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Die Zeit bis zu den Weihnachtsferien verging schnell. Die Tage wurden kürzer, es wurde kälter und Colin und Noah verbrachten immer mehr Zeit drinnen, wenn sie nicht auf ihren regelmäßigen Spaziergängen mit Freddy waren oder auf kleine Dates gingen - ins Café, ins Kino oder worauf sie gerade Lust hatten. Colin genoss aber genauso die Zeit, wo sie einfach nur kuschelnd im Bett lagen und auf Noahs Tablet Filme anschauten, von denen sie mal mehr, mal weniger mitbekamen. Noah war für Colin immer eine große Ablenkung, auch wenn dieser gar nichts aktiv machte, um Colins Aufmerksamkeit zu erregen. Seine bloße Anwesenheit genügte.

Die Verabschiedung am Freitag nach der Schule, als sie alle entweder abgeholt wurden oder alleine heimfuhren, fiel Colin schwer.

„Oh mein Gott, das ist jetzt nicht euer Ernst, oder? Es ist nur ein einziger Tag, den ihr euch nicht seht!", rief Julia kopfschüttelnd, als sie die Jungs in einer engen Umarmung sah. Die beiden ignorierten sie und hielten sich weiter fest.

„Sie hat Recht, es ist wirklich dumm. Aber ich werd' dich vermissen.", murmelte Colin an Noahs Hals.

„Es ist nicht dumm. Ich werde dich auch vermissen."

„Ich werde den ganzen Tag mein Handy bei mir haben, okay? Du kannst jederzeit schreiben oder anrufen."

Noah nickte und küsste Colin. Colin schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf die Gefühle, die Noah in ihm auslöste. Liebe, Wärme, Geborgenheit, Sicherheit, Glück. Es ließ sich schwer zusammenfassen, aber war das Schönste, was Colin je fühlen durfte.

„Ich liebe dich."

„Ich liebe dich. Wir sehen uns bald.", sagte Noah, als ob er versuchen würde, sich von seiner zweiten Aussage selbst überzeugen zu wollen.

„Nicht bald genug.", meinte Colin und küsste Noah ein letztes Mal, bevor er ihn gehen lassen musste, damit Noah den Bus zum Bahnhof noch erwischte. Er selbst wurde bald von seinen Eltern abgeholt.

Noah winkte ihm noch einmal zu, dann war er verschwunden. Schweren Herzens ging Colin zu Julia, die bei ihren Taschen stand und sich mit Massuda unterhielt. Seine Eltern würden Julia mitnehmen, da sie nur wenige Häuser entfernt von ihnen wohnte.

Colin freute sich natürlich, seine Familie wiederzusehen. Auch Jane war mitgekommen, doch mit seinen Gedanken war er bei Noah, der allein nach Hause fahren musste, um dann ein gezwungenes Weihnachtsfest mit seinen Eltern zu feiern. Er hatte Colin erzählt, dass er seit Jahren nur noch einen Umschlag mit Geld von seinen Eltern bekam, da sie ihn zu wenig kannten, um ihm etwas schenken zu können, das ihm gefiel. Obwohl Geld an sich natürlich super war und Colin wusste, dass sie sehr privilegiert waren, weil sie überhaupt Geschenke bekommen konnten, fand er es traurig, dass die emotionale Komponente bei Noahs Familie komplett fehlte.

Hier ist ein Typ im Zug, der einen Weihnachtsmannanzug trägt und ziemlich schräg Jingle Bell Rock singt. Ich hoffe, er muss bald aussteigen.

Die Nachricht von Noah ließ Colin grinsen.

Ich hoffe, er macht auch die passende Choreo von Mean Girls mit!!

Er scheint mir nur ein Bier weit davon entfernt. Noch sitzt er einfach auf seinem Platz und schaukelt hin und her

Du könntest ja mitsingen und tanzen

Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.

Schick mir dann bitte das Video :*

Natürlich, mon amour :*

Du wirst es wahrscheinlich auf sämtlichen social media Kanälen finden

Ich freu mich schon!

Mein Freund, der Tik Tok Star

:D

„Hallo, Erde an Colin?", riss Julias Stimme Colin zurück ins Hier und Jetzt.

„Was denn?"

„Deine Mutter hat jetzt schon zum fünften Mal gefragt, was du so in dein Handy grinst."

„Oh, sorry, hab' ich nicht gehört, Mama. Ich hab' mit Noah geschrieben."

„Natürlich hast du das.", grinste Corinna nur.

„Ihr könnt euch schon mal drauf einstellen, dass Colin die gesamte Zeit geistig abwesend sein wird, bis er mit seinem Liebsten wieder vereint ist. Oder er wird einsam in einer Ecke schmollen, weil er Noah so vermisst.", meinte Julia an Colins Eltern gewandt. Colin stieß ihr mit dem Ellbogen in die Rippen.

„Sei nicht so gemein!", schimpfte er, doch er wusste, dass Julia ihn nur aufzog.

„Ganz ehrlich, ihr gebt euch jedes Mal einen Kuss, wenn ihr in unterschiedliche Module müsst und wenn ihr euch danach wieder seht."

„Na und?", brummte Colin und verschränkte die Arme.

„Ihr verhaltet euch nach jeder fünfminütigen Trennung voneinander so, als ob ihr euch monatelang nicht gesehen hättet."

„Du übertreibst maßlos."

Colins Eltern lachten.

„Na, das werden ja schöne Weihnachten. Vielleicht sollten wir nächstes Jahr Noah direkt zum Ferienbeginn einladen, damit die armen Jungs nicht so lang getrennt sein müssen.", schmunzelte Corinna und Jake nickte.

Colin lächelte beim Gedanken daran, dass seine Eltern fest davon ausgingen, dass Noah und er nächstes Jahr immer noch zusammen waren. Er selbst war davon natürlich auch überzeugt. Wenn es nach ihm ging, würden sie noch sehr lange zusammen Weihnachten feiern.

Colin gab sich alle Mühe, im Moment zu sein und die Zeit mit seiner Familie zu genießen. Sie gestalteten den 24. Dezember immer so gemütlich wie möglich, da seine Mutter Stress hasste und lieber alles so nahm, wie es kam. Sie frühstückten lange, sahen einen Weihnachtsfilm, spielten Gesellschaftsspiele, gingen eine kleine Runde spazieren und machten abends Fondue. Der Weihnachtsbaum war von Jane und Corinna schon vor ein paar Tagen geschmückt worden und stand hell erleuchtet im Wohnzimmer. Zur Bescherung versammelten sich alle dort und öffneten die Geschenke. Es waren meist nicht viele, aber dafür waren sie sorgsam ausgesucht und kamen von Herzen.

Den ganzen Tag über hatte Colin auch Kontakt zu Noah und versuchte ihn aufzumuntern. Colin wusste, dass es Noah sehr belastete, wenn er mit seinen Eltern zusammen sein und glückliche Familie spielen musste, wo seine Eltern eigentlich kaum noch miteinander sprachen und auch keinerlei Interesse an Noah zeigten. Da jedoch Verwandtschaft zu Besuch kam und die Temels das Bild einer perfekten Familie aufrechterhalten wollten, spielten sie dieses Spiel. Noah bekam dafür seinen Umschlag mit Geld, das er inzwischen fast schon mehr als Bestechung ansah als ein Geschenk zu Weihnachten.

In seinen Nachrichten an Colin tat er so, als ob es ihm egal wäre und er sich über das alles nur noch lustig machen könne, doch Colin wusste, dass diese Scharade Noah verletzte und es ihm nicht gut ging. Colin schrieb seinem Freund viele Nachrichten, wie sehr er ihn liebte, was für ein wundervoller und starker Mensch er war und dass er es bald durchgestanden hatte.

Colin zählte die Minuten, bis er Noah wieder bei sich hatte und ihn von seiner Familie ablenken konnte. 

Nolin | UnconditionallyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt