum, dass Colins Familie Noah überhaupt etwas schenken wollte und dass es seinen Interessen entsprach. Sie hatten sich die Mühe gemacht, Colin danach zu fragen und sich die Zeit genommen, Noah etwas zu kaufen. Das war mehr als Noah seit Jahren von seinen eigenen Eltern bekommen hatte.

„Gefällt es dir nicht, Noah? Wir haben es alle zusammen für dich gekauft.", sagte Jane traurig.

Noah löste sich von Colin und wischte sich eine Träne weg.

„Nein, Jane, ganz im Gegenteil! Ich liebe es! Vielen Dank euch allen!", sagte Noah aufrichtig und umarmte einen nach den anderen. Am Ende setzte er sich wieder zu Colin, legte den Kopf auf seine Schulter und beobachtete, wie die Thewes die restlichen Geschenke auspackten.

Für Noah war es eine komplett neue Erfahrung, ein entspanntes Weihnachten zu feiern, ohne den Druck, den perfekten Sohn spielen zu müssen.

Sie öffneten Christmas Crackers, schauten Filme, aßen selbst gemachte Mince Pies, spielten Brettspiele und abends gab es Truthahn und Christmas Pudding.

Colin und Noah waren den ganzen Tag über unzertrennlich und genossen die Nähe zueinander.

Corinna beobachtete die beiden Jungen viel und schoss heimlich ein paar Fotos, wie sie auf dem Sofa miteinander kuschelten und sich mehr in die Augen sahen als den Film beachteten, wie sie lachend gemeinsam einen Christmas Cracker öffneten oder als sie in der Küche standen und sich gegenseitig mit Mince Pies fütterten. Die verliebten Blicke der beiden wärmten Corinnas Herz.

Abends in Colins Zimmer holte Noah etwas aus seinem Koffer.

„Ich hab' noch ein kleines Geschenk für dich.", sagte er, drückte Colin lächelnd eine Speicherkarte in die Hand und deutete mit dem Kopf auf Colins Laptop, der auf seinem Schreibtisch stand.

„Wir wollten uns doch nichts schenken!", protestierte Colin schwach, während er sich gleichzeitig neugierig an seinen Laptop setzte. Noah stellte sich hinter ihn und schlang seine Arme um Colins Hals.

„Du hast mir ein Objektiv geschenkt."

„Naja, zusammen mit meiner Familie."

„Aber es war deine Idee. Und jetzt sei still und mach die Datei auf!"

Grinsend öffnete Colin die Datei, die schlicht Für Colin hieß. Sein Mund klappte auf, als er einen Film sah, der genau das beinhaltete, was Colin und Joel für die Präsentation ihres 4D-Stuhls brauchten und nicht finden konnten.

Völlig sprachlos starrte Colin weiter auf den Bildschirm, als der Clip zu Ende war.

„Ist es... brauchbar?", fragte Noah unsicher, als Colin immer noch nichts sagte. Langsam drehte sich Colin in seinem Stuhl um und stand dann auf, um mit seinem Freund auf Augenhöhe zu sein.

„Es ist einfach nur perfekt. Genau wie du.", brachte Colin schließlich raus, bevor er Noah fest umarmte. Noah sackte erleichtert in seine Arme.

„Wann hast du das bitte gefilmt?", erkundigte Colin sich, ohne Noah loszulassen.

„Immer, wenn du mit Joel gearbeitet hast. Zuerst wollte ich einen Stop-Motion-Film drehen, aber dann haben mir Julia und Ava ihre Hilfe angeboten und dann ist das dabei rausgekommen.", erzählte Noah verlegen.

„Wow. Stop-Motion dauert doch ewig lange zum Filmen, oder? Das hättest du für mich gemacht, nur damit wir mit unserem Projekt weiterkommen?", fragte Colin mit großen Augen und lehnte sich ein wenig zurück, um seine Stirn an Noahs zu lehnen.

„Es gibt wenig, das ich nicht für dich tun würde.", lächelte Noah.

Colin hoffte, dass der Kuss, den er Noah gab, auch nur ansatzweise die Dankbarkeit und Liebe, die er fühlte, vermitteln konnte.  

Nolin | UnconditionallyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt