Von Helden und Monstern III

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Cyn keuchte schwer. Schweiß rann von seiner Stirn. Seine linke Schulter schmerzte, seine Hand war um einen Griff verkrampft.

Schlieren verdeckten seinen Blick und er blinzelte mehrfach, um wieder sehen zu können.

Vor ihm tauchte Nilans Gesicht auf. In den grauen Augen lag ein Ausdruck, den Cyn nicht greifen konnte. Sorge? Kummer? Angst?

Und warum waren Nilans Wangen rot besprenkelt?

»Cyn?« Die Stimme drang dumpf, wie durch Wasser hindurch, zu ihm.

Sein Puls schlug laut in seinem Hals. Schmerzhaft pochte sein Herz gegen die Rippen. Was war geschehen? Masson hatte ihm gegenübergestanden und dann ... nichts.

In der Ferne erklang eine Glocke. Ein einziger Schlag, ein Zeichen, dass eine Seele diese Welt verlassen hatte und vor das Göttergericht gestellt wurde. Das Bellen von Hunden folgte, Getrappel von Hufen. Wer der Götter war es?

Cyns Blick senkte sich von Nilan. Ein Aufschrei blieb in seiner Kehle stecken. Er kroch zurück. Der Dolch in seiner Hand klirrte auf den Boden.

Vor ihm Massons Leiche. Der Mund zu einem letzten Schrei aufgerissen. In den Augen war noch der Schatten des Mörders eingebrannt. Sein Brustkorb stellte ein Schlachtfeld dar, aufstehende weiße Berge und tiefe rote Täler.

Blut sickerte in den Teppich und eine Brille lag zersprungen neben dem regungslosen Körper.

Cyns Atmung beschleunigte sich bis zu dem Punkt, dass er kaum noch Luft bekam. Seine Hände glänzten feucht. Rot. Es tropfte von seinen zitternden Fingerspitzen.

»Cyn.« Nilan folgte ihm und ging vor ihm auf die Knie. »Es ist alles gut. Es ist vorbei.«

Cyns Blick flackerte zu der Leiche zurück. Er wollte sich einreden, dass ein wildes Tier in das Haus eingefallen war und Masson getötet hatte, doch der Schmerz in seiner Schulter und das Blut an seinen Händen verriet den Täter.

Es war geschehen. Seit Jahren war es nicht geschehen, doch nun hatte die Vergangenheit ihn eingeholt und war über ihn hergefallen wie ein Wolf über einen hilflosen Hasen.

Kalte Hände legten sich an seine Wangen und drehten seinen Kopf, sodass er in Nilans graue Augen sah. »Atme«, flüsterte er und kühle Luft traf gegen Cyns erhitzte Haut. Sein Atem stolperte.

»Es ist alles gut.«

Es ist alles gut. Dieses Mantra begleitete ihn seit Jahren, aber in Wirklichkeit war nie alles gut.

Nilans Blick verschwand aus seinem Blickfeld und ein Körper drückte sich gegen ihn, Arme schlossen sich um ihn. Seine Augen ruhten nun wieder auf seinen blutigen Händen. Er streckte sie von sich, als könnte er sie damit weniger zu einem Teil seines Körpers machen, und streckte sie von Nilans Rücken, denn er wollte ihn nicht beschmutzen.

Es musste Jahre her sein, seit ihn das letzte Mal jemand gehalten hatte. Mit den verstreichenden Sekunden beruhigte sich seine Atmung. Seine Lungen nahmen erneut Luft auf und die Schlinge, die sich eng um seine Kehle gezogen hatte, verschwand. Ein Herzschlag traf langsamer als sein eigener gegen seine Brust.

Die Hände in Cyns Blickfeld verschwammen und gleichzeitig wurden seine Gedanken klarer. Sie mussten fort von hier. Wenn sie entdeckt würden, dann würde ihnen der Mord an Masson angehängt werden. Zurecht, doch ...

Ein spitzer Schrei ließ ihn zusammenfahren. Gläser zerschellten auf den Dielen.

Cyn sprang auf die Beine. Seine Knie schmerzten, seine Gelenke waren steif. Wie lang hatte er über Masson gekniet und immer und immer wieder zugestochen?

Sein Blick fiel auf die Dienerin, die zur Tür hineingekommen war. Ihre Augen richteten sich auf ihn, dann wieder auf die Leiche des Kommandanten. Sie stolperte zurück und deutete auf Cyn.

»Mörder«, hauchte sie das Wort, das sie schreien wollte.

Cyn wartete nicht, bis sie ihre Stimme wiederfand. Er klaubte seinen Dolch vom Boden auf, griff nach Nilans Ärmel und zog ihn mit sich. Er stieß die Dienerin beiseite und trat nach draußen.

Olivenbäume sprossen neben einem sauber gepflasterten Weg. Dahinter war ein hölzerner Zaun errichtet, der den Garten, in dem Trauben wuchsen, von der Straße trennte.

Cyn zog Nilan weiter und beschleunigte seine Schritte. Hier würden nur weitere Diener sein, weitere Zeugen.

Ein Mann hängte ein großes Laken über eine Wäscheleine. Eine Frau wischte sich zwischen den Trauben den Schweiß von der Stirn. Keiner der beiden bemerkte die Fliehenden.

Erst nachdem sie ein hohes Tor passiert hatten und noch einige hundert Meter weiter gerannt waren, drosselte Cyn die Geschwindigkeit. Er ließ Nilan los und stemmte die Hände auf seine Oberschenkel, um zu verschnaufen.

»Fluss ...«, krächzte er. »Waschen.« Schweiß rann ihm über die Stirn und schmeckte beim Sprechen salzig auf seiner Zunge.

Er warf einen Blick auf Nilan. Abseits einiger abstehender Haare hatte die Flucht ihn nicht beeinträchtigt. Die Blutsprenkel leuchteten auf seiner weißen Haut.

Cyn wandte sich ab und bewegte sich auf dem Weg, bis er das Rauschen eines Flusses hörte und ihm folgte. Zwischen Eichen und Buchen tauchte ein Wasserlauf auf. Ein Reh, das gerade getrunken hatte, sprang in das Unterholz, als Cyn einen Ast beiseiteschob und auf die freie Fläche trat.

Neben dem Wasser sank er auf die Knie und tauchte seine Hände ein. Die Strömung nahm die blutigen Spuren mit sich und färbte sich in Rot.

Er rieb seine Hände aneinander, damit jeder Rest fortgespült wurde. Das Blut verschwand, doch die Erinnerung blieb. Nicht nur blieb sie, es kamen noch weitere dazu.

Bilder, wie er Masson auf den Boden stürzte. Wie er sich über den Kommandanten beugte und mit der Klinge in der Hand ausholte.

Er verweilte. Bis seine Finger durch die Kälte rot anliefen, kribbelten und so sehr schmerzten, dass er sich auf keinen anderen Gedanken konzentrieren konnte.

Mit seinen Händen formte er eine Schale und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Der Nebel in seinem Kopf lichtete sich weiter, obwohl er sich lieber hinter ihm wie hinter einer Wand verstecken wollte.

Nilans Blick kribbelte in seinem Nacken, aber Cyn wandte sich nicht um und blieb im Gras sitzen.

»Ich habe dich nicht verletzt, oder?«, fragte er. Seine Stimme klang nicht wie seine eigene, doch weniger animalisch als kurz vor dem Moment, bevor er über Masson hergefallen war.

»Mir geht es gut«, sagte Nilan. Das Gras raschelte, als er sein Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte. Die Fragen lagen unausgesprochen in der Luft, doch Cyn beantwortete sie nicht.

»Wasch dein Gesicht«, sagte er stattdessen.

Nilan trat zu ihm und kniete sich neben ihm in das Gras.

Cyn ignorierte seinen Blick und hievte sich langsam wieder auf die Beine. Seine schmerzenden Knie protestierten. Er knetete seine Hände, damit sie weniger zitterten.

Er wartete, bis Nilan sich die Blutstropfen aus dem Gesicht gewaschen hatte, ehe er meinte: »Wir gehen weiter.«

Sie folgten dem Flusslauf und hielten sich von der Straße fern. Einerseits, da Cyn bewusst geworden war, dass sein Hemd nicht wegen Schweißes, sondern Blutes an seinem Oberkörper klebte und er es vor der Nacht waschen wollte. Und andererseits, da auf der Straße vielleicht Wachen nach ihnen suchen würden, die von dem Mord gehört hatten.

Der Dieb und der MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt