Der Frevel der Güte II

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Cyn ließ seine Hände sinken.

»Ich hätte es ihm nie verraten sollen«, flüsterte Nilan.

»Du hast zugehört?«, fragte Cyn. Nächstes Mal würde er seine Hände fester auf Nilans Ohren pressen.

Der Mond schüttelte den Kopf. »Deine Gedanken waren nur wieder sehr laut.« Er lehnte seine Stirn gegen Cyns Schulter. »Nachdem ich es ihm gesagt hatte, führte er mich an Vollmond vor. Er wünschte sich nie etwas von mir und zwang mich nur dazu, anderen Menschen ihre Wünsche zu erfüllen. Doch nur denjenigen, die ihn zuvor entlohnten.«

Er holte tief Luft, ehe er weitersprach. »Aber als er bemerkte, dass ich mich nicht mehr widersetzte, ließ er mir ›Freiheiten‹. Meine Zellen wurden größer und irgendwann zu Häusern, in denen ich mich frei bewegen durfte. Ich ...«

Cyn hob eine Hand und strich vorsichtig über Nilans Rücken.

Hinter ihm zeigte sich ein neues Bild. Diesmal war es der silberne Drache und er war wieder in Fesseln. Der Kerkermeister führte ihn an einer Kette auf ein Podest.

»Weißt du, wie wir hier hinausgelangen?«, fragte Nilan.

»Nicht direkt«, gab Cyn zu. »Das Monster, das diese Illusionen hervorruft, muss irgendwann die Lust daran vergehen, dich zu quälen, doch das dauert manchmal wochenlang.«

Nilan schwieg kurz, ehe er meinte: »Ich kann das nicht so lange ertragen.«

»Ich weiß, dass es schwer ist, aber –«

»Es gibt einen ganz einfachen Weg«, unterbrach Nilan ihn. Er hob seinen Kopf von Cyns Schulter und sah ihm in die Augen. »Darf ich mir etwas von dir wünschen?«

Cyns Nackenhärchen stellten sich auf, aber er nickte.

»Wenn du den Wunsch aussprichst, dass wir diesen Ort verlassen, dann kann ich uns hinausbringen«, sagte Nilan. »Dafür hast du auch bei mir etwas gut. Nur ... bitte, lass uns gehen.«

Im Hintergrund kratzten die Krallen des Drachen über den Stein. Cyn sah nicht noch einmal zu ihm, sondern wie gebannt in Nilans Augen.

Er nickte. »Ich wünschte, wir wären fort von hier.«

Grelles Licht blendete ihn und er blinzelte, bis er seine Sehkraft zurückerlangte.

»Danke«, hörte er ein geflüstertes Wort an seinem Ohr, ehe Nilan den Kopf erneut gegen seine Schulter sinken ließ.

Vorsichtig strich Cyn ihm über den Rücken, unsicher, ob es überhaupt das Richtige war. Normalerweise tröstete er nicht. Normalerweise verursachte er nur Kummer.

»Das ist sooo widerlich.«

Cyn sprang von Nilan fort. Sein Blick suchte den Ursprung der Stimme und fand ihn bei einer liegenden Gestalt mit beinahe kindlichen Zügen. Ein einziges Auge sah aus dem Gesicht auf und rollte sich.

Varjans Haustier. Dessen Sohn, auch wenn Cyn stets versuchte, diesen Aspekt zu vergessen. Derjenige, der ihnen die Bilder aus Nilans Vergangenheit gezeigt hatte. Der Wächter – dieser Name stand der Gestalt nicht, denn als sie auf die ziegenähnlichen Beine sprang, ging sie Cyn weiterhin nur bis zur Hüfte.

»Und so langweilig«, meinte der Wächter. Eine Rüstung bekleidete ihn. Der Brustpanzer und der Waffenrock waren nur aus schmucklosem Eisen. »Es ist doch gerade erst interessant geworden.« Er öffnete den Mund, der eher einer Höhle mit tausenden Reihen von Zähnen glich, und ein seltsames Klicken drang heraus. Ein Lachen.

Cyn knurrte und zog seinen Dolch.

Das Auge des Wächters richtete sich auf die Klinge. »Oh, bitte«, sagte er und hob das Kinn, um seine Kehle zu entblößen. »Mein Vater wird wissen wollen, was hier geschehen ist. Ein Gott in Begleitung eines Menschen. Vor allem dieser Gott, vor allem dieser Mensch. Töte mich. Es bringt mich nur schneller an seine Seite.«

Der Dieb und der MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt