Der Wolf und das Kitz II

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»Ich möchte zurück in meine Heimat«, fuhr Nilan fort, »aber ich kenne mich in dieser Welt kaum aus und brauche Führung. Wenn du mich dorthin bringst, wo ich aus dem Himmel fiel, und das vor dem nächsten Vollmond, dann gebe ich dir deinen Wunsch.«

Cyns Herz trommelte wild in seiner Brust. Das war seine Gelegenheit. »In Ordnung«, sagte er, ohne zu zögern. Seine Schätze müsste er zwar für einige Tage, vielleicht sogar Wochen allein lassen, aber Habicht würde schon ein Auge auf sie haben. Und er hatte gute Schlösser. »Wo müssen wir hin?«

»Nach Norden«, sagte Nilan. »Einige Tagesreisen von hier entfernt ist eine zerstörte Stadt. Dort traf ich das erste Mal auf die Erde.«

Eine Schlinge legte sich um Cyns Hals und schnürte ihm die Kehle zu. Er ballte die Hände zu Fäusten, um das Zittern zu unterdrücken, und ignorierte den Rauch, der sich in die Luft mischte. »In Ordnung«, sagte er, doch wollten die Worte kaum seinen Mund verlassen. »Wir brechen sofort auf. Bei Tag sind zu viele Menschen unterwegs und könnten dich erkennen. Warte hier.«

Er wandte sich ab und polterte die Treppe hoch. Sein Fuß verschwand in dem Holz und er krachte auf die Stufen. »Verdammt«, fluchte er und stemmte sich auf die Arme. Er hatte das Loch vollkommen vergessen.

»Geht es dir gut?«, fragte Nilan und trat an die Treppe heran.

»Ja«, brummte Cyn und richtete sich auf. Wenn er wiederkam, sollte er sich überlegen, einige Holzbretter auf der Stufe anzubringen, damit er diese Schmach kein zweites Mal ertragen müsste.

Er drehte sich nicht um und stieg die Treppe hoch. Oben holte er einen Umhang für Nilan aus dem Schrank. Er klaubte alles an Trockenfrüchten und -fleisch zusammen, das er finden konnte, und steckte auch Gold und Feuerstahl in einen Beutel, ehe er sich auf die Suche nach Wasserschläuchen begab.

Einen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen schnallte er sich um und ließ zuletzt seine Pfeife in einer Tasche verschwinden. Es mussten schon Jahre vergangen sein, seit er seine Reiseausrüstung genutzt hatte.

Er ließ noch einmal den Blick durch den Raum schweifen, aber er hatte nichts vergessen, und so wandte er sich ab und ging wieder in das Untergeschoss. Diesmal erinnerte er sich an die kaputte Stufe und übersprang sie.

Nilan wartete geduldig auf ihn und sah sich im Zimmer um. »Du hast gar keine Bücher«, stellte er fest.

Cyn antwortete nur mit einem Brummen und warf ihm den Umhang zu. »Zieh den an«, sagte er. Er selbst band sich den Beutel mit den Vorräten an seinen Schultergurt, damit er ihn nicht die ganze Zeit festhalten musste. »Und nun los.«

Kein Licht erhellte die finsteren Gassen

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Kein Licht erhellte die finsteren Gassen. Es musste etwa die Mitte der Nacht sein.

Nilan hatte sich die Kapuze über den Kopf gezogen und dämmte damit das leichte, kaum wahrnehmbare Schimmern, das von den weißen Strähnen in seinem Haar ausging. Wie hatte Cyn nur in der vorherigen Nacht nicht erkennen können, wer sich über seine Schwelle gewagt hatte? Doch die Frage war leicht beantwortet: Er betrachtete seine Mitmenschen selten so genau, dass ihm solche Details auffielen.

Der Dieb und der MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt