Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte. Wirklich nicht. Vielleicht, dass meine Hand durch die der Seele hindurchglitt. Dass mich ein Kälteschock traf. Dass sie mir bei der Berührung binnen eines Wimpernschlags meine eigene Seele aus dem Körper saugte. Oder vielleicht auch, dass ich ganz einfach tot umfiel.
Nichts davon geschah.
Ich spürte die Hand. Sie fühlte sich warm an, weich und natürlich, als wäre es die eines lebenden Menschen.
Das blaue Leuchten der Schemen wurde heller, so hell, bis es den gesamten Kellerraum ausfüllte. Wie eine flimmernde Flutwelle spülte es über den Ritualkreis und seine Insassen hinweg, ließ auch die letzten Kerzenflammen erlöschen, die noch nicht von den Todesanbetern ausgepustet worden waren.
Doch aus irgendeinem Grund war es nicht bedrohlich. Da war keine Kälte, die mir endgültig das Blut in den Adern gefrieren ließ, keine Todesenergie, die mich dazu brachte, um mein eigenes Leben zu fürchten.
Im Gegenteil, schlagartig wurde es angenehm warm. Die Eisblumen auf meinem Glas verflüchtigten sich so schnell, wie sie gekommen waren, ließen die Oberfläche glitschig werden, und ich schaffte es nicht mehr, meinen Griff anzupassen. Das Glas entglitt meinen Fingern und ging zu Boden, wo es mit lautem Klirren in Scherben zerbarst, doch das Geräusch ging im Chaos um mich herum völlig unter.
Die übrigen blauen Schemen, die noch im Raum geflimmert hatten, scheinbar abwartend, was geschah, verflüchtigen sich urplötzlich, fast so, als hätte man sie fortgeschickt. Ich schaffte es nicht, den Blick abzuwenden, bis meine Augen so sehr brannten, dass ich sie schließen musste.
Eine Präsenz kroch an mich heran. Ich spürte, wie sie näherkam, wie warme Fingerspitzen meinen Oberarm berührten, dann meine Wange – und wie dann Lippen mit meiner Stirn in Kontakt kamen. Ein Kuss wurde darauf gedrückt, durchspülte mich mit wohliger Wärme, mit einer Ruhe und Behaglichkeit, wie ich es noch nie in meinem ganzen Leben verspürt hatte.
Ein Atemzug glitt über mein Gesicht hinweg. Er klang erleichtert und ... dankbar? Sofern ein Atemzug dankbar klingen konnte. Die Berührungen lösten sich auf, nahmen das Ruhegefühl mit sich, und dann war es vorbei.
Stille trat ein. Drückende, zugleich jedoch merkwürdig freie Stille, die von allen Seiten auf mich eindrang.
Es war vorbei.
Irritiert zwinkerte ich, blickte auf meine Hand hinab, die ich noch immer ausgestreckt hielt. Und dann erst, ganz langsam und unter höchster Anstrengung, begriff ich, was sich da eben ereignet hatte. Die Seele hatte mich berührt. Nein, zuerst hatte ich sie berührt, dann hatte sie mich geküsst. Ein Todeskuss im wahrsten Sinne des Wortes.
Und dann ... nun gut. Und dann war sie in einem warmen Wirbelwind entschwunden und hatte dabei ihre bösartigen Artgenossen vertrieben – und all den Lebenden hier drin vermutlich zum Fortbestand ihres Lebend-Status verholfen.
Die Seele hatte mich gerettet. Nachdem sie wiederum von mir berührt worden war und ...
„Keine Bewegung!"
Meine Überlegungen fanden ein jähes Ende, und im nächsten Moment war die Stille dahin, als erneut heilloses Chaos ausbrach, nun noch viel größer als das davor. Die vermummten Todesanbeter stürmten wie vom Blitz getroffen aus ihren Schutzkreisen, stießen Kerzen um und ließen Gläser fallen, brüllten einander an.
Irgendjemand rempelte mich an und ich taumelte rückwärts, konnte mich gerade noch davon abhalten, auf Wyatts bleiche Hand zu treten. Plötzlich war mir unfassbar schwindelig. Ich fühlte mich kraftlos, ausgezehrt, als hätte ich einen Marathon hingelegt oder stundenlang gekämpft, statt einfach nur hier zu stehen, Seelen anzufassen und abzuwarten, was passierte.
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Todgeküsst (Ziall Slow-Burn; Side-Larry)
FanficLost-Place-YouTuber Niall Horan zieht mit seinem Team von einem verlassenen Ort zum nächsten, um Klicks in Millionenhöhe zu erzielen - bis er auf einem seiner Ausflüge eine merkwürdige Begegnung erleidet. Der unfreundliche, mit seltsamen Gerätschaft...