Von Helden und Monstern II

146 21 139
                                    

Instinktiv hatte Cyn die Augen zusammengekniffen und blinzelte nun, bis sich die Dunkelheit um ihn herum lichtete. Er war weich gefallen.

Nilan unter ihm rührte sich und richtete sich auf. Sein Haar, seine Haut und die Kristalle in seinem Gesicht glänzten silbrig.

»Wo sind wir?«, fragte Cyn, kroch von Nilan hinunter und erhob sich.

»In Sicherheit, schätze ich«, meinte Nilan. Er stand ebenfalls auf und klopfte sich den Staub aus der Kleidung.

Sie waren in einem dunklen Raum gelandet. Der Stein an den Wänden und dem Boden warf Nilans Schimmer zurück. Kisten stapelten sich auf Kisten in den Ecken. Regale unterteilten die Kammer.

Cyn ging zu einem der Behälter und hob das Stofftuch an, das darüber gespannt war. Kartoffeln. In einem weiteren Kasten fand er Äpfel. In den Regalen standen Gläser mit Eingekochtem.

»Eine Vorratskammer«, schlussfolgerte er.

Sein Blick fiel auf eine Leiter, die nach oben führte. »Ich glaube, da kommen wir raus«, sagte er und griff nach der ersten Sprosse. Das Holz war gut verarbeitet. Weder splitterte es, noch war es morsch. Jemand nutzte diesen Raum regelmäßig und konnte sich die Instandhaltung leisten.

Er kletterte hoch und drückte gegen die Luke über sich. Sie bewegte sich nicht, natürlich nicht. Nilans Magie hatte sie vielleicht in Sicherheit gebracht, aber nun waren sie eingeschlossen. Wenigstens würden sie hier nicht verhungern.

»Hallo?«, rief Cyn nach oben. »Ist da jemand?« Jemand, der keinen untoten Hund hatte oder ihm den Mond stehlen wollte.

Keine Antwort.

»Hallo? Wir sind irgendwie in eine dumme Situation gekommen und stecken jetzt hier fest.«

Er seufzte, als wieder keine Antwort kam, und tastete den Rand der Falltür ab, konnte aber kein Schloss finden.

Schritte erklangen über ihm.

»Hallo!«, rief Cyn erneut. Ein Schaben ertönte, dann ein Knarzen und die Luke wurde geöffnet. Er hob eine Hand, um das Licht von sich abzuschirmen, und kniff die Augen zusammen. Der Schatten eines Mannes fiel auf ihn hinab, doch er konnte weder dessen Gesicht noch die Mimik erkennen.

»Was macht Ihr in meinem Keller?«, fragte der ungewollte Gastgeber.

»Ich bin mir selbst nicht sicher«, gab Cyn zu. »Aber wir verschwinden natürlich sofort.« Bevor sein Gegenüber genauer darüber nachdenken konnte, weshalb ein Gott und ein Landstreicher gemeinsam reisten.

»Dann raus da.« Der Mann klang nicht ansatzweise so sauer, wie Cyn es erwartet hatte. Hätte er Fremde in seinem Keller gefunden, hätte er gedroht, sie zum Abendessen zu verspeisen.

Er kam der Anweisung nach und kletterte in eine Küche, die etwa so groß war wie das gesamte Untergeschoss des Hauses, das Cyn bewohnte. Die Sonne stand noch tief und nur vereinzelt durchbrachen ihre Strahlen den Nebel vor den Fenstern.

Draußen erstreckte sich eine weite Fläche und hinter einem Zaun ein Garten. Sie waren wirklich bei irgendeinem Reichen gelandet.

Nun, da sich Cyns Augen an das Licht gewöhnten, wanderte sein Blick zu dem Gastgeber weiter. Er musste etwa fünfzehn oder zwanzig Jahre älter sein als Cyn. Der Ansatz seiner Haare war zurückgeschoben und Grau spross in dem Bart.

Cyn wich zurück. Er erkannte sein Gegenüber, auch wenn der Mann sich seit ihrer letzten Begegnung verändert hatte. Er hatte ein wenig an Gewicht zugelegt und eine Brille ruhte auf seiner Nase. Edle Stoffe kleideten seine Gestalt und ein Degen hing an seinem Gürtel.

»Kommandant Masson.« Cyn bemerkte erst, dass die Worte seine Lippen verlassen hatten, als sie schon wie Staub vor ihm im Raum schwebten und sich im Licht der Sonne badeten.

Wie hatte Nilan – oder seine Magie – glauben können, dass sie hier sicher waren?

Masson drehte sich in Cyns Richtung und musterte ihn. »Kennen wir uns?«

»Ich ...« Cyns Zunge wurde zu schwer, um einen Laut zu formen. Er raffte seinen Umhang am Hals zusammen, in der Hoffnung, die Narbe zu verbergen.

›Lass es fallen. Es wird nur Unglück bringen.‹ Rauch beschwerte die Luft.

›Ich bitte Euch, tötet mich, aber lasst ihn am Leben.‹

›Es wird heranwachsen und auf Rache sinnen. Ein neuer Krieg wird entfacht werden, Königreiche werden fallen. Willst du das?‹

Cyn schüttelte den Kopf. »Nein.« Er blinzelte. Die Asche verschwand von seiner Zunge. Er räusperte sich. »Nein, wir kennen uns nicht.« Unauffällig wischte er seine schwitzigen Handflächen an seinem Umhang ab.

Der Kommandant warf ihm zwar einen misstrauischen Blick zu, erwiderte aber nichts. Er erwartete nicht, dass ein Toter zu den Lebenden zurückgekehrt war.

Nilan stieg ebenfalls aus der Vorratskammer. Auf ihm verweilte Massons Blick länger, denn der göttliche Ursprung war ihm deutlich anzusehen.

Die Augen des Kommandanten verengten sich und schossen zu Cyn zurück.

»Ich ...« Weiter kam Cyn nicht mit seinen Erklärungen, dass er den Mond nicht entführte, sondern um genau zu sein, das Gegenteil tat, denn Massons Klinge durchschnitt die Luft und Cyn machte einen Satz zurück.

»Wartet!«, rief Nilan.

Der Degen blitzte ein zweites Mal auf. Wieder wich Cyn aus, doch er war nie ein guter Kämpfer gewesen. Massons Faust traf ihn im Bauch und schleuderte ihn zurück.

Cyn stolperte gegen eine Tür. Sein Arm verhakte sich in der Klinke, sodass er in den Raum dahinter taumelte. Eine Eingangshalle. Die Wände waren hell getäfelt und roter Teppich breitete sich auf dem Boden aus.

Über dem Ausgang hing ein Wappen. Ein silbrig-weißer Drache auf dunkelblauem Grund. Einst hatte Cyn dieses Wappen auch getragen. Einst als ...

Masson tauchte im Türrahmen auf. Die meisten Leute hatten im Krieg alles verloren, doch den Kommandanten hatte all das Leid bereichert.

»Wie könnt Ihr es wagen?«, spuckte Cyn aus und zog seinen Dolch. »Wisst Ihr überhaupt, was Ihr verursacht habt? Ihr habt so viele Leben zerstört und baut Euch eine Villa? Ihr verbringt einen schönen Lebensabend auf dem Land, aber all diejenigen, die Ihr zurückgelassen habt, verrotten im Dreck.«

Masson hielt inne und blickte von oben auf ihn herab. Cyn kannte diesen Blick. Jahrelang hatte er in seinem Nacken gesessen, wenn er versagt hatte.

»Loquard«, sagte der Kommandant. »Ich hätte mir denken können, dass du immer noch nicht weißt, wie man Höhergestellte anspricht.«

Cyn ballte die eine Hand zur Faust, sodass sich seine Fingernägel in seine Handfläche bohrten, und schloss die andere fester um seinen Dolch. Ein tiefes Knurren formte sich in seiner Brust. Der Laut erinnerte kaum noch an einen Menschen und eher an einen Wolf, der zähnefletschend einem Rivalen gegenübertrat.

»Hört auf!« Nilan tauchte in der Eingangshalle auf, aber keiner der anderen achtete auf ihn.

»Wer hat dich in Empfang genommen?«, fragte Masson. »Lehu oder Varjan?«

Varjan, der Krieg. Er entriss seinen Opfern gewaltsam ihre Leben. Oft drangen Schmerzensschreie aus seinem Feuer. Damals hatte Cyn ihnen häufig gelauscht.

Lehu im Gegensatz nahm mit sanfter, doch eiskalter Hand die Seelen an sich. Die Wenigsten bemerkten es, wenn der Tod sich näherte.

Keinen von beiden – weder Krieg noch Tod – hatte Cyn gesehen, als er gestorben war. Seine Kehle hatte schmerzvoll gebrannt und kalte Finger hatten sich um seinen Körper geschlossen.

Vielleicht hatten sich beide gestritten, wem seine Seele zukommen sollte.

Cyn knurrte nur als Antwort. Er erinnerte sich noch gut an seine letzten Momente und an die Worte, die ihn wie ein Echo begleitet hatten, als er einen kurzen Blick in das Jenseits geworfen hatte.

»Du willst ein Held sein? Dann stirb wie einer.«

Der Dieb und der MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt